Gesellschaft | Flüchtlinge

Illegal eingereist, legal vertrieben?

Trilaterale Polizeieskorten versehen seit 2001 ihren Dienst in internationalen Zügen. Die Beamten stoßen zunehmend an Grenzen - gesetztlicher, aber auch menschlicher Art.

2001 wurden die  “pattuglie trilaterali” durch ein Regierungsabkommen zwischen Italien, Österreich und Deutschland ins Leben gerufen, in den letzten Monaten sind sie verstärkt unterwegs. Das Abkommen sieht vor, dass an Bord internationaler Züge, die Richtung Brenner unterwegs sind, in einem gewissen Streckenabschnitt – zuletzt meist zwischen Trient und Brenner – die italienische Bahnhofspolizisten gemeinsam mit Kollegen aus Österreich und Deutschland ihren Dienst versehen. So auch im Falle des IC-Zuges, der vergangenen Donnerstag von Rom Richtung München unterwegs war und dessen Passagiere am frühen Abend am Bahnhof Bozen für einige Aufregung sorgten. Während sich fünf der syrischen Flüchtlinge von den österreichischen Polizisten einschüchtern und zum Aussteigen bewegen ließen, weigerten sich sieben Frauen vehement, den Zug zu verlassen und fuhren schließlich – nachdem eine Anzeige ausgestellt war – mit ihren drei Kindern weiter bis nach Innsbruck.

Empört über das Verhalten der österreichischen Polizisten zeigt sich Mario Deriu: “Da wollen die Österreicher ‘ihre’ Gesetze innerhalb unserer Grenzen geltend machen”, so der Generalsekretär der Polizeigewerkschaft SIULP in Bozen im Gespräch mit der Tageszeitung Alto Adige. Doch ist das überhaupt möglich? Die SIULP hat erst jüngst kritisiert, dass österreichische Polizisten ohne Papiere reisende Flüchtlinge bereits vor der Brennergrenze noch auf italienischem Staatsgebiet aus den Zügen aussteigen lassen. In der Quästur stellt man klar:

La gestione dei controlli effettuati dalle pattuglie sul territorio nazionale sono di competenza esclusiva della Polizia Italiana.


Auf die Füße getreten

Leonhard Voltmer, Leiter der Flüchtlingsberatung der Caritas präzisiert: “Österreichische, so wie alle sonstigen ausländischen Polizeikräfte, haben auf italienischem Boden keinerlei hoheitlichen Befugnisse, zu deren Ausübung sie berechtigt wären.” In Zügen mit internationalen Passagieren dürfen die ausländischen Polizisten zwar die italienischen begleiten, sie unterstützen und Fahrscheine kontrollieren, aber bei Ordnungswidrigkeiten dürfen ausschließlich die italienischen Behörden eingreifen. Auch Personenkontrollen fallen in die Zuständigkeit der italienischen Polizei – solange sich der Zug innerhalb der italienischen Grenze befindet. Wie erklärt sich Voltmer das forsche Auftreten der Österreicher, während die italienischen Polizisten eher in der Rolle der Vermittler und Übersetzer wieder fanden? “Die Österreicher wollten ihren Kollegen zu Hause wahrscheinlich die Arbeit ersparen und Gesetze anwenden, die die Italiener – aus welchem Grund auch immer – nicht angewandt haben”, vermutet Voltmer. “Denn wären die Flüchtlinge nicht in Bozen ausgestiegen, so hätte man sie dann spätestens in Innsbruck aus dem Zug geholt.” Genauso ist es auch geschehen – umgehend nach ihrer Ankunft in Innsbruck sind die Frauen und Kinder über den Brenner zurückgeschickt worden.

In der SIULP fühlt man sich auf die Füße getreten: “Diese trilateralen Polizei-Eskorten sind ein sehr fragwürdiges Instrument”, so Deriu, “denn es stellt unsere Souveränität und die Funktionen unserer Polizisten infrage.” Auch aus den Reihen der SEL (Sinistra Ecologia Libertà) ist Protest am Verhalten der österreichischen Polizisten zu hören: “Hier sind ganz klar die Regeln der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit in Fragen der Sicherheit sowie die Souveränität der italienischen Autoritäten verletzt worden.” Gefordert wird eine rigororse Untersuchung des Vorfalles. Darüber hinaus sei die italienische Regierung angehalten, sich ernsthaft für eine Änderung der “ungerechten und falschen” europäischen Gesetzgebung einzusetzen.


Rechte wahren? Gesetze anwenden? Das Dilemma der Polizisten

Innerhalb der Polizei ist man sich den Herausforderungen und des Drucks, der auf den Sicherheitskräften lastet, bewusst. Vor knapp zwei Wochen, am 3. Dezember, traten in Rom Vertreter der Polizeigewerkschaften mit Regierungsbeauftragten zusammen, um über die trilaterale Zusammenarbeit zwischen Italien, Österreich und Deutschland zu befinden. Immer wieder stießen die italienischen Polizisten auch an ihre menschlichen Grenzen und seien zum Teil heillos überfordert mit der Abwicklung der gesetzlich vorgeschriebenen Prozeduren bei Aufgreifen illegal Eingereister. So liest man im Protokoll des Treffens:

Il SAP (eine der am Treffen teilnehmenden Gewerkschaften, Anm. d. Red.) nella circostanza ha prospettato i disagi degli Agenti della Polizia Ferroviaria nell’effettuare detti servizi senza nessun protocollo sanitario, mezzi di trasporto inadeguati per accompagnare i migranti presso la Questura di Bolzano per gli accertamenti di rito.

I locali che ospitano gli Uffici della Polizia Ferroviaria di Bolzano non sono adeguati a poter accogliere un cospicuo numero di cittadini stranieri con la presenza anche di minori.

Entlastung für die Polizei soll die Anlaufstelle am Brenner bringen, wo die Flüchtlinge kurzfristig mit Essen, Trinken und Kleidung versorgt werden sollen. Seit gestern, 15. Dezember, ist die Einrichtung in Betrieb. Bsiher waren es Freiwillige, die am Brenner den Flüchtlingen und ihren Familien das Allernötigste zu bieten versuchten.


Naheliegende Lösungen, so weit entfernt

Bei dem Vorfall, der sich vergangenen Donnerstag am Bahnhof Bozen abgespielt hat, ist Voltmer überzeugt, dass es sich sicherlich um “keine Besonderheit, die eine neue Dimension eröffnet” handle. Es sei hinlänglich bekannt, dass nur die wenigsten Flüchtlinge, die in Italien an Land gehen, Interesse hegten – trotz gesetzlicher Vorschrift – in Italien ihre Asylanträge zu stellen und daher gen Norden Richtung Grenzen strömten. Bereits seit Jahren durchqueren Flüchtlinge und illegal Eingereiste das Land, was sich geändert hat, ist die Stärke des Migrationsflusses und dessen Wahrnehmung in der Bevölkerung. Derzeit sind in der Region Trentino-Südtirol an die 440 Flüchtlinge untergebracht, in Südtirol sind es laut Daten des Innenministeriums 160. “Plus, minus fünfzig”, meint Leonhard Voltmer, “denn die Zahlen verändern sich täglich.” Doch hat sich allein im Juni dieses Jahres die Zahl jener Menschen, die Italien über den Meerweg erreicht haben, im Vergleich zu 2013 mehr als verfünffacht; die absoluten Zahlen der in Italien an Land gegangenen Menschen sind massiv angestiegen. Und im Laufe des bisherigen Kalenderjahres hat die österreichische Grenzpolizei allein am Brenner über dreitausend Flüchtlinge wieder nach Italien zurückgeschickt.

Verlauf der in Italien an Land gegangenen Menschen 2013-2014. Quelle: Italienisches Innenministerium

Der Brenner, eine Grenze, die symbolisch für ein viel komplexeres Phänomen steht. “An dieser einen Grenze wird die Problematik, mit der wir es hier zu tun haben, nicht zu lösen sein”, ist Voltmer überzeugt, “denn was dort passiert ist nur das Symptom viel größerer, globaler Phänomene wie etwa der internationalen Migration. Und dementsprechend größer und komplexer muss auch die Lösung ausfallen.” Diese Einsicht zeig auch Mario Deriu im Gespräch mit dem Alto Adige: “Die Migrationsströme können nicht zu einem rein italienisches Problem oder nur einem der Polizei gemacht werden.” Seine Lösung? “Hier muss sich die europäische Gemeinschaft ihrer Verantwortung stellen.” Auch Landeshauptmann Kompatscher schlägt in die gleiche Kerbe: “Die derzeitige Abwicklung der Flüchtlingsfrage ist eine Nicht-Lösung, die am Ursprung – das heißt auf europäischer Ebene – gelöst werden sollte.” Bis es – endlich – so weit sein wird, werden uns wohl noch viele neue Geschichten über Odysseen, Schicksale und geplatzte Träume erreichen.