Gesellschaft | Minderheiten

Minderheitenschutz lernen

Soviel wie möglich von der Kultur und Politik des Landes lernen und mitnehmen, wollen die 4 Guarani, die einen ganzen Monat lang Südtirol bereisten.

Seit Anfang Oktober sind die vier Guarani-Indianer aus dem Süden Brasiliens in Südtirol unterwegs. Häuptling und Rechtsanwalt Hyral Moreira, sein Sohn Allan Moreira, der als Bergführer arbeitet, der Sprachenlehrer Santiago Oliveira und Therapeut-Medizinmann Alexsander Vacaro kommen aus dem Reservat M'Biguacu, in der Nähe der Stadt Florianopolis, wo die Brixner Margit Brugger seit 2004 lebt; die Politikwissenschaftlerin begleitet die vier auf ihrer Reise durch Südtirol. Sie steht seit langem in engem Kontakt mit den Indios, ihr Wohnort liegt nur 40 Kilometer entfernt vom Reservat. Persönliches Interesse und wissenschaftliche Neugier haben sie zu den Guarani geführt, zu konkreten Zusammenarbeiten im landwirtschaftlichen Bereich, aber auch zur spirituellen Auseinandersetzung mit den Riten und der jahrtausendealten Kultur der Guarani.

Zutiefst überzeugt vom Weltbild der brasilianischen Indios, ist es für die Brixnerin auch nicht verwunderlich, dass die Anwesenheit der vier Indianer so großen Zuspruch in Südtirol ausgelöst hat. „Wir waren jetzt beinahe jeden Tag zu irgendeiner Veranstaltung eingeladen, ja, wir mussten sogar Termine außerhalb des Landes absagen, weil so viele die Guarani sehen und erleben wollten,“ erzählt Brugger, es sei überwältigend, wie tief sich die Südtiroler auf die schamanischen Rituale der Guarani einlassen können. In Schwitzhüttenritualen, Einzelbehandlungen und Gesprächsrunden trafen sich die „Einheimischen“ mit den „Eingeborenen“.

Sich austauschen und voneinander lernen, das sollte der Zwecke der Reise der Indianer sein. „Vor drei Monaten haben sich die Guarani an mich gewandt mit der Bitte, ihnen bei der Planung ihrer Europareise zu helfen. Sie wollten hierherkommen und erfahren, nach welchen Gesichtspunkten sie ihr eigenes, im Reservat lebendes Volk auf einen besseren Weg bringen  können,“ schildert Brugger den Ausgangspunkt der Reise. Das Reservat sei klein, nur 59 Hektar groß und die Böden seien großteils unfruchtbar. Die 28 Familien, die dort leben, können nicht mehr von der Landwirtschaft leben und müssen ihre Unterhalt außerhalb der Gemeinschaft verdienen. So aber gehe das traditionelle Wissen um die Lebensweise der Guarani immer mehr verloren, und die Delegation wolle versuchen, in Südtirol politische Unterstützung zu erhalten.

Südtirol als Land der Minderheiten sei ideal, um den Indianern Methoden und Wege aufzuzeigen, wie sie politisch so handeln können, dass ihre Anliegen ernst genommen werden. Derzeit sei das nicht der Fall, Indios haben in Brasilien keinen Stellenwert und so gut wie keinen Schutz.

In Südtirol gab es mehrere Gelegenheiten, um die politische Struktur des Landes kennenzulernen, es gab Anschauungsunterricht zum Autonomiestatut in der Eurac und am Dienstag, 27. Oktober einen Empfang im Landtag. Abgeordnete Maria Kuenzer stand den Fragen von Hyral Moreira und seinen Stammesgenossen Rede und Antwort und erklärte ihrerseits die Funktionsweise der Volksvertretung in Südtirol. Er wolle, so der Häuptling, alles von der lokalen Kultur aufnehmen, wie Minderheiten behandelt werden und wie sie in ihren Rechten geschützt sind. „Dass wir überhaupt an einem solchen politisch wichtigen Ort sind, ist noch nie vorgekommen,“ sagte Häuptling Moreira, er sei dankbar. „In Brasilien gelten wir indigenen Völker als Störfaktoren für den Fortschritt,“ bemerkte Alexsander Vacaro, „die politisch dominante Klasse wird von Großgrundbesitzern kontrolliert und ist somit gegen die kleinteilige Landwirtschaft  und die traditionelle Anbauweise, wie wir sie betreiben wollen.“ Wasser auf den Mühlen der ehemaligen Landesbäuerin Maria Kuenzer, Abkommen wie der TTIP-Pakt seien genau aus diesen Gründen zu bekämpfen, meinte sie:„Wenn wir uns also gegen das TTIP stellen, dann kämpfen wir indirekt auch für Sie!“

Der Funke zwischen den vier Guarani-Indianern und der Landtagsabgeordneten schien übergesprungen zu sein, beinahe zwei Stunden lang unterhielt man sich; die Indios warben vor allem für eine politische Unterstützung ihrer Anliegen, man sei offen für jegliche Zusammenarbeit. Bis zum 6. November bleiben die vier noch in Südtirol, dann treten sie ihre Heimreise an, mit neuen Erfahrung aus einem Land, in dem die Minderheitenpolitik die maßgebliche ist und nicht hinten ansteht wie in Brasilien.

Am 28. Oktober um 20 Uhr treten Häuptling Hyral Moreira, sein Sohn Allan Moreira, Santiago Oliveira und Alexsander Vacaro in der Eurac auf, mit einem Vortrag über ihre Lebensweise und einem Ritual.