Gesellschaft | Polemik

"Wir fahren mit angezogener Handbremse"

Wieso sind die Grünen so still in der Diskussion um Francesco Palermos Autonomie-Sager? Hans Heiss über das Politikersein in Zeiten gezielter Kampagnen und neuer Medien.

Herr Heiss, alle Welt diskutiert über Francesco Palermo und die Tageszeitung „Dolomiten“ und die Grünen schweigen. Warum?
Hans Heiss: Ich sehe es nicht als unseren Job, in eine Diskussion rund um eine Medienkampagne der Dolomiten einzusteigen, die bereits seit geraumer Zeit läuft. Es entspricht auch nicht unserem Stil, aus so etwas Profit zu schlagen.

Zumindest ein großer Teil der deutschsprachigen Opposition hält es damit anders, wie die zahlreichen Pressemitteilungen von Freiheitlichen, Südtiroler Freiheit oder BürgerUnion bezeugen.
Diese Parteien stehen in der Autonomiefrage auch in klarer Gegnerschaft zu den Positionen der SVP – und da wird eben nun der mediale Rückenwind genutzt.

Francesco Palermo ist , wie auch Sie, Wissenschafter und Politiker zugleich.  Kennen Sie die Probleme, die aus der Vermischung dieser beiden Rollen auftreten können?
Ich habe in der Hinsicht keine vergleichbaren Erfahrungen. Doch ich kann mir vorstellen, das es sehr schmerzlich ist, wenn einem die Freiheit der Wissenschaft auf den Kopf fällt. Denn die Wissenschaft lebt auch davon, dass keine Denkverbote auferlegt werden, dass man auch spekulativ agieren kann. Aber wie gesagt: In dem Fall geht es nicht nur darum, dass Palermo in seiner Position als Wissenschafter als Politiker wahrgenommen wird. Hier haben wir es auch mit einer Kampagne zu tun, bei der ein Aufhänger benutzt wird, um die Glaubwürdigkeit einer Person und der von ihr vertretenen Großparteien zu diskreditieren.  In dem Fall war es Francesco Palermo, ein anderes Mal Karl Zeller oder sonst jemand. Die Kernthematik selbst gerät dabei vollkommen aus dem Blickfeld.

Dieses Schema der Dolomiten ist bekannt. Doch wenn wir die Reaktion der anderen Medien und in Sozialen Netzwerken miteinbeziehen: Wird es immer schwieriger für das Medienhaus Athesia, damit auch die erwünschte Wirkung zu erzielen?
Die frühere Feuerkraft jedes Printmediums ist durch neue soziale und auch Online-Medien sicher stark relativiert. Wenn die Dolomiten jemanden früher in dieser Form angeschossen hätten, hätte dies eine politische Invalidität nach sich gezogen. 

Francesco Palermo wäre also politisch erledigt gewesen?
Ja. So ist es dagegen eine Breitseite, und die Leserschaft weiß, dass in regelmäßigen Abständen Kampagnen geritten werden, dass diese auch einen politischen Zweck verfolgen und nicht nur der Nachrichtenverbreitung und der Berichterstattung dienen. Der politische Zweck ist evident und das wissen die Leser inzwischen auch.

Francesco Palermo kann heute im Gegensatz zu früher auch seine Sicht der Dinge über den eigenen Videokanal verbreiten. Dennoch ist das nur eine Seite der Medaille. Inwiefern beeinflussen neue Medien die Politik auch negativ?
Sie bringen eine ständige Kontrolle und eine Menge neuer Angriffsflächen. Eine solche mediale Schein-Transparenz führt dann vor allem in bestimmten politischen Positionen zu einer Übervorsichtigkeit und jeder Menge an Selbst-Zensur. Wir Politiker fahren sicher mit angezogener Handbremse und die Entschiedenheit und Klarheit der Positionen wird dadurch auch vielfach verwischt.

Erleben Sie das an sich selbst, zum Beispiel im Vergleich zur letzten Legislaturperiode?
Ich erlebe einen neuen Politikertypus, der weniger Angriffsfläche bietet, bedachter agiert. Und damit werden die Gegenpositionen entsprechend schwieriger.  Arno Kompatscher oder Philipp Achammer sind sicherlich Kinder dieser medialen Ära, während Luis Durnwalder mit seiner Mischung aus Grobheit und Wahrheitsverdrehung viel mehr Angriffsfläche geboten hat.

Das heißt Opposition macht heute weit weniger Spaß?
Opposition ist schwieriger geworden, weil die Positionen auch austauschbarer geworden sind. Sowohl bei der Mehrheit als auch teilweise bei der Opposition, und das ist bedauerlich. Es gibt eben viel Opportunismus, Zurückhaltung und den Versuch, auf Medienwellen mit zu schwimmen.

Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den eigentlichen  Thema, wie nun der Autonomie, findet dagegen gar nicht statt...
Ja das geht ziemlich den Bach hinunter.  Das ist das Kernproblem. Vor allem wenn dann ein Angeklagter wie Francesco Palermo in so einer Kampagne nicht einmal selbst zu Wort kommt, ist das schon schwerwiegend.

Wo stehen die Grünen im aktuellen Kampf um die Autonomie. Sie agieren da immer recht zurückhaltend. Weil Sie vollauf zufrieden mit dem Kurs der SVP sind?
Für uns liegt die zentralistische Ausrichtung der Verfassungsreform genauso auf der Hand wie der Fakt, dass Südtirol relativ weniger Bündnispartner hat und die SVP dem PD in seinen Positionen sehr stark entgegenkommt. Dennoch sehen wir allein im Vergleich zum Vorjahr deutliche Fortschritte, wie etwa mit dem Sicherungspakt zum Finanzabkommen.  Das heißt, wie erkennen auch an, dass das politische Zweckbündnis mit dem PD auch Sicherheiten bringt und der Versuch, die Autonomie step by step weiterzuentwickeln ein gangbarer Weg ist. Doch wie gesagt: Im Einzelfall gibt es dann auch aus Grüner Sicht einiges zu optimieren und zu kritisieren. 

Wie schwierig  ist es aber, die Autonomie im aktuellen Klima weiterzuentwickeln, in dem diesmal von Kräften außerhalb der SVP ganz stark auf Ängste vor Verlusten von Eigenständigkeit  oder eben auf die Verheißung Selbstbestimmung gesetzt wird?
Die Grundhaltung der Südtiroler Bevölkerung ist sicherlich vielfach stark von Angst geprägt. Und  es hat sich eben als recht erfolgreiche Strategie erwiesen an diese Angst zu appellieren, in Hinblick auf die Integration, in Hinblick auf die Autonomie. Das Problem ist,  dass damit die Potentiale der Autonomie kontinuierlich kleingemacht werden. Ich erinnere nur daran, dass die Südtiroler Freiheit erst vor ein bis zwei Jahren noch den wirtschaftlichen Untergang Italiens gepredigt hat. Und davon kann keine Rede sein heute. Ich glaube, unsere wichtigste Aufgabe ist es heute, der Autonomie ein wenig den Charakter des Schutzpanzers zu nehmen und ihr Potential deutlicher heraus zu schälen. Ich hoffe, dass das auch im Rahmen der Diskussion des Autonomiekonvents möglich sein wird. Denn wir brauchen eine solche Art von Agendasetting, sonst bleiben wir in der Defensive stecken.