Chronik | Aus dem Blog von Gerhard Mumelter

Die Kapitulation der Politik

Ein ganzes Land fleht einen 88-jährigen an, im Amt zu bleiben. Zum ersten mal willigt ein italienischer Präsident in eine zweite Amtszeit ein.

Es ist die Kapitulation der Politik vor der eigenen Ohnmacht. Die Bankrotterklärung eines Parteiensystems, das stets vor allem auf sich selbst bedacht war: Ein Land fleht einen 88-jährigen an, nicht in den verdienten Ruhestand zu treten. Eindrücklicher könnten die Anomalien der italienischen Gerontokratie kaum demonstriert werden. Die Linke begeht in einem politischen Amoklauf Selbstmord. Pier Luigi Bersani, der um jeden Preis in den römischen Chigi-Palast einziehen wollte, stürzt über seinen Weigerung, das Wahlergebnis zur Kenntnis zu nehmen. Und über die Unfähigkeit, eine Krise zu meistern. 

Der Partito Democratico war längst zu einem Gewirr verfeindeter Seilschaften verkommen.  Die Partei schien außerstande, auch nur ein einleuchtendes Konzept, eine glaubwürdige Zukunftsvision, eine klare Lösung anzubieten. Gefangen in einem institutionellen Korsett, das in jeder Krisensituation nur politische Dinosaurier aus dem Zylinder zaubert - von Franco Marini bis zu Romano Prodi. Nun hat sich Giorgio Napolitano erweichen lassen, erneut zu bleiben. Zum ersten Mal in der Geschichte der Republik tritt ein Präsident in Italien eine zweite Amtszeit an. Es ist anzunehmen, dass Napolitanos Schritt an Bedingungen geknüpft ist. Das Programm der Weisen wird wohl zum Regierungsprogramm werden und einige von ihnen zu Ministern. Stefano Rodotá könnte als Trostpreis ein Regierungsamt angeboten werden (das er ablehnen dürfte). Möglicherweise kehrt Giuliano Amato ins höchste Regierungsamt zurück. Die Folgen des politischen Erdbebens sind in ihrer Tragweite noch nicht abzusehen.

Politisch dürften sie morgen am Wahlergebnis in Friaul-Julisch Venetien ablesbar sein. Doch es besteht kein Zweifel, dass aus dieser Krise die zwei großen Populisten Italiens als eindeutige Sieger hervorgehen: Silvio Berlusconi und Beppe Grillo.

 

 

 

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Rupert Gietl -r Sa., 20.04.2013 - 19:42

Unsere politischen Vertreter in Rom standen bei diesem Trauerspiel am Rande der Manege und mussten zusehen, wie Südtirol zusammen mit einem ganzen Land in politischer Agonie verfällt und die Zukunftschancen von Millionen von Menschen verspielt.
Ich wünsche mir für Südtirol und alle seine Bürger einen anderen Weg:
Den in die Freiheit...

Sa., 20.04.2013 - 19:42 Permalink
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gorgias Sa., 20.04.2013 - 20:07

Ich glaube hier wird die Situation nicht richtig eingeschätzt. Die Wahl des Staatspräsidenten war in Italien immer schon schwierieg. Und es ist noch schwieriger geworden, seit sich im italienischen Parlament eine Gruppierung Einzug gefunden hat die für das Parteiensystem ein fremdkörper ist, der nicht für Dialog und Kompromisse offen ist, was Teil der politischen Kultur jeder Demokratie ist, zumindest jender die funktionieren.

Es ist auch nichts neues dass ein Ex-Ministerpräsidenten zum Staatspräsidenten erkoren wurde. So ist die Nominierung Prodis auch nichts wirklich sonderbares. Welcher Staatspräsident war denn kein Dinosaurier?

Sa., 20.04.2013 - 20:07 Permalink
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Rupert Gietl -r Sa., 20.04.2013 - 20:38

Antwort auf von gorgias

Ich war diese Woche beruflich in der Toscana und besonders im Gespräch mit jungen Menschen erkennt man, dass das was sich auf der politischen Bühne abspielt nur ein Symbol für die Krise ist, die das Land sowohl wirtschaftlich, als auch in seiner Identität erfasst hat.
Da geht es nicht mehr nur darum, dass die Wahl von Staatspräsidenten traditionell schwierig war, da geht es auch nicht darum, dass mit dem M5S nun ein neuer politischer Akteur im Ring steht:
Es geht um eine ganze Generation von jungen Menschen, die keine Zukunft haben, die mit leuchtenden Augen davon reden, nach Australien zu gehen und nie mehr wieder zu kommen...
Und was hatten sie mir apropos Südtirol zu sagen:
"Beati voi, avete almeno l'alternativa di andarvene e rendervi indipendenti, tanto non siete neanche italiani..."

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gorgias Sa., 20.04.2013 - 22:37

Antwort auf von Rupert Gietl -r

Es ist wahr, Italien hat sich in den letzen 25 Jahren nicht sehr positiv entwickelt. So kann man kann sich über den Berlusconismus, den Interessenkonflikt, die steigende Verschuldung und die kulturelle Stagnation sorgend äußern. Italienbashing ist aber wenn man eienen Anlässe, wie die Wahl des Staatspräsidenten benutzt, um zu zeigen wie es bergab mit Itlien geht und sie dafür überzogen negativ darstellt.

Dieser Vorfall ist wirklich erwähnenswert, wenn man sie mit anderen Wahlen des Staatspräsidenten in Italien vergleicht. Wenn man auch noch berücksichtigt, dass es im Moment keine Regierung mit Vertrauenszuspruch gibt und es so eine Bewegung wie den M5S gibt der werder Dialog noch Kompromiss kennt, muss ich sagen dass es am Ende nicht so schlecht abgelaufen ist.

Es ist der erste Staatspräsident mit einer zweiten Amtszeit. Na und? Von den letzten 4 österreichischen Bundespräsidenten hatten 3 eine zweite Amtszeit. Wegen dem hohen Alter von Napolitano möchte ich hinzufügen, dass der letzte Bundespräsident vor dem aktuell amtierenden in der zweiten Amtszeit verstorben ist und das ist schon der vierte. Zumindest wurde in der Nachkriegsgeschichte Italiens keine Person mit faschistischen Altlasten gewählt, wie in Deutschland mit Kiessinger und in Österreich mit Waldheim.

Um noch mal die Wahl mit älteren Wahlen zu Vergleichen. Napolitano wurde im 6 Wahlgang ernannt . Für die Wahl von Oscal Lugi Scalfaro hat es 1992 16 Wahlgänge gebraucht. Das ist auch nicht so lange her, als dass man es sich nicht mehr erinnern könnte

Aber das ist nichteinmal der Rekord. So brauchte es für:

Antonio Segni 9 Abstimmungen
Giuseppe Saragat 21 Abstimmungen
Giovanni Leone 23 Abstimmungen
Sandro Pertini 16 Abstimmungen

Was Ihren Bekanntschaften in der Toskana angeht, so irren sie sich diese wie viele die der Propaganda der STF anheim fallen und meinen wir hätten eine alternative Italien zu verlassen. Zumindest so lange das italienische Verfassung abändert, haber wir die gleichen alternativen wie der Rest des Staatsgebietes.

Sa., 20.04.2013 - 22:37 Permalink
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Rupert Gietl -r So., 21.04.2013 - 11:29

Antwort auf von gorgias

Ich finde es ziemlich hochnäsig, als Südtiroler, welcher in relativ privilegierter Position lebt, jungen Italienern (es waren Studenten der Uni Siena, welche aus allen Landesteilen stammen) zu erklären, wie es um ihr eigenes Land steht.
Glauben Sie, jenen Menschen wissen nicht besser als wir, wie es um ihre eigene Zukunft bestellt ist?
Und was die Südtiroler Freiheit betrifft, ist es schon sehr bequem, diese einmal in den Bereich von 2-3% der Wählerstimmen zu prognostizieren und bei Bedarf dann wieder als Meinungsmacher hinzustellen, welche mit ihrer "Propaganda" "vielen" Sand in die Augen streut!

So., 21.04.2013 - 11:29 Permalink
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gorgias So., 21.04.2013 - 12:17

Antwort auf von Rupert Gietl -r

Herr Gietl, ich weiß nicht wie sie mich falsch verstehen konnten, aber mit gleichen Chancen meinte ich dass andere Landesteile die gleiche Möglichkeit zur Sezession haben wie wir und das sind keine solange die italienische Verfassung nicht abgeändert wird.

Was den 3% Wählerstimmen der stf betrifft ändert das nichts an der Tatsache dass viele aufgrund deren propaganda nicht zwischen Selbstbestimmungsrecht und recht auf sezession unterscheiden können und meinen wir hätten irgendwo ein verbrieftes recht ein quasi bindendes referendum zur Loslösung von Italien abzuhalten.

So., 21.04.2013 - 12:17 Permalink
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Rupert Gietl -r So., 21.04.2013 - 19:23

Antwort auf von gorgias

Sehr geehrter Herr Gorgias,
da ich Sie offensichtlich falsch verstanden habe, möchte ich meine Replik zurücknehmen und mich hiermit entschuldigen!
Was die Möglichkeit der "Sezession" betrifft, möchte ich jedoch darauf verweisen, dass die Menschen im Laufe der Geschichte immer wieder ihre Staaten umgestaltet und verändert haben, wie es ihnen ihrer Zeit entsprechend richtig oder möglich erschien.
Was die italienische Verfassung dazu sagt, wird wohl nur eine Randnotiz zu diesem historischen Phänomen bleiben.
In allen Bereichen des menschlichen Zusammenlebens gibt es das Trennungsrecht. Warum sollten gerade die Völker von so einem Recht ausgeschlossen sein? Wenn eine Gruppe über eine andere herrscht, dann ist dies moralisch nicht in Ordnung, das kann man drehen, wie man will.
Wenn wir in einem Rechtsstaat leben, dann kann es nicht sein, dass eine friedlich und demokratisch eingeforderte Selbstbestimmung verweigert wird.
Siehe die Haltung der britischen Regierung zum Schottland-Referendum.
Ich gab oben nur meine Erfahrungen wieder, welche ich in jahrelanger beruflicher Tätigkeit im italienischen Raum gesammelt habe. Da brauche ich keine "Propaganda" der Südtiroler Freiheit.
Mir tun diese Menschen ohne Aussicht auf eine Zukunft einfach leid!
Und wenn "Italienbashing" ein beliebtes Spiel der Freiheitsaktivisten geworden ist, dann ist "Sezessionsbashing" ein ebenso beliebtes Spiel von Seiten ihrer Gegner.

So., 21.04.2013 - 19:23 Permalink
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gorgias Mo., 22.04.2013 - 19:35

Antwort auf von Rupert Gietl -r

"Als ich von der Propaganda der stf sprach meinte ich die Möglichkeit ein bindendes Sezessionreferendum abzuhalten und habe kein Urteil zur Lage Restitaliens gegeben, genauso wie ich in meinem vorheirgen Beitrag als ich sagte dass sich ihre Bekannten in der Toskana über die Möglichkeit ein Sezessionsreferendum irren. Sie haben mich jetzt zum zweiten Mal genau bei der gleichen Aussage falsch verstanden. Ob das jetzt Absicht ist oder nicht sei jetzt dahingestellt.

Da Sie mich jetzt einfach des Bashings beschuldigen und ich unter bashing die Ausübung unbegründeter oder überzogener Kritik als Selbstzweck oder mit Hintergedanken sehe werde ich Ihnen erklären was an der Art wie von einigen die Thematik Selbstbestimmung / Sezession unredlich behandelt wird und wie ich glaube von mir zu Recht kritisiert werden:

Es ist kein gutes Argument zu behaupten, nur weil sich Grenzen prinzipiel ändern können es naheliegt dass es für Südtirol auch gelten muss. Diese Aussage hängt im Luftlehren Raum und sagt im Grunde nichts über die konkrete Situation Südtirols aus. Es gab Grenzen die sich immer wieder änderten und Grenzen über Jahrhunderte gleich blieben.

Nun führen Sie als Beispiel das Referendum in Schottland an. Hier sind aber zwei Dinge gegeben:
1. Die Rechtordnung der Vereiningten Königreichs läßt die Möglichkeit eines bindendes Sezessions-Referendum abzuhalten zu
2. Ist die Regierung in London bereit dieses auch anzuerkennen
Beides trifft für die Situation Südtirol/Italien nicht zu. Tut mir leid aber dieses Vergleich hinkt einfach.

Weiters finde ich es pathetisch wenn Sie meinen dass ihre Aussage dass "eine Gruppe über eine andere herrscht" im Falle Südtirols zutrifft. Wir haben eine Autonomie die uns eine weitreichende Selbstverwaltung ermöglicht. Wir stehen einem österreichischen Bundeslandes in der Möglichkeit der Selbstgestaltung in kaum etwas nach.

Zu Ihrer Aussage " Wenn wir in einem Rechtsstaat leben, dann kann es nicht sein, dass eine friedlich und demokratisch eingeforderte Selbstbestimmung verweigert wird."

In den meisten europäischen Staaten haben Teilgebiete nicht die Möglchkeit Sezessionsreferenden abzuhalten. Sind sie deshalt keine "guten" Rechtsstaaten mehr? Und ja es kann sein!

"In allen Bereichen des menschlichen Zusammenlebens gibt es das Trennungsrecht. Warum sollten gerade die Völker von so einem Recht ausgeschlossen sein?"

Ich finde es einfach unreif das Familienrecht mit dem Völkerrecht zu vergleichen.

Ich hoffe, falls Sie mir hier noch antworten, dass Sie diesmal auf meine Argumente eingehen anstatt mich (un)willkürlich falsch zu verstehen.

Mo., 22.04.2013 - 19:35 Permalink
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Martin Geier Sa., 20.04.2013 - 22:14

Italienbashing ist eines der Lieblingsspiele vieler unserer Politkommentatoren und ich bin erklärter Gegner solcher Spielchen. Aber diesmal muß ich Mumelter in vielen Dingen zustimmen. Es ist ein Trauerspiel und ein Armutszeugnis zugleich. Schade daß es für kurze Zeit eine Möglichkeit für eine andere Regierung(und ein anderes Italien) gab; jedenfalls nach meiner Ansicht. Es hätte aus PD Sicht die Möglichkeit gegeben Grillo an sich zu ziehen und ihn faktisch zu "zwingen" sich mit dem PD an einem Tisch zu setzen. Der PD ist aber mutlos explodiert und hat sich selbst versenkt. Großkoalitionäre und Linke stehen sich unversöhnlich gegenüber; die kalte Fusion vor Jahre zwischen katholischen ExDClern und Linken ist gescheitert. Das Trauerspiel wird sich bei der Bildung der Regierung wiederholen. Der wahre Gewinner ist Berlusconi. Er hat verhindert daß ein erklärter Gegner in den Quirinal einzieht. Beppe Grillo mag sich heute vielleicht als Sieger fühlen; aber eine politische Option mit dem PD ist erstmal gescheitert; weil es ihn nicht mehr gibt. Auch Protest lässt sich nicht unendlich durchhalten; es braucht früher oder später eine politische Option mit einem Partner. Und der konnte nur der PD sein. Mal sehen welche Regierung kommt.

Sa., 20.04.2013 - 22:14 Permalink
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Martin Geier Sa., 20.04.2013 - 22:21

Antwort auf von Martin Geier

Den Vergleich Berlusconi-Beppe Grillo hätte er sich sparen können; der eine steht wie kein Zweiter für ein Italien das man nicht haben will, der andere gilt zurecht als radikaler Erneuerer. Aber da scheint mir Mumelter Opfer seiner Wiener Sicht geworden zu sein... ;)

Sa., 20.04.2013 - 22:21 Permalink
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salt & pepe So., 21.04.2013 - 09:21

Die franchi tiratori, die Prodi abgeschossen haben, sind jetzt daran schuld, dass sich der Pd in aller Verzweiflung Napolitano, Berlusconi und den larghe intese in die Arme geschmissen hat.
Resultat: Ein governo del presidente, mit lauter Craxianern drin... Surreal Hilfsausdruck.
Und selbst Renzi, der noch gegen Marini getönt hat, dieser sei nicht die Veränderung, die Italien brauche, ist jetzt glücklich mit Opa Napolitano? Ich glaube, da hat sich jemand verrechnet; Veränderung ist eben nicht nur das, was mir gerade in meine persönlichen Ränkespiele passt.

So., 21.04.2013 - 09:21 Permalink
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Angelika Carfora Mo., 22.04.2013 - 08:34

Obwohl ich ansonsten die Artikel des Autors schätze, gefällt mir der Tenor dieses Mal nicht. Es hat nicht ein ganzes Land sich zu Füßen Napolitanos geschmissen, sondern viele gewählte Vertreter des Volkes, die dadurch aber über den Willen ihrer Wähler hinweg entscheiden. Was sicherlich stimmt ist, dass das nun Berlusconi und Grillo bei Neuwahlen zugute kommen wird. Was bleibt einem auch übrig?

Mo., 22.04.2013 - 08:34 Permalink