Politik | Türkei

Mittsommer in Istanbul

Nicht nur in Rom warnt das Innenministerium zu "Ferragosto"regelmässig vor möglichen Terroranschlägen. Auch in Istanbul rief der Polizeichef zu erhöhter Wachsamkeit auf.

Es ist Wochenende, mit vielen ausländischen Urlaubern in einer Stadt, die vor potentiellen Terroristen wimmelt. In Istanbul herrsche erhöhte Terrorgefahr, warnte der Polizeichef der 17 -Millionen-Einwohner Metropole. Die Frage ist nur, um welchen Terror es sich dabei handelt.

Dass sich tausende von IS- Sympathisanten hier in Istanbul  aufhalten, ist verbrieft: in einigen Istanbuler Vierteln, dort, wo die Frauen total verschleiert und die Männer mit Kaftanen und langen Bärten unterwegs sind, wird dem IS offen gehuldigt.

Nicht so in Sulthanamet, bei den grossen Moscheen und rund um die Bazare, wo sich Urlauber den Platz streitig machen. Rund um die Touristen-Attraktionen und die wichtigen Verkehrsknotenpunkte solle man besonders aufpassen, raten die türkischen Behörden. 

Nicht vor IS-Terror wird allerdings gewarnt, sondern vor Anschlägen der kurdischen PKK, dem erklärten Hauptfeind des türkischen Regimes.

Einige der jüngsten Bombenanschläge gehen auf das Konto des PKK, doch mindestens ebensoviele auf jenes der türkischen Geheimdienste und deren politischer Ableger. Sie verfolgen das Ziel,  die öffentliche Meinung wieder gegen die Kurden aufzubringen. 

Die meisten Medien, auch die westlichen, werfen  alle Kurden in einen Topf. Die Grenze zwischen der ins Parlament gewählten HDP und der kommunistischen Arbeiterpartei PKK soll verwischt werden, um alle Kurdenvertreter zu kriminalisieren.

Weil im November wieder Neuwahlen in der Türkei anstehen, versucht das Regime in Ankara, die Stimmung gegen die kurdischen Volksvertreter aufzuheizen, um die verlorenen Stimmen zurückzuerobern.

Dieses schmutzige Spiel wird militärisch "flankiert". Unter dem Vorwand, Stellungen des IS zu bombardieren, hat die türkische Luftwaffe mehrere Dutzende Stellungen der Kurdenmilizen des PKK zerstört. Mindestens 480 Kurden, auch Zivilisten,  sind dabei getötet worden. Fünf hochrangige Perschmerga-Soldatinnen verloren bei den türkischen Bombenangriffen das Leben.

Damit hat die Türkei den Terrormilizen des islamischen Staates einen grossen Gefallen erwiesen. Weil es für die strenggläubigen IS-Terroristen als grösste Schande gilt, von einer Frau verwundet oder getötet zu werden, hat die türkische Armee einige dieser gefürchteten Frauen eliminiert.

Im Gegenzug hat der IS Giftgas ( Senfgas wahrscheinlich) gegen die irakischen Kurden eingesetzt und sich somit bei den türkischen Verbündeten revanchiert, beziehungsweise " bedankt". 

 Es ist eine Generationenfrage, dass sich kaum noch jemand an die entsetzlichen Giftgas-Angriffe des irakischen Diktators Saddam Hussein gegen die Kurden erinnert. Dabei waren hunderte von Zivilisten qualvoll ums Leben gekommen.

Der Diktator wurde gestürzt (jetzt weinen ihm viele nach), doch das Schicksal der irakischen Kurden ist unverändert tragisch. 

Nur Deutschland hat derzeit den Mut, dem türkischen Regime gegenüber selbstbewusst aufzutreten. So will die deutsche Regierung demnächst den Bundeswehreinsatz im Süden der Türkei beenden. Die dort stationierten Patriot-Raketenabwehrsysteme samt der 250 deutschen Soldaten werden abgezogen. Sie waren auf Wunsch der Türkei dort aufgebaut worden, um mögliche syrische Luftangriffe abzuwehren.

Die Gefahr, die mittlerweile vom syrischen Diktator Assad ausgeht, ist unvergleichlich kleiner als jene, die der Islamische Staat darstellt, der sich im irakisch-syrischen Grenzgebiet fest etabliert hat.

Die USA fliegen seit einem Jahr Luftangriffe gegen den islamischen Terror-Staat - mit minimalen  Erfolgen. Erst seit einigen Tagen darf die amerikanische Luftwaffe - obwohl NATO-Mitglied wie die Türkei -  den türkischen Militärstützpunkt Incirlik benutzen. Seit Mittwoch fliegen die US-Jagdbomber von dort Angriffe gegen IS-Stellungen.

Für den Krieg am Boden fehlt den NATO-Staaten der Mut.  Diese gefährliche Mission überlassen sie gerne den kurdischen Kämpfern und Peschmerga,  die dann regelmässig im Stich gelassen werden. 

Zwar liefern einige EU-Länder, allen voran Deutschland, logistische und militärische Unterstützung. Doch mit dem Leben bezahlen die Kurden,  die bei Bedarf, wenn "der Mohr seine Schuldigkeit getan hat", als Terroristen bezeichet werden.

Das Regime in Ankara wird niemals einen ernsthaften Kampf gegen die sunnitischen IS-Terroristen führen, sondern sie weiterhin für eigene Zwecke einspannen. Denn Ziel des türkischen Staatspräsidenten ist und bleibt die Errichtung eines neuen osmanischen Gross-Reichs. Und dafür braucht er den IS, sozusagen als terroristisch-militärische Speerspitze.  

Deshalb ist - wie zu erwarten -  von den gross angekündigten türkischen Angriffen gegen den Islamischen Staat nichts mehr zu hören.

Sie sollten lediglich das eigentliche Ziel, nämlich die Kurden zu schwächen, verschleiern.