Politik | Abschiebung

"Nicht aus Angst unsere Grundrechte aufgeben"

Im Landesdient, unauffällig, integriert und mehrsprachig – neue Details über den abgeschobenen Bozner Pakistaner. Seine Verteidigung hat Nicola Canestrini übernommen.

Die Ausweisung des jungen Pakistaners, der in Bozen lebt und arbeitet und verdächtigt wird, mit der Terrororganisation des IS zu sympathisieren, sorgt weiterhin für Aufregung und Diskussion. Wie nun bekannt wurde, ist Usman Rayen Khan seit knapp einem Jahr für die Südtiroler Informatik AG tätig. Als Zeitarbeiter arbeitet er über eine Leihfirma im Callcenter der SIAG.

Dort ist man aus allen Wolken gefallen, als es hieß, der Mitarbeiter Khan würde nicht mehr zur Arbeit erscheinen. Nach einem Blick in die Medien hatte man den Grund rasch herausgefunden – Khan sollte abgeschoben werden, weil “potentiell gefährlich für die nationale Sicherheit”. Abteilungsleiter Kurt Pöhl kann es nicht verstehen. Zumindest am Arbeitsplatz habe es nie Beanstandungen gegeben, Khan sei nie negativ aufgefallen – im Gegenteil. Mitarbeiter berichten im Gespräch mit der Südtiroler Tageszeitung einstimmig: “Auch politisch hat er sich nie auffällig geäußert.”

“Perfekt integriert und mehrsprachig”

Als Kind ist der junge Mann nach Bozen gekommen und lebt seit mittlerweile fünfzehn Jahren dort. Geboren ist er in Italien, um die italienische Staatsbürgerschaft hat er jedoch nie angefragt. Nach Abschluss der Mittelschule besuchte Khan eine deutschsprachige Oberschule und ist laut Auskunft von Bekannten und Arbeitskollegen “perfekt deutsch- und italienischsprachig”. Der arabischen Sprache – beziehungsweise dem in Pakistan gesprochenen perso-arabischen Urdu – hingegen sei er kaum mächtig.

“Es heißt, bei den Ermittlungsakten handle es sich um Staatsgeheimnisse, dabei kann der größte Blödsinn drin stehen.” (Nicola Canestrini, Anwalt)

Umso unverständlicher wirkt die Nacht- und Nebelaktion, in der Usman Rayen Khan auf direkte Anordnung von Innenminister Angelino Alfano innerhalb weniger Stunden in Mailand in ein Flugzeug gesetzt wurde, das ihn nach Pakistan gebracht hat. In jenes Land, das der in Italien geborene und in Bozen aufgewachsene Khan kaum seine Heimat nennen wird. Und wo Menschenrechtsverletzungen auf der Tagesordnung stehen. Die Behörden in Islamabad, an die Khan übergeben wurde, sind von den italienischen Ermittlern über den Verdacht gegen Khan informiert worden. Drei Tage lang wurde er in Polizeigewahrsam genommen und verhört. Nun ist er frei und bei Verwandten untergebracht. “Die pakistanische Polizei hat wohl einsehen müssen, dass der junge Mann wohl doch nicht sonderlich bedrohlich ist”, so das Fazit von Kahns Anwalt, Nicola Canestrini.

“Verzichten wir aus Angst auf Grundrechte wie Meinungs- und Pressefreiheit, haben der Terror und die Extremisten gewonnen.”

Nicola Canestrini hat den Fall von Usman Rayen Khan übernommen und tritt damit in große Fußstapfen. Er ist der Sohn von Sandro Canestrini, der in den sechziger Jahren unter anderem die Südtiroler “Bumser” in den Mailänder Prozessen vertreten hat. Bekannt und geschätzt ist der bald 93-Jährige italienweit als unbeirrbarer Verfechter der Presse- und Meinungsfreiheit sowie von Grund- und Menschenrechten. Nun führt also sein Sohn Nicola die Ära fort. Bereits 2004 hatte er erfolgreich vor dem Verwaltungsgericht Lazio gegen die Ausweisung eines muslimischen Imams rekurriert.

Ausweisung wegen Facebook-Postings?

Mehr als ein Verdacht ist es derzeit – zumindest offiziell – nicht, den die italienischen Sicherheitskräfte gegen den jungen Pakistaner hegen. Von dem wenigen, das zur Ausweisung von Usman Rayen Khan geführt hat, bekannt ist, scheinen seine Facebook-Postings Anlass zur Sorge gegeben zu haben. Nach den Anschlägen von Paris soll Khan den Terrorakt verteidigt haben. Dazu kommen Videos und Bilder von IS-Propaganda. Hinweise jedoch, oder gar Belege dafür, dass Khan eine konkrete Gefahr dargestellt hätte, gibt es keine – nicht offiziell. Alle Dokumente und Ermittlungsakten werden von den Geheimdiensten unter Verschluss gehalten. Angeblich sei Khan schon seit Längerem unter Beobachtung gestanden und habe auch Reisen in “verdächtige Zonen” unternommen, berichtet der Alto Adige. “Aus meiner Erkenntnis geht das nicht hervor, soweit ich weiß war Herr Khan nie im Ausland”, dementiert sein Anwalt am Telefon.

“Wenn hier aufgrund politischen Drucks und aus Emotivität heraus und nicht aufgrund konkreter Beweise abgeschoben wurde, dann ist das eine Verletzung des Rechtsstaats.”

Canestrini fordert Einsicht in die geheim gehaltenen Ermittlungsakten, auch weil er sich das Vorgehen des Innenministeriums im Falle seines Klienten nicht erklären kann. “Es heißt, es handle sich um Staatsgeheimnisse, dabei kann der größte Blödsinn in den Akten stehen”, so Canestrini. “Alle, die Usman Rayen Khan nahe stehen – Eltern, Geschwister, Freunde – empfinden die Abschiebung als zutiefst ungerecht.” Er selbst führt die offensichtlich antidemokratischen Facebook-Postings des jungen Mannes auf eine “Psychose nach den Anschlägen von Paris” zurück.

Dem Terror keine Argumente geben

Und verurteilt das Vorgehen des Innenministeriums stark: “Wenn hier aufgrund politischen Drucks und aus Emotivität heraus und nicht aufgrund konkreter Beweise abgeschoben wurde, dann ist das eine Verletzung des Rechtsstaats.” Es sei bedenklich, wenn ein junger Mann nur aufgrund seiner Facebook-Postings aus der Gesellschaft herausgegriffen und abgeschoben würde. Der tiefer sitzende Grund für das Vorgehen ist für Nicola Canestrini klar: Angst. “Doch wenn wir aus Angst auf unsere Grundrechte wie Meinungs- und Pressefreiheit verzichten, dann haben der Terror und die Extremisten gewonnen.”

Canestrini will nun Rekurs einlegen und die Verfügung des Innenministers vor dem Verwaltungsgericht Lazio anfechten. “Hätte Khan um die Folgen, die seine Postings auf Facebook gewusst, er hätte die Bilder und Videos nie geteilt”, ist sich der Anwalt sicher.

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Martin B. Sa., 24.01.2015 - 01:22

Da hat er sich aber etwas vorgenommen der Anwalt. “Psychose nach den Anschlägen von Paris” als Rechtfertigung für das Teilen von Bilder und Videos und schreiben von unterstützenden Texten scheint mir eine gewagte These, außer vor den Anschlägen sind keine Kontakte/Reisen zu Terrormilizen oder entsprechende Meinungsäußerungen nachweisbar. Genauso unglaubwürdig sind die wenig bekannten amtlichen Details und die intransparente Blitzausweisung.

Sa., 24.01.2015 - 01:22 Permalink
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Oskar Egger Sa., 24.01.2015 - 15:03

Scheint doch klar, dass der Anwalt Recht hat, besonders ein Canestrini. Wir müssen in Zukunft ja auch nur darauf achten, ob jemand auf der Stirn geschrieben hat: ich möchte gern Terror organisieren, oder?

Sa., 24.01.2015 - 15:03 Permalink
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laurin B. So., 25.01.2015 - 11:52

Danke Herr Usman Rayen Khan, dass du dieses Tabuthemen sogar in die Medien gebracht hast. Wenn nämlich “nur” die Menschen-, Grund- Schreibe- und Öffentlichkeitsrechte der Südtiroler verletzt werden, ist das dem Salto und auch den anderen Landesmedien keine Zeile wert. Gläubiger Moslem müsste man halt sein, dann hat man auch Recht auf Aufmeksamkeit für Menschenrechte in den Medien.

So., 25.01.2015 - 11:52 Permalink