Chronik | Diskussion

Brauchen wir ein neues Volk?

Südtiroler Überheblichkeit oder wahre Worte? Warum Manfred Schullians Neujahrswunsch für rege Diskussionen sorgt.

Brigitte Foppa konnte sich auf Facebook richtig darüber erregen: „Das ist diese Südtiroler Überheblichkeit, die mir derart auf den Geist geht“, postete die Grüne Abgeordnete am Montag Vormittag in ihrem Account. „Mich stört, dass da ein KALTERER daher kommt und sagt, das italienische Volk gelte es auszutauschen!“  Der Stein ihres Anstoßes: SVP-Kammerabgeordneter Manfred Schullian. Einer jener Südtiroler Parlamentarier, von dem man während des Jahres mehr dichterische Impressionen aus der Ewigen Stadt als politische Statements vernommen hat. Vielleicht auch deshalb holte ihn RAI Südtirol am Sonntag Abend bzw. Montag Morgen zum Jahresrückblick bzw. Ausblick vor Kamera und  Mikrofon.  Dort kündigte der Rechtsanwalt unter anderem an, sich aus der Kalterer Gemeindepolitik zurückzuziehen oder erklärte seine hohe Anzahl an parlamentarischen Missionen, also entschuldigten und somit bezahlten Abwesenheiten im Parlament: „Ich verweigere mich dem Gedanken, dass die Präsenzliste Maßstab für die Effizienz ist, die man als Politiker zutage legt.“

Die Provokation lag aber nicht an seinem Sager zu „stundenlangen unnützen Abstimmungen“, die er auf diese Art umgehen könne, sondern vielmehr an einer These für das neue Jahr: „Dieser Staat braucht keine Reformen, sondern ein anderes Volk“, tönte Schullian. In anderen Worten: eine andere politische Kultur. Die sei freilich nicht in einem Jahr zu schaffen. Doch sofern sich Regierungschef Matteo Renzi  halte und für eine gewisse Stabilität sorgen kann, hofft der Kammerabgeordnete auf ein langsames Umdenken, das letztendlich auch zu einem anderen politischen Stil von Regierung und Gesetzgebung führen würde.

Wer verdient wen?

Erläuterungen, die seine These wohl ein wenig relativieren. Dennoch ging auf Facebook gleich eine rege Diskussion über das auszutauschende Volk los. Hat jedes Volk die Regierung, die es verdient oder jede Regierung das Volk, das sie sich verdient, war nur eine der diskutierten Fragen. Nicht fehlen darf klarerweise der ethnische Diskurs:  Schließt Schullian die Südtiroler in „das Volk“ mit ein oder geht es um „beleidigende und unwürdige Aussagen gegenüber den Italienern“, wie der Freiheitliche Sigmar Stocker unterstrich. 

Klaren Applaus bekommt Schullian dagegen von einem anderen Vertreter aus dem rechten politischen Lager: „Das was Schullian ausgesprochen hat, denken sich insgeheim sehr viele“, schreibt der Abgeordnete der Südtiroler Freiheit Bernhard Zimmerhofer auf Nachfrage von salto.bz. „Der sogenannte ‚menefreghismo“ auf alles, was mit dem Staat zu tun hat, ist so sehr im Volk verwurzelt, dass es Generationen brauchen würde, um diesen Zustand einigermaßen wieder ins Lot zu bringen.“ Wirtschaftskriminalität, Schutzgelderpressungen, Müllhandel – wen wundert’s, wenn Italiens Bürger von ihrem Staat als potentielle Betrüger bzw. Steuerhinterzieher behandelt werden, findet Zimmerhofer.

Ein Jahr geht zu Ende, ein neues beginnt. Die Diskussionen selbst scheinen aber immer dieselben zu bleiben. 

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Martin B.

Ich würde sagen wahre Worte; aber Achtung: auch die Politiker selbst sind Teil des Volkes und mal sehen wie lange die italienische Republik in dieser Form noch "Brot und Spiele" aushält.

Mo., 29.12.2014 - 15:12 Permalink
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gorgias

Ein neues Volk brauchen wir auch hier in Südtirol. Es wäre toll wenn man hier die ganzen Seppl austauschen könnte aber wir sind hier in einer Demokratie und nicht in Nord Korea, da muss man halt mehr Geduld haben. Und wenn ich an meine Eindrücke der letzten Tage mit jüngeren Jahrgänge denke, sehe ich schon die Möglichkeit, dass sich da was langfristig bessert.

Mo., 29.12.2014 - 16:31 Permalink

Nein die Seppelen sind Untertanen und Zahlen Fron und für einen Beitrag für ihre Vereine gehen sie als Bittsteller zum Landesfürsten. Früher zumindest, der neue hat die Institution der Morgenaudienz abgeschafft und die Seppelen wissen jetzt sie nicht mehr, wo sie sich untertänigst vorstellen dürfen.

Mo., 29.12.2014 - 17:46 Permalink

Kann sein, aber die Seppeln sind auch die die jeden im Dorf auf der Straße mit einem "Griasgott" anlächeln, die Straßen, Wanderwege und Almen pflegen, beim Läuten der Sirene alle stehen und liegen lassen um andere zu retten, nicht zu letzt auch die die sich in Keller versteckt haben um ihren Kindern die eigene verbotene Sprache zu lehren.
Jedes Völkchen wird seine guten und schlechten Seiten haben, bei uns Südtirolern bin ich mir sicher, dass die ersten überwiegen.

Mo., 29.12.2014 - 18:05 Permalink

Du kannst nicht einen Namen verwenden und daraus auf alle schließen, die so heißen - und sie damit diskriminieren.
Das hat kein Niveau. Natürlich hat jeder Sepp oder Josef das Recht, sich Seppl zu nennen, und es ist zu respektieren. Wer es nicht tut, disqualifiziert sich selber.
Aber die ganze "Austauscherei" ist kein geeigneter Ansatz, und ernst gemeint sowieso nicht, also was solls?
Demokratie heißt auch, die Leute so anzunehmen wie sie sind. Man kann natürlich auch überlegen, warum sie so sind. Und schon gibt es viele Gründe, sie zu verstehen. Diese Gründe und Ursachen sind zu beseitigen, nicht die Menschen "auszutauschen".
Menefreghismo entsteht z.B. dann, wenn man keine Chance hat etwas zu erreichen und wenn Politiker ungebremst gegen das Volk arbeiten können. Mit einer funktionierenden direkten Demokratie (natürlich nur als Ergänzung zur repräsentativen Demokratie) könnte man also diese zwei wichtigen Ursachen schon einmal weitgehend beseitigen.

Mo., 29.12.2014 - 17:32 Permalink

Renzi sagte es in seiner Pressekonferenz zum Jahresschluss: Ich will die Einstellung der Italiener (zu Staat, Gesellschaft, Arbeit...) grundsätzlich ändern. Das wird der Schullian halt rausgepickt haben. Warum die Journalisten gerade ihn um einen Jahresrückblick bitten, bleibt ein Rätsel.
In einem Punkt hat Bernhard Zimmerhofer sicher Recht: Dass der italienische Staat seine Bürger als potentielle Steuerbetrüger behandelt (und Dänemark eben nicht), das kommt nicht von ungefähr. Genauso wie die Tatsache, dass Griechenland vor dem Staatsbankrott steht und nicht Finnland nicht am Klima oder an den Fußballergebnissen liegen dürfte. Das ist immer ein Wechselspiel zwischen Vertretern und Vertretenen. Auch in Südtirol, wo die Bürger über Jahrzehnte den Politikern einen Blankoscheck ausgestellt und mit jedem Kreuzl Interesse und Kontrolle für weitere 5 Jahre abgegeben haben. Um dann umsomehr aus allen Wolken zu fallen, wenn die Gewählten diese Freiheiten willig angenommen und ausgiebig zu ihren Gunsten in Anspruch haben.

Di., 30.12.2014 - 09:56 Permalink

Das mit den Wahlgeschenken ist genau der Punkt. Neben wir als Bsp. die unglaublichen Rentenprivilegien: Niemand hat die Möglichkeit einer Verrentung nach lediglich 15 Jahren Dienst als Finanzbeamtin oder Kindergärtner abgelehnt oder gar angeprangert, dabei konnte das mathematisch gesehen nur in Überschuldung münden. Alles ein großes Do-ut-Des.

Di., 30.12.2014 - 11:48 Permalink

Welche Vorgänger? Wir haben doch seit dem Mauerfall mehr oder weniger die gleichen Politiker an der Macht! Politische Entscheidungen werden seit jeher in den Parteizentralen von ein Dutzend Leuten (Politiker, Großindustriellen und der Mafia) getroffen, die alle samt auf die eigene Tasche schauen.
Den einzigen Frust den diese Leute verspüren ist. dass sie nicht mehr so schnell an ihr Geld kommen wie früher!

Di., 30.12.2014 - 11:56 Permalink

Da neue Jahr hat soeben begonnen und wir sollten wenigstens weiterdiskutieren. Auch Südtirol braucht ein "neues Volk". Ich halte es da weniger mit dem Sprichwort vom Fisch, sondern mehr mit der Weisheit: Jedes Volk hat die Politiker, die es sich verdient. Wenn sich das Volk neu orientiert, neue Werte anstrebt, neue Maßstäbe setzt, dann ändert sich in Folge auch die Politik. Das war die Logik, die wir dem "Südtiroler Frühling" zugrunde gelegt haben und das wäre wohl auch die Grundlage für eine bessere Zukunft. "Nur wer sich ändert, bleibt sich treu" hat Wolf Biermann einmal gesagt. Die Frage ist nur: Wer ist das Volk? Gibt es überhaupt "das Volk"? Wie organisiert sich das Volk? Wie wehrt es sich gegen Verblendung und Irreführung? Und noch was: salto ist ein Weg in die richtige Richtung. Liest mal nach, was da so alles von sich gegeben wird, wie miteinander umgegangen wird .... und wir sind fünf "Hansel". Da kommt mir spontan der Ausdruck: Armes Volk und glückliche Politiker, es kann nur noch schlimmer werden.

Fr., 02.01.2015 - 09:24 Permalink

Walter Ulbricht sagte das 1953: das Volk habe das Vertrauen der Regierung verloren. Der alte Satz von Brecht, dass sich die Regierung dann halt ein neues Volk wählen solle, gilt auch heute noch.

Sa., 03.01.2015 - 17:47 Permalink