Wieder einmal ein gelebter,
Wieder einmal ein gelebter, unumstößlicher Bericht. Hoffentlich lesen ihn alle, die noch meinen, auch im Islam gäbe es Möglichkeiten der Demokratie!
In Istanbul Weihnachten zu feiern ist zu einem Spießrutenlauf geworden. Man dürfe auf keinen Fall islamische Befindlichkeiten verletzten, so lautet das Motto der meisten in der Türkei ansässigen Institutionen von EU-Staaten. Und so hat sich auch das italienische Kulturinstitut in Istanbul für die traditionelle Weihnachtsfeier etwas einfallen lassen müssen, das mit dem eigenen Herkunftsland zu tun hat, ohne dass gleichzeitig das neuerwachte islamische Selbstbewusstsein der Türkei infrage gestellt wird .
Eingeladen wurde schliesslich das aus italienischen Spitzenmusikern bestehende Consonus Dörtlüsü-Streicherquartett, das keine Weihnachts- wohl aber Filmmusik zum Besten gab. Das erste Stück war ein Wienerwalzer aus dem Film " Il Gattopardo" von Lucchino Visconti, das letzte - unglaublich : "Stille Nacht" als abschließender Weihnachtsgruss.
Natürlich war ich zu Tränen gerührt, ich schluchzte vor mich hin, neben meinem völlig ratlosen Ehemann, der mich für ein teutonisch-nüchtern-pragmatisches Wesen hält. Meine Tränen vergoss ich natürlich nicht nur wegen der wunderbaren Tiroler Weihnachtsweise, sondern weil mir schlagartig klar wurde, wie sehr mir hier in der Türkei unser traditioneller klassischer Kulturbetrieb fehlt. Kaum ein klassisches Konzert, nur noch Kitsch-Opern, die mit osmanischen Heldentaten zu tun haben, selten Filme in Originalsprache und alles immer sehr kompliziert und schwer zu erreichen in einer Metropole wie Istanbul .
Ich habe daraus die Lehre gezogen , dass es wohl eines Aufenthalts im islamischen Ausland bedarf , um die eigene Kultur zu lieben und zu schätzen. Ähnlich ergeht es mir mit meinem katholischen Glauben, den ich immer als eher nebensächliche Selbstverständlichkeit empfunden habe. Seitdem ich mich hier in Istanbul am Sonntag gemeinsam mit den Angehörigen der italienischen, spanischen und französischen Gemeinschaft sozusagen katakombenmässig zur Messe treffe, in der kleinen Sacre Coeur Kirche in Bebek , habe ich ein neues, wesentlich engagierteres Verhältnis zum Christentum bekommen.
Diese "Besinnung " auf die eigenen Werte, die von Erziehung, Schule und gesellschaftlichem Umfeld geprägt sind, stellt sich umso intensiver ein, als die Islamisierung der Türkei in rasantem Tempo fortschreitet . Erst kürzlich sprach mich eine gut angezogene junge Frau auf der Strasse an, die Unterschriften gegen die Schliessung eines bisher staatlich geförderten Symphonieorchesters sammelte. Sie und ihr Mann seien Mitglieder dieses Orchesters und sie würden mit einem Schlag beide arbeitslos, weil Erdogan beschlossen hat, nur noch die osmanische Kultur zu fördern. Die Unterschriftensammlung zeigte keine Wirkung, das Orchester wird demnächst aufgelöst werden.
Dafür fördert der Erdogan-Staat Filmproduktionen , in denen viel geritten und gekämpft wird. Das Osmanische Reich soll nach dem Willen des neuen Sultans wieder aufleben, zunächst in den Köpfen der Türken, dann auch konkret. Mit der Islamisierung der Gesellschaft ist Erdogan schon weit vorangekommen : selbst in den bisher ausschließlich laizistisch ausgerichteten Werbespots sind letzthin immer häufiger verschleierte Frauen zu sehen. Und die Muezzin, die noch vor einem halben Jahr ziemlich unregelmässig und selten von den zahlreichen Istanbuler Minaretten zum Gebet riefen, sind jetzt rund um die Uhr im Dienst, um die Muslime ( und die Nicht-Muslime ) mit recht unmelodischer, krächzender Stimme aufzuwecken.
Immer neue Islam-Schulen werden eröffnet mit entsprechend abgeänderten Lehrplänen, die statt der Fremdsprachen die Rückkehr zur osmanischen Sprache und der arabischen Schrift vorsehen. Die Justiz hat Staatspräsident Erdogan insofern bereits islamisiert, als er sie unter seine Kontrolle gebracht hat. Am Montag sind die neuen Mitglieder des Verfassungsgerichts ernannt worden - es handelt sich durchwegs um Erdogan-Anhänger. Auch die 33 Mitglieder des Staatsrates wurden erneuert - nach dem selben Motto.
Erdogan braucht die Justiz, um seine Säuberungswelle gegen unliebsame Journalisten und Regimegegner fortzusetzen. Gegen vier der 23 des Terrorismus angeklagten Journalisten wurde Haftbefehl erlassen. Am stärksten traf es Fethullah Gülen, den ehemaligen Weggefährten Erdogans, der es gewagt hatte, die Machtfülle des neuen Staatspräsidenten zu kritisieren: weil er in den USA untergetaucht ist, haben die Richter einen internationalen Haftbefehl gegen ihn erlassen.
Wieder einmal ein gelebter, unumstößlicher Bericht. Hoffentlich lesen ihn alle, die noch meinen, auch im Islam gäbe es Möglichkeiten der Demokratie!
Der Bericht ist ein Bericht und als solcher nicht "unumstößlicher" als jede andere persönliche Erfahrung. Durchaus "umstößlich" hingegen finde ich Ihren zweiten Satz mit dem undifferenzierten Rückschluss auf ein allgemeines Prinzip (Islam ungleich Demokratie) und die damit geradezu hetzerische Verallgemeinerung.
Woran liegt es denn, dass sich - nur zum Beispiel - auch in Russland/Sowjetunion noch keine Demokratie bilden konnte? An der russisch-orthodoxen Kirche vielleicht..? Und im nach wie vor undemokratischen China liegt es vielleicht an Konfuzius? und wenn es in Südamerikas Staaten mit der Demokratie nicht so recht klappen will, dann liegt es wohl an..??
Schon bemerkenswert, dass die Türkei scheinbar eine "jetzt-erst-recht-Mentalität" im Hinblick auf die verstärkte Islamisierung entwickelte, seit der Westen versuchte, sie vermehrt in seine politische und kulturelle Hemisphäre zu ziehen.
Nur noch eine abschließende Bemerkung: muss man als Südtiroler im Ausland mit der italienischen Gemeinschaft zusammen sein oder könnte man als deutschsprachiger (soz. Angehöriger der österr. Minderheit) Bürger nicht auch bei deutschsprachigen bzw. österreichischen Vereinen oder eben Gemeinschaften dabei sein? Ich könnte mir nicht vorstellen, dass ich im Ausland bei der italienischen (auch wenn ich sie sehr schätze) Gemeinschaft dabei sein wollte/würde, weil es einfach nicht meine Muttersprache ist.
um in der "großen weiten Welt" zu überleben zählt nur eins: der Reisepass (und wo oder was Südtirol ist, weiß im Rest der Welt absolut Niemand)
Erstens hat Frau Brugger einige Jahrzehnte im (italienischen) Rom gelebt (also in der italienischen politischen und kulturellen Hemisphäre);
zweitens ist sie m. W. mit einem Italiener verheiratet (Journalist), der sich beruflich in Istanbul aufhält.
Ja das stimmt wohl. Frau Brugger hat etwas anderes sehr interessantes geschrieben. Dass sie in der islamischen Türkei neben unserem -österreichischen- Liedgut (Stille Nacht) auch eine Sehnsucht nach ihren Wurzeln und ihrer Religiosität verspürt. Dann kann sie jetzt auch die Türken verstehen, die sich in Europa, v.a. in der BRD, sehr noch stärker an ihre Wurzeln und Traditionen klammern als in der Türkei selbst.