Politik | Griechenland

Nach der Griechenlandkrise: die Fiskalunion

Ganz Europa ist gespannt, wie sich die Griechen heute entscheiden werden. Für das Angebot der Euroländer oder dagegen, wodurch der Grexit näher rücken würde.
Hinweis: Dies ist ein Partner-Artikel und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.

Auf jeden Fall wird man weiter verhandeln, um irgendwie dem Notstand in Griechenland Herr zu werden. Handlungs- und Reformbedarf gibt es aber für die gesamte Eurozone, nicht nur gegenüber Griechenland. Denn eine Währungsunion mit 19 verschiedenen Staatsschulden mit 19 verschiedenen Zinssätzen, auf die die Finanzmärkte ungehindert spekulieren können, kann auf Dauer nicht funktionieren. Einige Länder zahlen sehr niedrige Zinsen, andere unerträglich hohe und kommen von ihrem hohen Schuldensockel nicht mehr runter wie Italien und eben Griechenland. Die Währungsunion ist deshalb dringend zu ergänzen mit der Fiskalunion. Der erste Schritt, die Schuldenbremse, ist längst getan. Der nächste ist fällig: zentrale Bereiche der Fiskalpolitik müssen in die gemeinsame Steuerung und Verantwortung der Euroländer geführt werden.

Dies bedeutet zum einen die Vergemeinschaftung der  öffentlichen Schulden, zum anderen eine gemeinsame Steuerpolitik. Mit dem Euro haben die Mitgliedsländer auf ihre Währungshoheit verzichtet. Das Gegenstück dazu fehlt aber: die Schuldengemeinschaft, damit alle Mitglieder in den Genuss stabiler und niedriger Zinsen auf die öffentlichen Schulden kommen. Hat man diesen Schritt getan, kann nicht mehr jedes Euroland allein sein jährliches Staatsdefizit festlegen, sondern darf nur mehr eine gerechte, gemeinsam ausgehandelte Quote an Eurobonds emittieren. Dafür ist ein europäischer Schuldenfonds zu errichten. Das jährliche Defizit der Mitgliedsländer und der Rhythmus des Schuldenabbaus kann dann in einem demokratischen Entscheidungsprozess entschieden werden, ohne einzelne Mitglieder in den Ruin zu treiben.

Eine Fiskalunion bedeutet aber auch, die Steuerpolitik – soweit es Sinn macht – zu vergemeinschaften. Mehrwertsteuer, Finanztransaktionssteuer, Körperschaftssteuer sowie eine spezifische EU-Abgabe wären unionsweit zu regeln, zumindest fürs Euroland. Man kann sich das für die Eurozone gut nach dem Modell der Schweiz vorstellen. In der Schweizer Finanzordnung sind die steuerpolitischen Zuständigkeiten auch auf drei Ebenen aufgeteilt: Bund, Länder und Kantone. Einkommen- und Vermögenssteuern sind kantonal, die Mehrwertsteuer bundesweit geregelt. Vernünftiger europäischer Steuerföderalismus nach bewährten Mustern ist gefragt. Vor allem die Körperschaftssteuer bedarf dringend einer Euroland-weiten Regelung, um den ruinösen Wettbewerb zwischen den Euroländern zu beenden, der von den Konzernen kräftig ausgenutzt wird.

Wer sollte über diese Fiskalpolitik entscheiden? Joschka Fischer hat den Vorschlag gemacht, eine neue Kammer zu bilden, bestehend aus den Mitgliedern der Finanz- und Sozialausschüsse der Parlamente der Euroländer. Dieses Euro-Finanzparlament hätte die demokratische Kontrolle über diesen Prozess auszuüben. „Wir müssen alles vergemeinschaften, was uns alleine nicht gelingen kann,“ schreibt Thomas Piketty in „Die Schlacht um den Euro“ (C.H. Beck, 2015). Die Staatsschulden, die Eurobonds, die Finanztransaktions- und Körperschaftssteuer, der Kampf gegen die Steueroasen und CO2-Abgaben – das sind einige der Prioritäten. Europa braucht den Euro. Die Griechenlandkrise hat die strukturellen Mängel des Euro nur noch klarer zu Tag treten lassen. Wenn der Euro Bestand haben soll, kann man nach Griechenland nicht zur Tagesordnung übergehen und die nächsten Krisen einfach abwarten.

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Benno Kusstatscher So., 05.07.2015 - 19:59

Danke Thomas! Genau auf diesem Scheidepunkt stehen wir gerade. Hopp oder topp. Erfolgversprechend ist nur hopp. Ob man dieses Organ den Mitgliedsstaaten oder den dem gemeinsamen Parlament unterstellen sollte, ist sicher eine Debatte für sich. Auch sehe ich nicht die zwingende Notwendigkeit für eine flache MWST-Verteilung. Vollste Flexibilität ist möglich, solange nur die Fäden zusammengeführt werden und Aktionen in Absprache erfolgen. Dazu gehört übrigens auch die Kehrseite der Medaille: Wenn ein Staat beginnt, mit Agenda 2010, Lohnbremse, Infrastrukurbremse und Exportpolitik eine schwarze Null anzupeilen, auch der muss das trotz lobenswerter Motivation in Absprache tun.

Ich würde übrigens nicht von "strukturellen Mängeln des Euro" sprechen, sondern von einem Fahrrad sprechen, das umfällt , wenn ihm der Schwung ausgeht. Der Euro fällt um, weil die europäische Integration (fast unvorhersehbar) ausgebremst wurde.

So., 05.07.2015 - 19:59 Permalink
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Martin Daniel So., 05.07.2015 - 20:00

Ein Wunsch nach mehr Europa, dem man nur Erfolg wünschen kann. Der Weg dahin dürfte nämlich steinig genug werden. Eugeni Scalfari hat vor geraumer Zeit einen einzigen wesentlichen Akteur ausgemacht, der auf dieses Ziel hinarbeitet: Der von rechts und links arg gescholtene Präsident der EZB Mario Draghi. Weit vielzähliger sind jene Staatsmänner/-frauen, die zwar lautstark ein stärkeres Europa fordern, aber hintenrum alles tun, um ja keine Souveränität und damit eigene Macht abzugeben. Premier Renzi wäre einer von diesen. Von Merkel behaupten das viele Medien schon lange, sie lenkte Europa ja bereits de facto als Chefin der Lokomotive. Und die Franzosen wären seit jeher apriori gegen jede Verringerung ihrer nationalen Souveränität. Vor allem die Etathoheit wolle man keinesfalls an die unter deutscher Dominanz stehende EU abtreten.

So., 05.07.2015 - 20:00 Permalink
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Alfonse Zanardi So., 05.07.2015 - 20:48

Ich hoffe auch dass DAS Ergebnis der Lösung des griechischen Problems letztlich eine Stärkung der Union - fiskalisch, politisch, emotional – sein wird.

Denn eines ist jetzt schon erreicht: dass es wohl erstmals ein Thema gibt, zu dem alle EU-Bürger eine Meinung haben, das aktuell überall diskutiert wird.
Auch das ist Teil eines Einigungsprozesses: europaweite Themen, europaweite Diskussionen, die Emotionen wecken und Identifikation und Sinn stiften.
Benno nennt das woanders "Romantik".

So., 05.07.2015 - 20:48 Permalink
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Franz Linter Mo., 06.07.2015 - 10:12

Die Entscheidung der Fiskalpolitik in den bisherigen Händen zu lassen wäre nach den Vorkommnissen schon grob fahrlässig. Haben die Parlamente überhaupt die Macht dies umzusetzen und wenn ja sind sie auch willens?
Ich habe heute ein Beitrag von Stephan Schulmeister im Profil (http://www.profil.at/ausland/stephan-schulmeister-griechenland-weg-in-d…)gelesen, der zusammenfasst, wie seit Jahren auf beiden Seiten die Wahrheit gebogen und Griechenland zum Sündenbock Europas wurde.

Mo., 06.07.2015 - 10:12 Permalink