Politik | Türkei-Wahlen

Stabilität - aber um welchen Preis?

Die türkische Regierungspartei AKP hat die absolute Mehrheit zurückerobert. Der Preis dafür war hoch: Menschenleben und die Pressefreiheit wurden geopfert.

Die Strategie der Spannung und des Terrors des türkischen Regimes während des fünfmonatigen Wahlkampfs hat sich ausgezahlt : die islamisch-konservative Partei von Staatspräsident Erdogan eroberte die Mehrheit der Sitze im Parlament zurück, die sie bei den Wahlen im vergangenen Juni verloren hatte. 

Schwer war es nicht, die Türkei mit Angst und Schrecken zu überziehen: das Land grenzt an zwei Kriegsnationen: den Irak und Syrien, aus denen mittlerweile eineinhalb Millionen Flüchtlinge zugezogen sind. Mit den herumirrenden, verzweifelten Kriegsgeschädigten werden die Türken täglich konfrontiert - kein Wunder, dass sie befürchten, als nächste das selbe Schicksal zu erleiden.

Die Aufkündigung des Waffenstillstands mit der kurdischen Arbeiterpartei PKK durch die Regierung in Ankara erzeugte einen idealen " inneren Staatsfeind", nämlich die Kurden, die um ein autonomes Gebiet kämpfen.  Auf die brutalen Bombardierungen von PKK-Stellungen durch  türkisches Militär reagierten die militanten Kurden mit Attentaten auf Polizei und Sicherheitskräfte.

Die von der Regierung kontrollierten Medien schürten geschickt die Angst vor dem " inneren Staatsfeind", nach dem Motto:  wir brauchen einen starken Mann an der Spitze, der Sicherheit und Wohlstand garantiert. Dieser Mann ist Erdogan, dessen Macht durch die Kurden geschwächt wurde.

Die Botschaft kam an, die da lautete: nur ein gestärkter, allmächtiger Erdogan kann die Türkei aus diesem Schlamassel herausziehen  

Dass dafür ein Preis bezahlt werden muss,  hielt die Mehrheit der Türken für akzeptabel.  So ist es mit der individuellen Sicherheit nicht weit her: Oppositionelle werden verhaftet und ermordet, Medien und Justiz stehen unter der Kontrolle der Regierung.

Doch im Gegenzug für den Verlust dieser demokratischen Grundfreiheiten lockte die AKP während des Wahlkampfs mit Versprechen, die geradezu komisch wirkten. Ministerpräsident Davutoglu versprach, jedem ledigen Mann eine Ehefrau zu besorgen.  Jeder Arbeitslose würden einen Job bekommen, die Renten würden verdreifacht usw.

Das errinnert an wenig an den Ex-Cavaliere Silvio Berlusconi, der im Endstadium seiner Macht Steuererleichterungen für Schönheitsoperationen versprach, nachdem er armen Rentnern ein Gratis-Gebiss in Aussicht gestellt hatte.Solche offensichtlich läppische Versprechen greifen aber: bei verzweifelten Menschen, die sich an einen Messias klammern wollen. 

Auch in der Türkei waren in den letzten drei Jahren die Folgen der Weltwirtschaftskrise zu spüren. Ehemalige Zuwachsraten von neun Prozent schmolzen auf sechs, dann auf vier und derzeit auf knappe drei Prozent zusammen.  Der Konsum brach ein, die Arbeitslosigkeit nahm zu. 

Ausländische Investoren verfügten über weniger Geld und verloren zudem nach und  nach das Vertrauen in Erdogan, dessen diktatorischer Regierungsstil  abschreckte. Auch die Nähe Erdogans zum Islamischen Staat und die daraus resultierende Unsicherheit sorgte für die Abwanderung vieler Unternehmen.

Zwar lockte Erdogan weiterhin mit dem Bau von Mega-Infrastrukturen in der Türkei : der dritten Bosporus-Brücke oder dem dritten Istanbuler Großflughafen. Doch hat beispielsweise einer der größten italienischen Baukonzerne, der am Bau der dritten Brücke beteiligt werden sollte, seine Vertretung in Istanbul geschlossen und sich aus der Türkei zurückgezogen.

Möglicherweise bereuen die italienischen Manager jetzt diese Entscheidung. Denn stabil ist die Türkei jetzt wieder - wenn auch unter der diktatorischen Fuchtel Erdogans. Schon beginnen unsere italienischen Bekannten in Istanbul, die in Topkonzernen arbeiten,  den letzthin verteufelten Erdogan wieder zu loben.  Er sei, wenn auch mit vielen Einschränkungen, doch ein Garant für Stabilität, meinen sie jetzt.

Deutsche Wirtschaftskreise  hatten im Vorfeld der türkischen Wahlen von einer Katastrophe gesprochen, sollte Erdogan weiter an Macht verlieren. Jetzt können sie wieder aufatmen.  Sie müssen nur die Augen verschliessen vor : Terror gegenüber den Kurden, Einschüchterung der noch verbliebenen freien Presse und unabhängigen Justiz sowie der Ermordung von Oppositionellen.    

Bild
Profil für Benutzer Franziska Zemmer
Franziska Zemmer Mo., 02.11.2015 - 15:10

Oktavia Brugger's schneidige Feder bringt die Argumente der Opposition auf den Punkt, vergisst dabei auch nicht den wirtschaftlichen Vorteil des Sieges der AKP zu erwaehnen. So ist der Dollar ist von einem Hoch von 3.05 vor ein paar Wochen nach den Wahlen auf 2.80 TL gesunken.
Nun zum "inneren Staatsfeind", die PKK. Wer hat denn eigentlich die Waffenruhe zuerst gebrochen? Wie viele kurdischstaemmige Parlamentarier gibt es in Ankara? Seit wann wird die Kultur und Sprache der Kurden als solche anerkannt? Wer hat es überhaupt ermöglicht, dass es eine Partei wie die HDP überhaupt gibt?
Dreifache Renten? Im Programm hatten sie 100 TL (ca. 33 Euro) als "Zusatzhilfe" oder anders herum, es wurde eine 13. Monatsrente versprochen. Das Wahlprogramm auf der Partei Webseite ist übrigens lesbar und macht eigentlich Sinn. Z.B. das Programm zur Familienhilfe, welches u.a. öffentliche Kindergaerten in allen Gemeinden vorsieht (die es nur ganz selten gibt) und ein Babygeld nach der Geburt. Von verlängerten Karenzzeiten für Mütter war im Radio zu hören.
Nur verteufeln hilft halt auch nicht weiter.

Mo., 02.11.2015 - 15:10 Permalink
Bild
Profil für Benutzer Lupo Cattivo
Lupo Cattivo Mo., 02.11.2015 - 22:16

Die Bevölkerung hat so lange zu "wählen", bis das gewünschte Resultat herauskommt. Regulär hätte die Wahl laut Artikel 77 der Verfassung der Türkei erst im Juni 2019 stattfinden sollen.Weil Erdogan bei der letzten Wahl im Juni nicht die Mehrheit bekam, löste er am 21. August das Parlament vorzeitig auf und setzte einfach Neuwahlen an,na ja die regierungskritischen Medien wurden ausgeschaltet,und die Mehrheit der Türken wurden eingeschüchtert,so kann man eben auch Wahlen gewinnen.
Er wird sich jetzt in seinem Palast mit sage und schreibe 1150 Zimmer,und 40.000 Quadratmeter Fläche ins Fäustchen lachen, 270 Millionen Euro kostete das ganze Ding.Im Mai erklärte das oberste Verwaltungsgericht diesen Bau als illegal.
Von einer demokratischen Republik kann hier wohl kaum die rede sein,und die Kurden....?

Mo., 02.11.2015 - 22:16 Permalink
Bild
Profil für Benutzer Franziska Zemmer
Franziska Zemmer Di., 03.11.2015 - 07:27

Antwort auf von Lupo Cattivo

Ja, bis zum westlichen Verständnis einer demokratischen Republik ist der Weg noch weit. Schauen wir uns nur das Rechtswesen an. Das Parlament wurde nach den Wahlen im Juni nicht aufgelöst, es ist nie zustande gekommen. Nach langen Koalitionsverhandlungen konnte keine Regierung erzielt werden. Es gab zwei Möglichkeiten: die Oppositionsparteien hätten zusammen die Regierung bilden und die AKP in die Opposition schicken können oder eine der Oppositionsparteien hätte mit der AKP in Koalition gehen können. Die Differenzen zwischen den Parteien waren unüberbrückbar.

Di., 03.11.2015 - 07:27 Permalink