Politik | Autonomie

Kompatschers Selbstbestimmung

Perspektivenlos und schockierend sind Arno Kompatschers Aussagen zur Selbstbestimmung für Teile der Opposition. Eine gute Basis für den startenden Autonomiekonvent?

So nicht, Herr Kompatscher, sagen Freiheitliche und Südtiroler Freiheit zu ihren Erklärungen zur Selbstbestimmung auf der SVP-Landesversammlung. Haben wir zwischen Mehrheit und Opposition eine immer tiefer gehende Spaltung bei den Vorstellungen zur Weiterentwicklung der Autonomie?
Arno Kompatscher. Ich habe eher den Eindruck, dass wir Oppositionsparteien haben, die keine Argumente mehr haben. Und die mir deshalb das Wort im Mund umdrehen müssen, um mich kritisieren zu können. Tatsache ist, dass ich in Meran ausdrücklich betont habe, dass das Selbstbestimmungsrecht ein unverzichtbares Recht der Völker ist. Das steht auch im Grundsatzprogramm der Volkspartei und wir werden und könnten auf dieses Recht nicht einmal verzichten. Doch im Völkerrecht ist das nicht mit einem unmittelbaren Recht auf Sezession gleichgestellt.

Genau in dieser unterschiedlichen Interpretation liegt der Konflikt jedoch offenbar begraben...
Weil von der anderen Seite die zwei Begriffe immer verwechselt werden. Sie müssten endlich lernen, sie auseinander zu halten. Für eine Sezession fehlt derzeit die völkerrechtliche Grundlage, auch aufgrund der Verfassungslage des Staates Italien.

Was also ist Ihr Weg der „inneren Selbstbestimmung“?
Wir gehen den Weg der Europaregion Tirol und stellen damit auch wieder die Landeseinheit her. Doch eben nicht mit einem alten nationalstaatlichen, sondern mit einem europäischen Konzept. Und, wie ich in Meran auch betont habe: Vermeintliche Abkürzungen führen nicht zum Ziel, sondern unter Umständen in den Abgrund.

Das hat Ihnen den Vorwurf eingebracht, Sie würden den Menschen nun auch noch Angst einjagen...
Wenn man daraus das Zitat macht, dass die Selbstbestimmung in den Abgrund führt, ist das auch nachvollziehbar. Doch ich habe das Gegenteil gesagt, die Selbstbestimmung ist und bleibt ein unverzichtbares Recht.

"Ohne Schutzklauseln würden wir unsere vielgepriesene Vielfalt aufs Spiel setzen. Indem ich die Minderheit schütze, garantierte ich die Vielfalt."

In dieser Woche steht im Landtag der Gesetzesentwurf von SVP und PD zum Autonomiekonvent auf der Tagesordnung, der im Zeichen einer möglichst breiten Einbindung der gesamten Bevölkerung in die Weiterentwicklung der Autonomie steht. Doch kann das gelingen, wenn bedeutende Teile der Opposition so andere Vorstellungen darüber haben als die Mehrheit?
Das wird man sehen, möglicherweise gibt es am Ende des Konvents auch einen Minderheitenbericht. Zunächst einmal  ist das Gesetz, das nun von SVP und PD im Landtag vorgelegt wird, ein Prozedurgesetz. Es geht also nicht um Inhalte, sondern darum wie der Konvent eingesetzt wird, wer drinnen sitzen soll, oder dass er innerhalb eines Jahres eine Empfehlungen an den Landtag abgeben soll. Denn der Konvent ist kein beschlussfassendes Organ, sondern wird Empfehlungen abgeben.

Die Freiheitlichen haben bereits nun einen Minderheitenbericht präsentiert, in dem sie unter anderem vor den Gefahren eines Übergangs zu einer „territorialen Autonomie“ warnen, die schlussendlich unseren Sonderstatus und unseren Minderheitenschutz in Frage stellen würde. Berechtigte Befürchtungen?
Nein, weil auch von der Landesversammlung der Südtiroler Volkspartei eine klare Absage an die Territorialautonomie gemacht wurde, das ist uns viel zu wenig. Grundlage unserer Autonomie ist der Schutz der ethnisch-kulturellen Minderheiten in Südtirol und bei diesen Schutzinstrumenten werden wir auch keinen Beistrich ändern und auf nichts verzichten. Klar ist aber auch, dass das Instrument der Autonomie nicht nur als defensives Instrument, sondern auch als Entwicklungsinstrument zu verstehen ist.

Und das heißt?
Dass wir Autonomie auch im Sinne der Organisation des fruchtbringenden Zusammenlebens mehrerer Sprachgruppen und Kulturen verstehen, dass daraus ein Mehrwert entsteht, von dem alle profitieren. Das ist der Teil der Geschichte, der  nach vorne schaut. Doch für ein solches Aufeinanderzugehen braucht es eben zuerst die Garantien und Schutzmechanismen, und deshalb werden wir kein Jota davon abgeben.

So schön es klingt, dass alle davon profitieren – vielfach steht dieser Wunsch eben auch im Widerspruch zu Schutzklauseln für die deutsche und ladinische Minderheit...
Da sehe ich keinen Widerspruch. Ohne Schutzklauseln würden wir unsere vielgepriesene Vielfalt aufs Spiel setzen. Indem ich die Minderheit schütze, garantierte ich die Vielfalt.

"Wir gehen den Weg der Europaregion Tirol und stellen damit auch wieder die Landeseinheit her. Doch eben nicht mit einem alten nationalstaatlichen, sondern mit einem europäischen Konzept."

Aber ich verhindere zum Beispiel mit dem berühmten Schutzinstrument Artikel 19, dass sich diese Vielfalt auch in  einer gelebten Mehrsprachigkeit unserer Jugend ausdrückt.
Nein, da bin ich gegenteiliger Auffassung. Wir müssen den Spracherwerb der Zweit-, aber auch Dritt-, und vielleicht Viertsprache mit modernen didaktischen Methoden verbessern. Aber das bedeutet nicht, dass deshalb das Schutzinstrument in Frage gestellt werden muss.

In jedem Fall wollen Sie mit Permier Matteo Renzi noch im April an Ihren Vorstellungen der Autonomie weiterbasteln?
Ja, ich habe erst am gestrigen Montag mit Matteo Renzi telefoniert und er hat mir noch einmal bestätigt, dass er innerhalb April und sonst allerspätestens in der erste Maiwoche nach Südtirol kommen wird. Er hat nun noch einen Termin bei US-Präsident Obama, der seinen Zeitplan ein wenig durcheinander gebracht hat, doch in jedem Fall  kommt er. 

Und dann gibt es einen weiteren Fahrplan?
Dann gibt es einen weiteren Fahrplan in Form eines politischen Abkommens zwischen der italienischen Regierung und dem Land Südtirol bezüglich der Weiterentwicklung der Autonomie. Ob Wiederherstellung verloren gegangener Zuständigkeiten mittels Durchführungsbestimmungen, Übertragung der Kompetenzen für die Gemeindeordnung an die beiden Länder oder die Thematik Umweltschutz – für all diese Themen wird es in dem Abkommen eine Art Kalender geben,  der festlegt, wie sie schrittweise erledigt werden sollen.

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Roland Kofler Di., 14.04.2015 - 13:51

Bevor die Qualitaetsjournalismus-Auskenner reingöbbeln: der "Obmann" der Vereinigten Staaten heist Obama, nicht Obmana.

Di., 14.04.2015 - 13:51 Permalink
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Harald Knoflach Di., 14.04.2015 - 14:01

sind wir den so antiquiert, dass wir unter "selbstbestimmung" nur ein völkerrechtliches prinzip aus der zeit des ersten weltkrieges (!!!) verstehen können. kann man "selbstbestimmung" nicht auch als bürgerlich-demokratisches recht verstehen (ähnlich der individuellen selbstbestimmung), welches sich die bewohner eines territoriums herausnehmen - scheißegal ob sie "ein volk" sind, oder nicht. volk muss man doch nicht notwendigerweise als ethnos, sondern kann es doch auch als demos begreifen. mich nervt das echt, wie unkreativ und visionslos hier argumentiert wird.

Di., 14.04.2015 - 14:01 Permalink
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Christian Mair Mo., 27.04.2015 - 21:58

Antwort auf von Harald Knoflach

"selbstbestimmung" ist auch und vor allem ein bürgerlich-demokratisches Recht (ähnlich der individuellen selbstbestimmung), welches sich die Bürger, die sich als "demos"begreifen herausnehmen, und zwar in einem kontinuierlichen konstitutiven Prozess. In Übereinstimmung mit dieser Argumentation ist eine Position die gegen eine Abstimmung über einen territiorialen Verbleib völlig legitim, vielleicht sogar essentiell um eine Lösung von Problemen jenseits von Grennzziehungsstrategien zu sehen.

Mo., 27.04.2015 - 21:58 Permalink
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Harald Knoflach Di., 14.04.2015 - 14:04

herr kompatscher, die verfassungsrechtliche grundlage für eine sezession wird es nie geben, es sei denn italien ändert seine verfassung.
das ist ungefähr so, wie wenn eine familie aus einem haus ausziehen will, und die anderen 20 parteien im haus untersagen das besagter familie mit verweis auf die hausordnung, die sie ohne zutun der familie, die ausziehen möchte, erstellt haben. mit demokratie hat das recht wenig zu tun.

Di., 14.04.2015 - 14:04 Permalink
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Harald Knoflach Di., 14.04.2015 - 14:08

ganz lustig:
oben sagt kompatscher "Doch eben nicht mit einem alten nationalstaatlichen, sondern mit einem europäischen Konzept."
wenige zeilen später dann "Grundlage unserer Autonomie ist der Schutz der ethnisch-kulturellen Minderheiten in Südtirol und bei diesen Schutzinstrumenten werden wir auch keinen Beistrich ändern und auf nichts verzichten."
diese schutzinstrumente sind doch nur notwendig, da wir uns in einem nationalstaatlichen kontext befinden, an welchem die svp ja nicht rütteln möchte. kann es echt sein, dass jemandem dieser widerspruch nicht auffällt?

Di., 14.04.2015 - 14:08 Permalink
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Roland Kofler Di., 14.04.2015 - 14:20

Antwort auf von Harald Knoflach

Widersprichts nicht du dich? Der Kompatscher sagt ein europaeisches Konzept muss her, also rüttelt er sehr wohl am nationalstaatlichen Kontext. (ob das mit der Europaregion nicht ein viel zu weiter Weg ist steht auf einem anderen Blatt)
Ich vermute du willst darauf hinaus dass ein Minderheitenschutz mit einer Europäischen Oeffnung nicht vereinbar wäre. Wie wir ja immer wieder sehen, wenn um die "ortsansässigen" herumgetigert wird.

Di., 14.04.2015 - 14:20 Permalink
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Harald Knoflach Di., 14.04.2015 - 15:06

Antwort auf von Roland Kofler

ich sehe bei mir keinen widerspruch. nur bei kompatscher wenn er dem "alten nationalstaatlichen" ein "europäisches konzept" gegenüberstellt und gleichzeitig betont, dass der schutz der ethnischen minderheit die grundlage der autonomie sei.
den minderheitenschutz braucht es doch nur, weil sich italien nationalstaatlich definiert und etwas die norm und etwas anderes - im nationalen sinne - (südtirol) die ausnahme ist. würde ein staat "ethnische merkmale" als privatsache definieren (ähnlich wie das bei der religion oder sexuellen orientierung der fall ist), dann entfällt diese grundlage für die autonomie - weil es sie auch nicht mehr braucht, da "ethnische" und sprachliche diversität und nicht eine im 19. jahrhundert konstruierte homogenität als norm angesehen wird.

Di., 14.04.2015 - 15:06 Permalink
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Roland Kofler Di., 14.04.2015 - 15:24

Antwort auf von Harald Knoflach

Neulich habe ich bei Helmut Schmidt gelesen das das Nationalstaatskonzept viel älter ist als gemeinhin erzählt. Es war halt im 19. Jh besonders modern, jedoch seit den ersten Zivilisationen immer schon ein erfolgreiches Konzept.
Das Italien ein Nationalstaat ist, ist jedenfalls Fakt.
Das die Autonomie existiert um diesen Nationalstaat zu kompensieren, ebenfalls.
Das "Ethnisch" nicht "Privatsache" ist, sondern inherent "Gesellschaftlich" halt ich auch für ausgemacht.
(übrigens gilt das selbe für Religion)
Dass ein "Europäisches Konzept" zuendegelebt die Auflösung der Autonomie bedeuten würde, halte ich für richtig und mutig (visionär). Aber nicht für im Widerspruch stehend zur jetzigen Situation und zum Bekenntnis zur Autonomie im Nationalstaat.

Nachgeschickt: mit meiner Politischen Bildung ist's net weit her, möglich dass ich ein Detail übersehen hab?

Di., 14.04.2015 - 15:24 Permalink
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Harald Knoflach Di., 14.04.2015 - 20:21

Antwort auf von Roland Kofler

1. freilich gründet das prinzip vor dem 19. jahrhundert und auch vor der französischen revolution. aber egal wie alt es ist - man kann das konzept dennoch hinterfragen.
2. im 21. jahrhundert sollten wir doch soweit sein, das gemeinwesen nicht an "angeborenen merkmalen" festzumachen, sondern es dem kollektiven - sprich demokratischen - willen selbstbestimmter individuen zu übertragen.

Di., 14.04.2015 - 20:21 Permalink
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Roland Kofler Di., 14.04.2015 - 21:18

Antwort auf von Harald Knoflach

ad 1.)
Damit ist gemeint dass das Konzept "Nationalstaat" schon länger in der freien Wildbahn erprobt ist, es keine moderne Sache ist. Nota Bene: es geht hier nicht um eine ethische Frage: "ist der Nationalstaat gut?", sondern um "hat er die Zeiten ueberdauert".
Genuine Nichtnationalstaaten gibt und gab es eigentlich selten, meist herrscht oder herrschte eine Ethnie.

ad 2.) "Angeborene Merkmale" seh ich weniger, zwar sind italiener tendenziell etwas kleiner und etwas dunkler, doch es gibt auch grosse blonde. Getrau mich aus dem äusseren nicht auf die Ethnie zu schliessen. Ethnie ist eher eine überlieferte Kulturzugehörigkeit. Damit eigendlich eine Fiktion. Aber Fiktionen sind den Menschen wichtig und sie ermöglichen erst zivilisatiorische Konstrukte wie Recht und Verwaltung.
Es scheint nun so zu sein das die kulturelle Zugehörigkeit ein starke Bindung bewirkt. Das ist nicht nur bei den Südtirolern so sondern auch bei überhaupt allen. Es lässt sich also leicht Politik um Ethnie herum organisieren. Die Utopie das Ethnische aus der Politik auszuklammern, hat nicht mal im Kommunismus funktioniert oder irre ich mich?

Di., 14.04.2015 - 21:18 Permalink
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Harald Knoflach Di., 14.04.2015 - 21:52

Antwort auf von Roland Kofler

logisch ist die ethnie ein konstrukt. mit "angeboren" meinte ich daher nichts biologisches sondern etwas "erzeugtes". und den reinen nationalstaat - im sinne des nationalismus - hat es nie gegeben und wird es nie geben.

Di., 14.04.2015 - 21:52 Permalink