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Das Millionengrab

Die unglaubliche Geschichte der Sparkassen-Tochter Raetia Sgr: Eine unfertige Geisterstadt, ein Ökomonster, Strafverfahren und 340 Millionen Euro an Schulden.

2008 war die Welt noch in Ordnung.
Im April jenes Jahres erteilte die Banca d'Italia der „Raetia Sgr S.p.A.“ die Genehmigung als Fondsverwaltungsgesellschaft zu arbeiten. Die Gesellschaft mit Steuersitz in Trient und Generaldirektion in Mailand war kurz vorher gegründet worden. Das Ziel des Unternehmens: Die Gründung, der Verkauf und der Vertrieb mehrerer Immobilienfonds, die sowohl für den Privatkunden wie auch für institutionelle Anleger interessant sein sollen.
Die „Raetia Srg S.p.A.“ hat ein Gesellschaftskapital von 2 Millionen Euro. Aktionäre sind zwei Banken: 11 Prozent hält die „Cassa di Risparmio di Cesena S.p.A“ und 49 Prozent die Südtiroler Sparkasse. 30 Prozent halten die drei Finanzunternehmen „La Finanziaria Trentina“ (10%), die Veroneser „Compagnia di Investimenti e Sviluppo – CIS“ (10%) und die Südtiroler „Euregio Finance“ (10 %). Die restlichen 10 Prozent der Gesellschaft übernimmt der Luxemburger Manager und Geschäftsmann Jean Marie Henri Schmit, der auch zum Geschäftsführer und Verwalter des Unternehmens ernannt wird.
Die Raetia legt drei Immobilienfonds auf. Den „Fondo Katikìa 1“, den „Fondo Diàphora 1“ und den „Fondo Diàphora 3“. Die drei Fonds verwalten auf dem Papier Immobilien im Wert von 397 Millionen Euro.
Ende 2010 sucht Raetia bei der Bankenaufsicht an, weitere drei Immobilienfonds auflegen zu dürfen. Die „Banca d'Italia“ macht daraufhin eine Inspektion bei der Fondsverwaltungsgesellschaft. Es ist der Anfang vom Ende.

300.000 Euro Strafe

Zwischen dem 3. Juni und dem 2. September 2011 durchleuchtet die Banca d'Italia die Raetia Sgr. Die Prüfer der Bankenaufsicht merken schnell, dass einiges in dem Unternehmen nicht stimmt. Zuerst verweigert die Banca d'Italia die Genehmigung für die geplanten drei neuen Fonds und wenig später verhängt die Staatsbank ein kategorisches Verbot: Die Raetia Sgr darf überhaupt keine Fonds mehr auflegen.
Einer der vermeintlichen Hauptschuldigen für die Unregelmäßigkeiten ist zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr im Unternehmen. Der Luxemburger Geschäftsführer und Verwaltungsratspräsident Jean Marie Henri Schmit legt 2010 alle seine Funktionen nieder. Und er verkauft auch seine Anteile. Anfang 2011 wird mit Giovanni Martino Dettori ein neuer geschäftsführender Verwaltungsratspräsident ernannt, der auch Schmits 10-Prozent-Beteiligung übernimmt.
Zu diesem Zeitpunkt ist die Schieflage des Unternehmens schon mehr als bedenklich. Wie vehement die Gesellschaftsorgane der Raetia aber in diesen Jahren gegen das italienische Bankengesetz und die Bestimmungen der Börsenaufsicht verstoßen haben, wird am Ende der Inspektion deutlich. Wegen Verletzung der Aufsichtspflicht und der Bestimmungen zum Bankengesetz verhängt die Banca d'Italia gegen die amtierenden, wie auch gegen die ehemaligen Mitglieder der Gesellschaftsorgane Geldstrafen in Höhe von insgesamt 166.000 Euro.
Die Verwaltungsräte Andrea Brillo, Franz Senfter, Hermann Steiner, Germano Lucchi und Giovanni Martino Dettori müssen jeweils 14.000 Euro zahlen. Sergio Lovecchio und Giovanni Battista Pasini jeweils 11.000 Euro sowie Luca Erzegovesi 4.000 Euro. Gegen den ehemaligen Geschäftsführer Jean Marie Henri Schmit verhängt die Bankenaufsicht gar eine Strafe von 28.000 Euro.
Aber auch die Aufsichtsräte werden ordentlich zur Kasse gebeten: Die beiden Südtiroler Wirtschaftsberater Markus Kuntner und Paul Schweitzer sowie Andrea Fattinger müssen jeweils 14.000 Euro zahlen.
Doch es kommt noch dicker. Ein Jahr später verhängt die Börsenaufsicht Consob zusätzlich noch härtere Strafen. Jean Marie Henri Schmit muss 30.000 Euro zahlen, Andrea Brillo 15.000 Euro, Luca Erzegovesi, Germano Lucchi und Hermann Steiner jeweils 12.000 Euro, Sergio Lovecchio und Giovanni Battista Pasini jeweils 10.000 Euro. Aufsichtsratspräsident Markus Kuntner wird zu 12.000 Euro Strafe verdonnert, Paul Schweitzer und Andrea Fattinger müssen jeweils 10.000 Euro zahlen. Macht insgesamt weitere  133.000 Euro.
Die Börsenaufsicht spricht im Strafdekret von „schwerwiegenden Verstößen“ und im Fall von Jean Marie Henri Schmit sogar von Vorsatz (dolo).

Die Geisterstadt

Noch tragischer ist die Situation aber auf der operativen Seite der Raetia Sgr. Der Fonds „Diàphora 1“ wurde 2008 mit einem riesigen Immobilienpaket des Unternehmers Raffaele Di Mario ausgestattet. Di Mario ist eine Art Serafin Unterholzner aus Molise, der es vom Maurer zum Megaunternehmer gebracht hat. Di Mario bringt ein Immobilienportefeuille im Wert von 230 Millionen Euro ein. Darunter auch 600 Vorverträge für zu bauende Wohnungen.
Das Ganze platzt am Ende aber wie eine Seifenblase. Der Bauunternehmer geht 2011 in Konkurs. Raffaele Di Mario wird wenig später wegen „betrügerischen Konkurses“ sogar verhaftet. Die Raetia Sgr sitzt jetzt über den Fonds „Diàphora 1“ auf einer fast fertigen Geisterstadt in Umbertide bei Perugia. Auf 32.400 Quadratmetern hat man für die Siedlung „La Fornace“ 15 Wohnblöcke und 12 Reihenhäuser gebaut, die seit Jahren leer stehen. Dazu noch Kubatur für Dienstleistungen und ein Einkaufszentrum.

In Pomezia südlich von Rom hat Di Mario ebenfalls einen Wohnkomplex hochziehen wollen. Dieser „Parco della Minerva“ gehört ebenso zum Portefeuille von „Diàphora 1“. Hunderte Wohnungskäufer haben Vorauszahlungen gemacht und stehen jetzt vor einer Bauruine und ohne Geld. Die Geprellten haben inzwischen eine Sammelklage gegen die Raetia Sgr eingebracht.

Dazu kommt, dass die Staatsanwaltschaft Rom gegen Raffaele Di Mario wegen IVA-Betruges ermittelt. Über 57 Millionen Euro an Mehrwertsteuer verlangt die Agentur der Einnahmen zurück. Der Bauunternehmer verteidigt sich gegen die Anschuldigungen: Die gesamten Geschäfte wurden seit 2008 von Raetia kontrolliert und auch die Iva-Umleitung sei von den Banken konstruiert worden.
Im Gerichtsverfahren wird sich klären, ob das eine Schutzbehauptung ohne Hintergrund ist.

Das Ökomonster

Aber auch im Norden läuft es für die Sparkassen-Tochter nicht besser. In den Fonds „Katikìa 1“ wurden vor allem Immobilien des Trentiner Unternehmers Loris Todesco eingebracht. Es handelt sich um Immobilien und Baugründe in Trient und Mailand.
Die Raetia ist über ihren Fonds auch Besitzer des ehemaligen Geländes der „Euromix“ in der Brennerstraße in Trient. Auf dem Gelände sollen Neubauten entstehen. Doch seit Jahren passiert nichts. Die Trentiner Politik regt sich seit langem über die verfallenden Bauten (Ökomonster) auf dem Gelände auf. Doch auch hier hat man viel Geld in den Sand gesetzt. Denn der Unternehmer Todesco musste im September 2014 ebenfalls Konkurs anmelden.

Die Kredite

Dabei ist seit Jahren klar, dass Raetia Sgr zum Desaster wird. Bereits am 28. November 2011 hat die Banca d'Italia die Raetia Sgr schriftlich aufgefordert, die drei Fonds und das Unternehmen selbst freiwillig in Liquidation zu stellen. Anfang 2012 wurden die drei Fonds „Katikìa 1“, „Diàphora 1“ und „Diàphora 3“ in Liquidation gestellt. Das Verfahren läuft noch.
Am 30. März 2012 hat auch die Raetia Sgr die freiwillige Auflösung der Gesellschaft beschlossen. Weil mehrere Mitglieder aus dem Liquidatorenkommitee im Sommer 2014 vorzeitig zurückgetreten sind, läuft auch dieses Verfahren noch.
Ende 2013 hatten die drei Immobilienfonds der Raetia einen Gesamtschuldenstand bei den Banken von 344,5 Millionen Euro angehäuft. Hauptgläubiger ist dabei die Unicredit mit über 180 Millionen. Aber auch die Investitionsbank Trentino-Südtirol (Mediocredito) hat Kredite von rund 25 Millionen Euro an den Fonds „Katikìa 1“ vergeben.
Die Südtiroler Sparkasse hat den Fonds ihrer Tochter Raetia ebenfalls konsistente Finanzspritzen gegeben. 25,6 Millionen Euro stehen zu Buche.
Dieses Geld wird kaum mehr zurückkommen.

Übernahme in Bozen

Inzwischen ist klar, dass dass Abenteuer Raetia für die Sparkasse sehr, sehr teuer wird. Zu rechnen ist am Ende mit einem Verlust in dreistelliger Millionenhöhe. Der stellvertretende Generaldirektor Andrea Brillo musste im November vor allem wegen Raetia gehen.
Weniger klar ist, warum sich die Sparkasse so tief in den Raetia Absturz eingelassen hat. Denn zwischen 2010 und 2012 kommt es in der Beteiligungsstruktur des Unternehmens zu einer unverständlichen Entwicklung.
Bis zum Dezember 2011 hält die Sparkasse 49 Prozent an Raetia. Zu diesem Zeitpunkt ist längst klar, dass das Unternehmen eine Bauchlandung wird. Die Banca d'Italia fordert bereits Ende November 2011 die freiwillige Auflösung der Fonds und der Gesellschaft.

Trotzdem stockt die Sparkasse ihre Beteiligung an der Fondsverwaltungsgesellschaft weiter auf. Am 29. Dezember 2011 kauft die Sparkasse um 278.151 Euro weitere 10 Prozent der Raetia an. Im Oktober 2012 übernimmt die Bank dann auch die Aktienanteile „Compagnia Investimento e Sviluppo – CIS“, der „Euregio Finance AG“ und „La Finanziaria Trentina AG“.
Damit hält die Sparkasse 89 Prozent an der Raetia Sgr. Weil am 19. Oktober 2012 die Gesellschafterversammlung der Raetia eine Kapitalerhöhung beschließt und nicht alle Aktionäre mitziehen, gehört das insolvente Unternehmen heute zu 97,8 Prozent der Südtiroler Sparkasse. Seit 30. April 2014 hat die Raetia Sgr Spa auch formell ihren Gesellschaftssitz in Bozen im Sparkassen-Hauptsitz.
Warum die Sparkassenführung die Aktien eines Unternehmens übernommen hat, als dieses bereits im freien Fall war, wird eine der Fragen sein, mit der sich der neue Sparkassenverwaltungsrat wird auseinandersetzen müssen.
Ebenso mit einer langjährigen Vogel-Strauß-Politik in Sachen Raetia im eigenen Haus. In der Bilanz 2013 der „Sparkassen AG“ steht in Sachen Raetia noch zu lesen:

„In termini di significatività di eventuali oneri, si segnalano richieste di risarcimento di danni avanzate nei confronti di Raetia SGR S.p.A. da terzi ed in subordine alla Banca quale pretesa responsabile per l'attività di direzione e coordinamento esercitata nei confronti della stessa SGR per un ammontare complessivo pari a 111,4 milioni di euro. In merito a tali richieste non si è dato luogo a stanziamenti in considerazione del fatto che l'onere è considerato non probabile anche sulla base di pareri legali acquisiti dalla Banca.“

Bleibt die schmale Hoffnung, dass diese Rechtsgutachten wirklich gut sind.

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Salto User
Sepp.Bacher Mi., 04.02.2015 - 11:32

Gut Christoph, dass du wieder etwas aufgedeckt hast, was da millionenschwer hinter den Kulissen gelaufen ist. Danke!
Interessant ist auch, dass gegen die geschaßten verantwortlichen Direktoren keine Ermittlung läuft, diese aber astronomische Summen als Abfindung verlangen.
Die hohen Gehälter von Spitzenmanagern - speziell in den Banken - werden mit der hohen Verantwortung gerechtfertigt. Wann werden sie aber wirklich einmal zur Verantwortung gezogen?

Mi., 04.02.2015 - 11:32 Permalink
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Martin Daniel Mi., 04.02.2015 - 18:04

Das riecht doch mehr nach home-made als nach Schwaben und dürfte eher vom früheren Verwaltungsrat - fest in Südtiroler Hand - zu verantworten sein. Gibt es denn da keine Haftung?

Mi., 04.02.2015 - 18:04 Permalink
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Willy Pöder Do., 05.02.2015 - 09:44

Antwort auf von Martin Daniel

So ein fahrlässiges oder gar grob fahrlässiges Handeln vorliegen sollte, können CEOs sowie Verwaltungs- und Aufsichtsräte natürlich in die Verantwortung genommen werden. Der alte Verwaltungsrat der Sparkasse bestand aus 15 Mitgliedern, darunter namhafte Freiberufler aus Recht und Wirtschaft. Der neue Verwaltungsrat wurde auf neun Mitglieder reduziert. Der Aufsichtsrat besteht früher wie heute aus drei effektiven Mitgliedern. Der frühere Präsident Norbert Plattner wurde von Gerhard Brandstätter im Verwaltungsrat abgelöst. Letzterer war vorher Präsident der Stiftung Sparkasse.

Do., 05.02.2015 - 09:44 Permalink
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Willy Pöder Do., 05.02.2015 - 09:27

Neulich meinte ein Kulturbeflissener im Südtiroler Nationalsender sinngemäß: 'Südtirol werde einerseits von Minderwertigkeitskomplexen geplagt; andererseits werde es vom Größenwahn vor sich hergetrieben'. Eine bemerkenswerte Auffassung. Die scheint auch auf die lokalen Banken zuzutreffen. Ihr nahezu unbekümmerter Einkaufsbummel in die Finanzwelt der Dinosauriers ist ein eindeutiger Hinweis darauf. Und zu diesen Beutegängen, die - außer wundgelaufenen Pfoten - offensichtlich nicht Gutes einbrachten, knüpft sich zu allem Überfluss nun auch noch der gegenüber den lokalen R-Kassen ausgesprochene Verdacht der Zinsabsprache auf Darlehen an. Südtirol und sein südliches Flair... Mensch, was begehrst du mehr!?

Do., 05.02.2015 - 09:27 Permalink