Gesellschaft | La buona scuola

Der unangebrachte Schulstreik

Nach jahrelangen Kürzungen investiert die Regierung drei Milliarden Euro in die Schule. Die Lehrer reagieren mit Streik.

La buona scuola ? No grazie! So stand es am Dienstag auf dem Plakat einer jungen Demonstrantin in Bozen. Der Text ist eine treffende Kurzformel für die geistige Verwirrung, die dem jüngsten Schulstreik zugrundeliegt. Über Jahre klagten Lehrer und Familien über die Kürzungen der staatlichen  Mittel und die Vernachlässigung der Schulen. Jetzt, wo die Regierung erstmals drei Milliarden Euro investiert und 100.000 Lehrer einstellt, gehen die Gewerkschaften auf die Straße. Protestieren dagegen, dass der Schuldirektor mit zusätzlichen Befugnissen zum "faschistischen Podestá" aufgewertet wird. "La riforma non tutela la collegialitá dell' insegnamento", klagt CISL-Chefin Annamaria Furlan. "E' la trincea democratica di una scuola che il governo vuole privatizzare", erregt sich ihre CGIL-Kollegin Susanna Camusso.


Selten war ein Streik unangebrachter. Denn die Regierung  hatte bereits ihre Bereitschaft bekundet, in strittigen Punkten Abänderungen am Gesetz vorzunehmen und die Gewerkschaften zum Gespräch eingeladen. So sollen die geplanten Vollmachten der Direktoren durch ein Kollegium ergänzt und für die Aufnahme der precari ( deren Gesamtzahl auf über 300.000 geschätzt wird) zusätzliche Regeln festgelegt werden.

Dass für die konföderierten Gewerkschaften der Begriff Leistung ein Fremdwort ist, weiß man schon lange. Dass sie die in anderen Ländern seit Jahrzehnten übliche Beurteilung von Lehrern und Direktoren ablehnen, versteht sich von selbst. Ganz zu schweigen von der geplanten Gewährung von Prämien für motivierte und fortbildungswillige Lehrer. 
Für sie ist der Lehrer schlicht und einfach ein Staatsdiener, dessen Kollektivvertrag sie aushandeln. Gute oder schlechte Lehrer existieren  für Camusso nicht. Die Tatsache, daß Private die fünf Promille ihrer Steuererklärung in Zukunft auch Schulen zukommen lassen können, deuten die Gewerkschaften als ersten Schritt zur Privatisierung des Schulsystems. Für den ihnen hörigen linken Flügel des PD ist die Reform "lontana dalla nostra cultura politica".
Zur Schulreform hatte die Regierung  im Vorfeld Dutzende Betroffene und Vereinigungen angehört. Zweifellos hat sie dabei Fehler und Unterlassungen begangen. Nun hat  sie die Bereitschaft bekundet, diese zu korrigieren. Mit einer wichtigen Einschränkung: "Il futuro della scuola non é in mano ai sindacati". 


Italien hatte seit Jahren keine so kompetente und dynamische Unterrichtsministerin wie Stefania Giannini. Die 54-jährige Universitätsprofessorin und Ex-Rektorin ist eine profunde Kennerin europäischer Bildungssysteme. Ihr Projekt "La buona scuola" mag einige Mängel aufweisen, ist jedoch das Beste, was dem teilweise heruntergekommenen italienischen Schulsystem passieren kann.

Susanna Camusso dagegen ist eine altgediente Gewerkschafterin, in deren Sprachgebrauch vor allem ein Wort nie vorkommen darf: merito.
Dass sich zum Schulstreik Gewerkschaften zusammengefunden haben, die sonst ein keineswegs freundschaftliches Verhälnis pflegen, ist bedenklich, beweist aber letztlich nur die sattsam bekannte Tatsache, daß  Italien ein zutiefst reformfeindliches Land ist. Die Tageszeitung Il Messaggero bringt die Lage unter dem Titel "Vecchie liturgie" treffend auf den Punkt: "La scuola prigioniera dei soliti no".

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Wilfried Meraner Mi., 06.05.2015 - 19:25

Herr Mumelter, dieser Streik ist angebracht!
Die Lehrer streiken bestimmt nicht, weil in die Schule mehr investiert werden soll. Man muss sich schon die wesentlichen Gründe ansehen.
Es ist unmöglich, in einem Betrieb der der Öffentlichkeit dient, fast die komplette Entscheidungsbefugnis in die Hand einer einzigen Person zu legen und die LehrerInnen, Eltern und SchülerInnen so zu Statisten zu degradieren.
Dass Gesprächsbereitschaft bekundet wurde, ist natürlich gut - aber wieviel Vertrauen erzeugt ein so verdrehter Reformansatz? Da kann ein deutlicher Aufschrei schon sehr wichtig sein! Ohne deutlichen Protest - wieviel wäre von der Gesprächsbereitschaft wohl noch übrig geblieben?
Und die geplanten finanziellen Mehraufwände muss man sich auch einmal ansehen. Mehr Lehrer einzustellen klingt gut, wenn es sinnvoll und gerecht durchgeführt wird. Aber da gibt es auch Maßnahmen, die viel kosten, nichts bringen und die niemand verlangt hat.
Z.B. : jede Lehrkraft erhält eine Art Scheck, ich glaube es sind 500 Euro pro Jahr, jedenfalls mehrere Hundert, für "schulische Aufwände". Was soll das? Kauf ich mir jedes Jahr einen neuen Laptop "für die Schule"? Es ist sinnlos, mit dem Gießkannenprinzip vorzugehen, die Aufwände beziehen sich nicht auf die Lehrer, sondern auf Projekte usw. Müssen wir nicht sparen? Nachher fehlt es sicher woanders! Auch solche Maßnahmen erzeugen kein Vertrauen.
Eine ganz wichtige Frage: wurden die Betroffenen wirklich genügend einbezogen? Diesen Eindruck gewinnt man eben nicht, wie wären sonst solche Ansätze möglich, die sofort großen Protest erzeugen? Fragt bitte uns Betroffene zuerst, wo es fehlt! Und zwar in einer breiten, einleuchtenden und gut dokumentierten Form. Dieser Aufwand ist notwendig. Sonst wird nirgendwo eine Reform zustande kommen, die gute Unterstützung findet. Dann braucht man sich über "Reformfeindlichkeit" nicht zu wundern.
Redet nicht mit den Gewerkschaften, redet direkt mit den Betroffenen: LehrerInnen, Schülern, Eltern, natürlich auch SchulleiterInnen.
Erfolgreiche, "nachhaltige" Reformen kann man nicht "durchpeitschen". Demokratie ist umständlich, aber notwendig. Das gilt für die Schule genauso wie z.B. für ein Wahlgesetz! Sonst kommt höchstens ein momentaner Scheinerfolg heraus.
Johann Wolfgang von Goethe: "Die Demokratie rennt nicht, aber sie kommt sicherer zum Ziel. "

Mi., 06.05.2015 - 19:25 Permalink
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Gerhard Mumelter Do., 07.05.2015 - 06:24

Antwort auf von Wilfried Meraner

Die öffentliche Diskussion über die 12 Punkte des Projekts La buona scuola wurde am 15. September 2014 eröffnet. Seither wurden dazu Dokumente von 20 regionalen Schulämtern und 115 position papers erstellt und publiziert. Zum Gesetz hat es 2043 öffentliche Diskussionen gegeben. Spitzenreiter war dabei Emilien mit 283, in Trentino-Südtirol waren es 19. Das Unterrichtsministerium hat 55 Anhörungen in allen Regionen durchgeführt. 18164 konkrete Vorschläge zu 16 Themenbereichen wie dispersione scolastica oder formazione dei docenti wurden gesammelt. 207.000 Personen haben im Internet Vorschläge und Anregungen präsentiert. 1,8 Millionen haben sich an der Diskussion beteiligt. Die Kulturkommission des Senats und das Unterrichtsministerium haben über 100 Organisationen und Experten angehört.
Dazu gab es eine Flut von Medienberichten und TV-Diskussionen.

Do., 07.05.2015 - 06:24 Permalink
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Profil für Benutzer Hartmuth Staffler
Hartmuth Staffler Mi., 06.05.2015 - 23:05

Renzi will das Führerprinzip, das er in seiner politischen Arbeit durchgesetzt hat, auch in die Schule einbringen. Das kann man gut finden (wie G. Mumelter) oder ablehnen, wie es Tausende von Lehrern und Schülern tun, die noch an dem anscheinend überholten demokratischen Modell hängen.

Mi., 06.05.2015 - 23:05 Permalink