Gesellschaft | Zuflucht

Eine rein private Initiative

Die Boznerin Francesca Castagnetti beherbergt Flüchtlinge bei sich zu Hause. Für sie ist es eine humane Selbstverständlichkeit, auch wenn es nicht immer einfach ist.

Seit 8 Monaten lebt eine Frau zusammen mit Francesca Castagnetti in ihrer Bozner Wohnung, und seit kurzer Zeit ein zweiter Geflüchteter. Francesca möchte keine Namen und auch keine weiteren Angaben zu den bei ihr lebenden Personen machen, denn die beiden haben besondere Schicksale mit viel Gewalt in der Vergangenheit hinter sich, erklärt sie. Ihre beiden Mitbewohner kommen aus dem Süden der Welt und haben es bis nach Südtirol geschafft, wo sie nun legal leben, das heißt, sie haben eine Aufenthaltsgenehmigung aus humanitären Gründen für das Land. Es könnte auch sein, dass bald eine dritte Person einzieht, aber das sei noch nicht sicher.

Francesca Castagnetti ist weder besonders wohlhabend, noch besitzt sie ein Haus oder eine Wohnung mit unzähligen Zimmern, sie betreibt einen Schönheitssalon in der Bozner Innenstadt und arbeitet hart; was jedoch sofort auffällt, ist ihre herzliche Art und die sanfte Ausstrahlung.

„Mein Engagement für diese Menschen, die am Rand unserer Gesellschaft leben, hat einen ganz natürlichen Anfang gehabt,“ beginnt die 44-Jährige ihre Erzählung. Aus Interesse für die Kulturen anderer Länder entwickelten sich Bekanntschaften und später Freundschaften mit Frauen aus Pakistan und Marokko; Frauen, die mit ihren Männern, Kindern und Familien nach Südtirol kamen und hier eine Kultur vorfanden, die wenig bis gar nichts mit jener in ihrem Herkunftsland zu tun hat. „Viele dieser Frauen sind völlig anders sozialisiert als wir hier im Westen und für mich war es erstmal wichtig, diese Sozialisation und ihren Blick auf die Welt zu verstehen.“ Nicht versuchen, unbedingt und sofort eine Anpassung herbeizuführen, sondern erstmal Verständnis zeigen. „Die patriarchalen Muster, denen diese Frauen oft ausgeliefert sind, sind für uns von westlichen Maßstäben Geprägte schwer auszuhalten, etliche der Frauen dürfen ohne Erlaubnis der Männer das Haus nicht verlassen, nur um ein Beispiel zu geben.“

Francesca Castagnettis Art ist es nicht, in solchen Situatonen demonstrativen Widerstand bei den Frauen herauszufordern oder gar die Familie aufzubrechen; ihre Haltung jedoch ist klar: jene der Menschenfreundin und der Gegnerin jeglicher Gewalt. „Ich habe versucht, diese Frauen ein wenig aus ihrem strengen familiären Korsett herauszulotsen, habe sie zu mir eingeladen und wir haben sogar begonnen, miteinander ein Buch zu schreiben.“ Auf diese Weise entsteht Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein bei diesen Frauen und sie könnten beginnen, mit den Freiheiten der westlichen Welt besser umzugehen. Mehr Selbständigkeit, ein eigener Job und eigenes Geld würden ihre Emanzipation voranbringen; idealerweise sollten die Männer eingebunden sein, denn auch das Verhältnis Mann-Frau muss neu begriffen werden.

Diese Freundschaften pflegt Francesca Castagnetti seit Jahren, und sie eröffneten ihr einen Blick auf völlig andere Lebensformen und –einstellungen. Zu Weihnachten des letzten Jahres erhielt ihr solidarisches Engagement einen weiteren Schub: „Da habe ich anstelle von Weihnachtsgeschenken den Frauen in einer geschützen Einrichtung hier in Bozen meine Leistungen als Ästhetistin und Heilpraktikerin angeboten und aufgrund dieser Erfahrungen wurde auch mein Engagment noch einmal intensiver.“ Wer die Augen aufmacht, der sieht, wo Hilfe not tut und Francesca Castagnettis Blickwinkel erweiterte sich von Erfahrung zu Erfahrung. „Ich hatte dann den einen Gedanken, nämlich, was kann ich konkret als Privatperson tun, um nachhaltig einen Beitrag zu geben?“

Es war ein logischer Schritt für sie, den Marginalisierten bei sich zu Hause Unterkunft anzubieten. „Es sind besondere Menschen, die bei mir wohnen,“ meint sie. „Menschen, die ihre Existenz hier sichern wollen, die aber noch mehr brauchen als das.“ Menschliche Nähe, Fürsorge und Schutz, das bräuchten ihre Mitbewohner vor allem und sie ist bereit, es zu geben. „Es kann eine Umarmung sein für jemanden, der seine Familie wahrscheinlich nie mehr wiedersieht, weil er bei der Rückkehr in sein Heimatland den Tod riskiert, oder der Trost für eine Frau, die regelmäßig von den Alpträumen ihrer erlittenen Gewalt aus dem Schlaf schreckt,“ schildert Francesca die Art von Beistand, die sie gibt. „Dies fehlt in unseren Konzepten von Flüchtlingshilfe und Aufnahme von Migranten,“ sagt sie.

Der menschliche Faktor. „Die Sozialdienste und all jene Organisationen die sich um Migranten kümmern, machen einen guten Job, doch können sie niemals die Anteilnahme und psychophysische Unterstützung gewährleisten, die notwendig wäre.“ Sie, Francesca, wolle den Sozialdiensten keinerlei Konkurrenz machen, ihre Wohngemeinschaft sei ihr ganz persönlichen Beitrag zur aktuellen Misere. „Wir wohnen zusammen, vor allem die täglichen Abendessen sind eine gute Gelegenheit des Zusammenseins und des Gesprächs.“ Ihre beiden Mitbewohner sind regulär an ihrer Adresse gemeldet, es ist wie eine WG. „Ich bekomme keinerlei finanzielle Unterstützung oder sonstige Zuwendungen“, stellt sie diese Dinge klar. All das finanziert sie mit ihrem eigenen Gehalt.

Leicht sei die Situation keineswegs und vor allem spüre sie Misstrauen bei den Leuten, bei den Südtirolern. „Es gab etliche Situationen, die mehr als ungut waren und deutlich zeigen, auf welchem Niveau wir hier sind.“ Ein Kellner, der nur sie und nicht die mit am Tisch Sitzenden offensichtlich Andersfarbigen bedient habe oder eine Frau, die in einem öffentlichen Schwimmbad ihren körperversehrten afrikanischen Begleiter anschrie, er solle verschwinden mit seiner Infektionskrankheit. „Das sind harte Bandagen,“ seufzt Francesca. Sie würde gerne ihr Engagement ausweiten, sich eine größere Wohnung nehmen und dort auch anderen Flüchtigen eine Zuflucht bieten. „Ich werde dies anpeilen und hoffe, dass es mir gelingt.“ Für sie ist dies der richtige Weg, um zu helfen, doch versteht sie jeden, der das zu aufwändig findet. „Es geht auch weniger, vielleicht mal zu einem Essen einladen, oder auf andere Weise Solidarität zeigen, das wäre auch schon viel,“, meint sie. 

wie auch Josef Stricker immer wieder betont müssen die Sozialdienste und -organisationen, nicht nur bei der Betreuung von Migrant_innen, weg vom Versorgen hin zum Unterstützen im Sinne des Empowerment und der Hilfe zur Selbsthilfe.

Do., 13.08.2015 - 08:34 Permalink