Kultur | Kommentar

What's wrong with Pussy Riot?

Wer macht hier noch Kunst?

Pussy Riot sind 2012 bekannt geworden, als drei Mitglieder des ungefähr 10-köpfigen, ausschließlich weiblichen, russischen Künstlerinnenkollektivs aufgrund eines "Punk Prayer", einem 41 Sekunden dauernden Videomitschnitt eines Punkkonzerts in einer russisch-orthodoxen Kirche, verhaftet, angeklagt und eingesperrt worden sind.
Erst nach knapp zwei Jahren kamen zwei der Inhaftierten, Nadeschda Tolokonnikova und Marija Aljochina, wieder frei, ein Mitglied war bereits vorher entlassen worden.
Die persönliche Freiheit in Gefahr bringen, um auf das restriktive politische System aufmerksam zu machen - dazu sind wenige freie BürgerInnen bereit. Durch den Fall "Pussy Riot" hat die ganze Welt plötzlich auf Russland geblickt und dessen Umgang mit Meinungsfreiheit kritisiert, PolitikerInnen und Popstars wie Madonna oder Sting haben ihre Entlassung aus der Haft gefordert und das harte Urteil (2 Jahre Freiheitsentzug, Untersuchungshaft mit eingerechnet) kritisiert.
 

2015

Pussy Riot, wohin ist die Anonymität entschwunden, wohin der Punk? Irgendwie sind sie Pussies* geworden, ohne viel Riot.
Die zwei bekanntesten Gesichter von Pussy Riot, Nadya und Mascha, halten bei jeder Gelegenheit ihr Gesicht in die Kamera, präsentieren alle zwei Wochen neue Haarfarben und sehen eher aus wie Make-Up-Testimonials. In einem Interview wollen sie trotzdem Punks sein, wobei sie eine Neuinterpretation dieser subkulturellen Identitätskonstruktion wagen:
"A punk is someone who knows how to ask the world uncomfortable questions and does everything possible to make sure the world can’t cop out of answering those questions. A punk is a person who lives and breathes astonishment. Astonishing other people and astonishing yourself—that’s what art is for us, and without art, life can’t exist, it would be too boring. A punk is always ready to rethink the idea of what is normal, and again, first and foremost, rethink their own ideas. And if you need to use institutions to make sure the world doesn’t cop out, we’re going to use them." (1)

Nadya und Mascha im Taxi in London, Nadya und Mascha im Interview in einer amerikanischen Comedy-Show, Nadya und Mascha auf einer Vice-Party, Pussy Riot vertreten auf einer Ausstellung im MoMA PS1, der Rest des Kollektivs mittlerweile völlig unsichtbar. Sie sind zu Anwältinnen geworden - nur von was nochmal genau?
Im Dezember 2014 kommt ein Video heraus, das Pussy Riot als Glamour-Girls im Stil der 20er Jahre darstellt, die als eine Art retro-modern witches Russlands Straßen kehren, Russlands Politik metaphorisch säubern. Es gibt plötzlich hochauflösende Kameras, raffinierte Lichtsituationen, erotische Posen und Glamour als begehrenswertes Feature. Keine billig verwackelte Kamera mehr, keine gehäkelten Masken und bunten Kleider, keine illegalen Aktionen. Die Hexe als feministische Figur der Selbstermächtigung, die dann mit Hilfe von Videobearbeitungsprogrammen durch die Lüfte abhebt, funktioniert. Aber das Ganze wirkt eher wie ein Werbefilm für ein Parfum, wo stumme Models ihr Gesicht herhalten für ein Produkt.
"They took our masks off in court in 2012, and even though it doesn’t fit in with the original concept of the group, now the world knows our faces, not just our ideas and our texts. On the one hand, that removes a certain degree of freedom. But on the other hand, you come to be better understood, because most people do want to see the face of the person they’re talking with." (2)

Pussy Riot inszenieren sich als geschminkte Uniformträgerinnen im Video zu ihrem neuen Song "I can't breathe". Dies war der letzte Satz, den der schwarze amerikanische Bürger Eric Garner 11 Male wiederholt hat, bevor er unter der Gewalteinwirkung durch Polizisten in New York am 17.07.2014 gestorben ist. Auf ihren Uniformen steht "OMON" - Special Purpose Police Unit, jene russischen Kräfte, deren Aufgabe es ist, sich den prodemokratischen Demonstrationen in Russland entgegenzustellen; diese Polizeieinheit ist für Verhaftungen und Folter von RegierungsgegnerInnen verantwortlich. Pussy Riot stellt sich damit auf die Seite der Proteste, die daraufhin amerikaweit stattfanden und unter den Hashtags #BlackLivesMatter und #ICantBreathe bekannt wurden. Der Song entstand, als Gruppenmitglieder sich in New York zwecks Musikaufnahmen aufhielten, die Proteste ausbrachen und sie sich sofort zur Solidarität entschieden.
Trotzdem beschleicht mich hier das ungute Gefühl, dass Pussy Riot diesen Einschnitt in der Geschichte der USA für sich genutzt zu haben, um auf eine ziemlich platte Weise um Aufmerksamkeit zu buhlen, und auch ihren Switch zu englischen Musiktexten als politisch motiviert zu verkaufen, obwohl eher finanzielle oder PR-technische Strategien dahinter vermutet werden können.
Und auch hier: Haare, Make-Up, Nagellack, alles sitzt perfekt. Sie verkaufen ihr Produkt mit ihrem eigenen Körper und wirken damit gleichzeitig wie Fliegen in einer Falle und eben gewiefte Businessfrauen. Sie kreiieren ihre eigene Marke, die mit dem Ursprungsentwurf nicht mehr ganz übereinstimmt (was auch ok ist, man/frau entwickelt sich weiter). Aber sie bedienen sich ganz offensichtlich ganz herkömmlicher Marketingstrategien der Konsumwelt: alles, von Autos, Handys, Reisen und Hotels, Marmeladen und Joghurts, Duschkabinen und Wärmepflastern, lässt sich mit einem weiblichen, möglichst etwas weichgezeichnete Haut zeigenden Körper, verkaufen.
 

 

Dabei klingt das Ganze gar nicht schlecht, ein reduzierter, leicht industriell klingender, cool gehaltener Pop-Song, an dessen Produktion Punk-Legende Richard Hell, Nick Zinner (Yeah Yeah Yeahs) und weitere Akteure beteiligt waren. "It's getting dark, New York City..." - sozusagen der Gegenentwurf zu Alicia Keys und JAY-Zs New York-Hymne "Empire State of Mind" aus dem Jahr 2009. Für das Video werden als Inspiration Leute wie Lars von Trier, Gaspar Noé oder David Lynch genannt, und die Konzeptkunst als Motor. Moment - Konzeptkunst? Plötzlich erinnere ich mich an eine der peinlichsten "Kunstaktionen" aller Zeiten: JAY-Zs "Picasso Baby: A Performance Art Film", mit Kunstwelt-A-Promis wie Marina Abramovic oder Jim Jarmusch.

Pop und Kunst sind seit Langem verschwistert - eigentlich seit es Popkultur gibt, taucht sie auch im Kunstkontext auf bzw. inspirieren sie sich gegenseitig. Pop kann subversiv sein (Diederichsen), und eine der Methoden der Subversion lautet: schleiche dich als Feind_in getarnt in des Feindes Territorium ein, um vor dort aus direkt aus der Schaltzentrale zu agieren.
Abgesehen von ihrer kreativen Arbeit haben Pussy Riot nach ihrer Entlassung aus der Haft zwei Organisationen gegründet, die sich für Menschenrechte einsetzen: Zona Prava (eine NGO, die für die Rechte von Inhaftierten, u.a. auch von KünstlerInnen/AktivistInnen kämpft) und Media Zone (eine unabhängige News-Plattform).
Pussy Riot hatte zur Zeit ihrer Festnahme in Russland nur wenige BefürworterInnen (nur 5% der russischen Bevölkerung gab an, dass keine Strafe für sie am angemessensten wäre. Quelle: Wikipedia). Durch ein populäres Image und Gesicht könnte sich dieser Sachverhalt ändern, und ein breites Publikum mit ihren Botschaften in Berührung kommen. Ich denke, Pussy Riot bewegt sich derzeit auf dieser Gratwanderung: Wollen wir hoffen, sie kippen nicht ab.


Anmerkung zum Schluss:
Ein sehr guter, russischer Film über einen David, der in das Rad eines ganzen (politischen) Goliath-Systems gerät, gedreht von einem russischem Regisseur inklusive Putin-Foto an der Wand im Polizeirevier: "Leviathan" von Andrey Zvyagintsev (2014).

* zu dt. Feiglinge, aus dem Hip Hop Slang
(1) http://pitchfork.com/news/58520-pussy-riot-enlist-richard-hell-yeah-yeah-yeahs-nick-zinner-miike-snows-andrew-wyatt-for-eric-garner-inspired-video-i-cant-breathe/
(2) Ebda.