Meine fast grenzenlose Bewunderung für die deutsche Bundeskanzlerin, unsere "Euro-Mutti", hat proportional zur fortschreitenden Griechenland-Krise abgenommen. Angela Merkel offenbarte, dass sie keine Diskussionskultur besitzt, was angesichts ihrer DDR-Vergangenheit verständlich ist. Daran gewohnt, dass in der Eurogruppe alle zuerst auf die deutsche Delegation blicken, bevor das grosse Kopfnicken beginnt, ersparte sie sich die Mühe, mit den Revoluzzern aus Athen "Tacheles" zu reden.
Zuerst klopfte sie dem linken griechischen Regierungschef freundschaftlich auf die Schulter und versicherte, alles zu tun, damit Griechenland im Euro bleibt. Sie sei sicher, dass Griechenland gerettet werde, betonte sie bei jeder Gelegenheit. Dann begann sie mit einer Schweigephase , die durch einige phrasenhafte Aussagen zur Griechenland-Krise im Bundestag unterbrochen wurde.
Die Bundeskanzlerin wurde zusehends ungeduldiger, blieb den Verhandlungen fern und explodierte, als ihr der griechische Ministerpräsident Tsipras bei einem informellen Treffen auf den Kopf zusagte, Griechenland komme auch ohne sie aus, wenn sie nicht helfen wolle. Schliesslich platzte ihr der Kragen, als Tsipras - überstürzt - ein Referendum ankündigte.
Jedem Normal-Sterblichen können solche Wutanfälle passieren. Nicht aber einer Kanzlerin und nicht Politikern, die dafür bezahlt werden, Lösungen zu finden. Und in dieser Wut forderte sie das griechische Volk dazu auf, beim Referendum mit Ja und damit gegen die Syriza Regierung zu stimmen. Welch ein Fehler!!
Lagen am Montag die Ja-Stimmen für den Euro (laut griechischen Meinungsumfragen) noch bei 65 Prozent, so sind sie nach den Äusserungen der deutschen Bundeskanzlerin auf unter 50 Prozent gesunken. Als die deutsche Delegation nach dem einlenkenden Brief von Alexis Tsipras an die Eurogruppe über die "Kapitulation" der griechischen Regierung jubelte, stiegen die Umfragewerte für das Nein zum Eurogruppen-Vorschlag weiter.
Doch der Rekordhalter in kontraproduktiven und peinlichen Aussagen bleibt EU-Kommissionspräsident Jean-Claude-Juncker. Auch er versuchte sich zunächst als "Griechenland-Versteher". Dann wand er sich beleidigt vom griechischen Finanzminister Varoufakis ab, dem er vorwarf, den Griechen daheim ein falsches Bild von den Eurogruppen-Vorschlägen zu geben.
Varoufakis legte wenig später den Eurogruppen-Text vor und bewies, dass er genau dessen Inhalt vor dem Parlament in Athen wiedergegeben habe. Nur hatte leider Juncker selbst diesen Text nicht gelesen und den ohnehin unbeliebten, griechischen Minister zu diskreditieren versucht. Als die Verhandlungen als gescheitert galten, trat Juncker in Brüssel vor die Presse und beschwor wieder seine Freundschaft dem griechischen Volk gegenüber, sofern es beim Referendum mit Ja stimme.
Der langjährige christdemokratische Parlamentarier Pierferdinando Casini, ein Freund Junckers, schrieb dazu in einem Tweet: Wenn Juncker noch einmal den Mund aufmacht, dann gewinnen die Euro-Gegner hundertprozentig. Und wenn sogar ein Erzkonservativer wie der Forza Italia Abgeordnete Renato Brunetta hofft, dass die Nein-Stimmen gewinnen, damit der von Deutschland beherrschten Eu-Bürokratie ein Dämpfer versetzt wird, dann zeigt sich, wie vergiftet das innereuropäische politische Klima derzeit ist.
"Viva Tsipras" sagte Brunetta, wenn es ihm gelänge, in Brüssel endlich eine Korrektur der verhängnisvollen EU-Austeritätspolitik zu erzwingen.
Sechs Jahre lang haben die Griechen die Weisungen aus Brüssel befolgt und zu kürzen und zu sparen versucht.
Dies das Ergebnis: Die Löhne sind um 37 Prozent gesunken, die Renten wurden um bis zu 48 Prozent gekürzt. 30 Prozent der Stellen im Staatsdienst wurden gestrichen. Der Konsum ist um 33 Prozent zurückgegangen. Im Gegenzug ist die Arbeitslosigkeit auf 27 Prozent und das Staatsdefizit auf 180 Prozent des BIP gestiegen.
Fazit: nicht nur keine Verbesserung der wirtschaftlichen Lage, sondern eine dramatische, fortschreitende Verschlechterung.
Und die EU-Kommission? Die macht munter weiter mit ihrer verkehrten Austeritätspolitik und erfreut sich am Kesseltreiben gegen die griechische Regierung, die es gewagt hat, das falsche Rezept zur Schuldenrückzahlung anzuzweifeln - lautstark und oft ungeziemlich.
Die Binsenweisheit lautet: Nur wenn die Wirtschaft wächst, können Schulden abgezahlt werden. Von nichts kommt nichts.
Das hat die Tsipras-Regierung in Brüssel zu vermitteln versucht. Vergeblich, wie es scheint.