Politik | Polemik

Palermos Rede

Was hat Francesco Palermo auf der OSZE-Tagung wirklich gesagt? Nun liegt ein Transkript seines 15-minütigen Redebeitrags vor.

Francesco Palermo könne “nur Südtirol” gemeint haben, als er am vergangenen Donnerstag um 15 Uhr in Wien das Wort ergriff. So zumindest sieht das Heinz Gstrein, der zwei Tage darauf für die Dolomiten von der internationalen OSZE-Tagung zum Minderheitenschutz berichtete. Es sei zwar weder um die Autonomie als solche gegangen, noch sei das Wort “Südtirol” gefallen. Und doch gibt es für Gstrein keinen Zweifel: Francesco Palermo habe die Meinung vertreten, Minderheitenschutz sei überholt und bringe damit Südtirols internationale und nationale Sonderstellung in Gefahr. “Kein Wort von dem, was mir die Dolomiten in den Mund legt ist wahr. Meine Rede hatte nichts, aber auch gar nichts mit Südtirol zu tun”, dementierte Palermo in sämtlichen Medien des Landes. Außerdem habe er es nicht nötig, auf einer internationalen Konferenz in Wien Polemiken über Südtirol zu verbreiten – wenn er das machen wollte, würde er das schon hierzulande tun. Soweit Palermos Dementi.

Doch die Spekulationen über den wörtlichen Inhalt von Palermos Rede rissen auch nach seiner Klarstellung nicht ab. Selbst könne er – “leider”, wie er sagt – nicht nachweisen, was er gesagt habe, so Palermo, der als Minderheitenschutz-Experte und Vertreter des Europarats in Wien vorredete. salto.bz hat nun bei der OSZE als Veranstalterin der Tagung nachgefragt und das vollständige vierseitige Dokument zu Palermos Beitrag erhalten. Die 15-minütige Rede ist in vier Abschnitte gegliedert.


Zeitgemäßer Minderheitenschutz in rechtlich gesichertem Rahmen

In Abschnitt 1 unterstreicht Palermo die Wichtigkeit der Arbeiten des OSZE-Hochkomissars für nationale Minderheiten (engl.: High Commissioner for National Minorities, HCNM) sowie des Europarat-Rahmenübereinkommens zum Schutz nationaler Minderheiten (engl.: Framework Convention of National Minorities, FCNM). In Zukunft solle allerdings ein größerer Fokus im Sinne von Ressourcen und Personal auf die Entwicklung der Minderheitenrechte gelegt werden, so Palermo.

In Abschnitt 2 erklärt er, warum dies aus seiner Sicht nötig ist. Seit 1990 die Kopenhagener Erklärungen in Kraft getreten sind, hat sich die globale Situation entschieden verändert – die heutige Herausforderung sieht Palermo in der “Anpassungsfähigkeit der Instrumente zum Minderheitenschutz”. Nicht zuletzt aufgrund aktueller Entwicklungen wie den Wirtschafts- und Flüchtlingskrisen und der “offensichtlichen Marginalisierung von Minderheitenfragen in der internationalen Agenda, außer wenn Konflikte ‘überraschend’ auftreten wie im Falle von Georgien, Ukraine und Mazedonien”.

In Abschnitt 3 führt Palermo seine Überlegungen zur zeitgemäßen Anpassung der rechtlichen Instrumente für den Minderheitenschutz an. Mit “Anpassung” meint Palermo – im Falle des FCNM und des HCNM – entweder, die existierenden rechtlichen Instrumente neu zu schreiben beziehungsweise zu ergänzen oder aber sie durch fortlaufende Interpretation weiterzuentwickeln. Dabei rät er, “die bereits existierenden [Möglichkeiten] extensiver und wo nötig noch kreativer” einzusetzen. In den vergangenen Jahren sei hingegen zu beobachten gewesen, dass die existierenden Instrumente nur Beachtung fanden, als es schon zu spät war – in Zeiten, wo keine Notsituationen herrschten, seien sie hingegen nicht angewandt worden.

Und dann geht Palermo an jene Stelle in seiner Rede über, die von Gstrein und den Dolomiten zerpflückt und in eigener Sache interpretiert wurde. Er nennt “mögliche Felder” wo er meint, dass eine Anpassung der rechtlichen Minderheitenschutz-Instrumente erforderlich sei. Die main challenges, also die größten Herausforderungen sieht Palermo in folgenden Bereichen:

1. Gesellschaften als Ganzes betrachten und nicht seine einzelnen Teile (Minderheiten)
(…) Es geht jetzt darum, auf Zusammenhalt bedachte Gesellschaften zu bilden. Und das nicht trotz ihrer Vielfalt, sondern wegen ihrer Vielfalt! Ansonsten drohen Nationalismen (sowohl vonseiten der Mehrheiten als auch vonseiten der Minderheiten), Anti-Europäismus, Xenophobie etc. als Folge.

2. Mehr Gelassenheit in den Fragen “Wer sind die Menschen, wer sind die Völker?”
Häufig sind zu strenge Unterscheidungen (z.B. auf Basis der Staatsbürgerschaft) und die Verwendung von Identität und ähnlicher Instrumente nicht hilfreich. Sprache etwa wird zu oft als Mittel zur Exklusion und nicht zur Inklusion verwendet.

3. Der Segmentierung auch in anderen Bereichen Einhalt gebieten
Beispiel beschränkte Erwähnung und Diskussion von Autonomie in internationalen Dokumenten: Es gilt, das Potential territorialer Abkommen, grenzübergreifender Zusammenarbeit, good governance und andere Instrumente zur sozialen Integration, stärker als in der Vergangenheit in Betracht zu ziehen.

4. Gegenseite Hilfe, um bestehende Lücken in den jeweiligen Instrumenten zu füllen


Eifriger Pöder

Einer, der inzwischen auch schon fleißig recherchiert hat, ist Andreas Pöder. Der Bürgerunion-Landtagsabgeordnete hat es sich nicht nehmen lassen, die ersten drei der vier Punkte zu kommentieren. “Durchaus gewagte Thesen”, so sein Fazit. “Francesco Palermo hat das Recht auf eine wissenschaftliche und persönliche Meinung. Allerdings haben andere eben auch das Recht, diese Meinung zu begutachten und zu bewerten”, meint Pöder. Trotz der Nicht-Erwähnung Südtirols münzt er, ähnlich wie Gstrein, Palermos Aussagen auf die kleine Provinz um. Pöders Bewertung sieht nun folgendermaßen aus:

ad 1. Eine durchaus gewagte These für einen Politiker, der in einem Minderheitengebiet und als Kandidat einer Minderheitenpartei u.a. von den Wählern dieser Minderheit gewählt wurde. Als Minderheitenpolitiker muss man wohl zwangsläufig den Teil der Gesellschaft, die Minderheit besonders im Auge haben. Der Vertreter des Staatsvolkes gibt der Gesamtgesellschaft den Vorrang.

ad 2. Ebenfalls eine durchaus gewagte These für einen in einem Minderheitengebiet und von Teilen einer Minderheit gewählten Politiker Minderheitenschutz als mögliche Ursache von Nationalismus, Anti-Europäismus und Rassimus zu betrachten.

ad 3. Gewagt als gewählter Vertreter eines Gebietes, in dem auf der Basis des Pariser Vertrages und des Autonomiestatuts die deutsche Sprachgruppe/Volksgruppe und die ladinische Sprachgruppe/Volksgruppe besonders geschützt werden und natürlich die Sprache wesentliches Unterscheidungsmerkmal zum Staatsvolk ist. Palermo schlachtet damit den Pariser Vertrag, auch wenn er nicht von Südtirol spricht.

Im abschließenden vierten Teil seiner Rede erklät Palermo schließlich, wie für ihn ein zeitgemäßer Minderheitenschutz ausschauen könnte. Dafür brauche es in erster Linie die Zusammenarbeit internationaler und europäischer Institutionen, der einzelnen Staaten und der Minderheitenvertreter selbst. Aber auch die akademische und Zivil-Gesellschaft sieht Palermo in der Pflicht. Denn, so seine Schlussworte: “Wir sitzen alle in einem Boot und wir alle wollen aus Europa einen besseren Ort zum Leben machen.”