Luchse in der Kulturlandschaft
Ein junger Luchs und seine wachsame Mutter dahinter – meistens sind Luchse noch viel unauffälliger. Von Natur aus sehr heimlich, bewegen sie sich fast immer unbemerkt von Menschen, auch wenn sie in Siedlungsnähe unterwegs sind. Zwischen Sträuchern und Bäumen verschmilzt der Luchs durch seine Fellzeichnung mit der Umgebung. Häufig sind Luchse nachts unterwegs und können mit Füchsen und anderen mittelgroßen Tieren verwechselt werden. Fridolin Zimmermann von der Forschungsstelle für Wildtierökologie und Raubtiermanagement KORA in der Schweiz stellte im Naturmuseum Südtirol die Schweizer Luchspopulation vor (1. Oktober 2015, „Der Luchs in der Kulturlandschaft“).
Er und seine Forschungsgruppe gehen von etwa 110 Luchsen aus. Die Schweizer Luchse sind für den Alpenraum wichtig, weil es die größte im Alpenraum ist, von Slowenien abgesehen. Das langfristige Ziel, die Erhaltung des Luchses im Alpenraum zu sichern, sieht die Verbreitung über den ganzen Alpenbogen vor, wo geeignete Lebensräume sind, von Frankreich bis Slowenien, von Deutschland bis Italien.
Seit dem 19. Jh. war der eurasische Luchs in Mitteleuropa ausgerottet. Das hängt mit dem Anstieg der Bevölkerung auch in den alpinen Tälern zusammen, die Wald rodete um Acker- und Weideflächen zu gewinnen, Holz schlug um zu heizen, um Manufakturen und Bergwerke zu befeuern. Rehe und Gämsen, von denen sich Luchse vor allem ernähren, wurden durch schwindende Habitate und durch die Jagd auf sehr kleine Bestände reduziert, die Regierung zahlte Prämien für getötete Luchse. Im 20. Jh. veränderte sich sehr viel in der Wirtschaftsweise; Waldschutz und Forstpläne sicherten die wachsenden Waldbestände. Wilde Paarhufer wurden angesiedelt und die Jagd geordnet.
Warum verbreiten sich die Luchse nicht ohne menschliches Zutun innerhalb der Alpen? Anders als bei Wölfen wandern ganz wenige junge Luchse, wenn sie das Territorium der Mutter verlassen, weit ab. Ein männliches Tier streifte dabei auch Südtirol und ist zwischen 2007 und 2015 im Trentino nachgewiesen. Dieser Luchs – B132 – trägt ein Halsband mit GPS-Sender. Als Zweijähriger (mit drei Jahren ist ein männlicher Luchs erwachsen) lief der Luchs von der Nordost-Schweiz nach Lichtenstein ins Engadin in den Schweizerischen Nationalpark und weiter ins nordwestliche Trentino, über 200 Kilometer. Die meisten Luchse, auch die männlichen, bleiben in der Nähe der Territorien, in denen sie aufwuchsen, dort ist ihnen die Landschaft vertraut. Oder sie setzen ihr Territorium angrenzend zur bereits besiedelten Fläche. Auch aus biologischer Sicht bringt eine sehr weite Abwanderung einzelner Luchse wenig, sie mögen vielleicht überleben, aber treffen auf keine Paarungspartner.
Am Beispiel der Luchse lässt sich testen, ob innerhalb der Alpen ausreichend zusammenhängende Areale bestehen, über die sich Wildtiere – und Pflanzen – natürlich verbreiten. Dem ist nicht so. Es bräuchte daher mehr Trittstein-Biotope innerhalb einer fragmentierten Kulturlandschaft. Trittstein-Biotope sind wie Steine in einem Bach, sie ermöglichen die Querung von stark bewirtschafteten Arealen.
Daher helfen Umsiedlungsprojekte nach. Die Schweizer Luchse stammen alle aus der Slowakei; sie wurden in mehreren Phasen seit den 1970er Jahren in gebirgigen Landschaften freigelassen, wo zusammenhängende Wälder bestanden. Die Zahl der ausgesetzten Tiere war sehr klein. Es wurden mehrmals Hochstandphasen in der Luchspopulationen in der Schweiz beobachtet; die letzte fand Ende der 1990er Jahre in den Nordwestalpen statt. Im Durchschnitt beanspruchte dort ein männlicher Luchs 146 und ein weiblicher Luchs 94 Quadratkilometer. Wächst die Population, steigt der Druck auf die jungen Luchse, sie suchen sich nun auch weniger bewaldete Flächen auf um ihr Territorium zu etablieren. Es scheint eine Tradierung zu geben: Jungtiere, die in weniger bewaldeten Gebieten aufgewachsen sind, suchen später ähnliche Territorien. Vereinzelte Luchse bewegen sich durchaus auch durch fragmentierte Wälder, überqueren Flüsse und Straßen, leben in Waldinseln in der Nähe von Siedlungsgebiet. Treffen sie aber auf zu viele Hindernisse und finden kein Habitat, in dem sie ungestört sind und genug jagen können, kehrten die Luchse in die Nähe des mütterlichen Territoriums zurück. Fachleute nennen dieses Verhalten zirkuläres Dispersal.
Da auch Luchsforscher Luchsen kaum begegnen, folgen sie Spuren im Schnee, selten in der feuchten Erde, untersuchen Risse und tote Luchse. Luchse zu fangen, zu betäuben um GPS-Sender anzulegen und über die Signale die Bewegungsmuster der Luchse zu erfahren, ist eine aufwändige, invasive Methode, die sich auf wenige Tiere beschränken muss. Da jeder Luchs eine ganz individuelle Fellzeichnung hat, nützen die Schweizer Luchsforscher immer mehr die Aufnahmen mit „Fotofallen“ um ihre Anzahl zu schätzen. In Luchsterritorien sind Kameras montiert, die die Präsenz der einzelnen Tiere über zwei Monate registrieren. Wildhüter, Jäger und geschulte Freiwillige warten die Kameras.
Für die Forscher wäre aufschlussreich, einen länger dauernden Hochstand an Luchsen beobachten zu können, vielleicht ziehen die Jungluchse erst in neue unbekannte Gebiete, wenn sie im Heimatareal gar kein Territorium „erluchsen“. Wildbiologisch wäre die Fragestellung spannend, jedoch können solche Hochstandphasen selten über längere Zeit aufrecht erhalten bleiben. Die Konflikte, die dadurch mit der lokalen Bevölkerung entstehen, führen zu illegalen Handlungen. Nun schlagen Luchse nicht Schafe, solange sie genügend Rehe oder Gämsen finden (in mehr alpinem Gebiet ernähren sie sich überwiegend von Gämsen). Untersuchungen ergaben, dass Luchse vorwiegend unaufmerksame Tiere reißen, die Kondition der Beutetiere spielt keine Rolle. Die Rehe und Gämsen veränderten ihr Verhalten, seit die Luchse wieder auf sie Jagd machen. Sie sind vorsichtiger und fluchtbereiter geworden, daher verteilen sie sich besser auf die Landschaft, was der Vegetation hilft sich zu regenerieren. Luchse spielen eine Rolle für die Walderhaltung, vor allem für die Waldverjüngung, weil sie die Zuwachsrate an Rehen begrenzen.
Für die Kleinviehzüchter ist der Luchs weniger Thema, da Luchse kaum Schafe angreifen und Herdenschutz aufgebaut wird, seit mit Wölfen zu rechnen ist. Unverständnis und Kritik äußern vor allem Jägervereinigungen in der Schweiz; illegale Abschüsse (25% an toten Luchsen gehen auf Wilderer zurück) machen den größten Anteil an Luchsverlusten aus (zum Vergleich: 21% der Luchse sterben durch Verkehrsunfälle, 11% an Krankheiten, 12% an Unfällen, die nicht mit der Zivilisation zusammenhängen wie Lawinen, 5% an genehmigten Abschüssen, alle Angaben beziehen sich auf Schweizer Statistiken). Die Jäger sehen im Luchs einen Konkurrenten um die Reh- und Gämsenbestände. Innerhalb von Gebieten, wo Revierjagd besteht, können weniger Abschüsse an Gastjäger verkauft werden. Das ist auch der Grund, warum das Luchsprojekt in den österreichischen Kalkalpen von zahlreichen Jägern und Revierbesitzern nicht mitgetragen wird. Vier männliche Tiere wurden sehr wahrscheinlich gewildert, zwei davon tauchten in der Kühlzelle eines Trophäenpräparators auf. Luchs Klaus könnte auch eines natürlichen Todes gestorben sein. Seitdem kreuzen sich die weiblichen Luchse auch mit ihren Brüdern und Söhnen. Das führt zu Inzuchtdepression: Fehlbildungen und mangelnde Resistenz der Population (für veränderte Umweltbedingungen, Krankheitserreger). Die Schweizer Populationen weisen ohnehin schon weniger genetische Vielfalt auf als die slowakischen Ausgangspopulationen, zeigen bisher aber keine Anzeichen an Inzuchtdepression.
Und Südtiroler Luchse?
Luchse brauchen sehr große Territorien, im Schnitt rechnen Luchsforscher zwei selbständige Luchse auf 100 Quadratkilometer. Es ist gut denkbar, dass einzelne Luchse aus den Nachbarregionen nicht nur durch Südtirol ziehen, sondern grenzüberschreitende Territorien durchstreifen. Es gibt Hinweise für Luchse, aber keine gesicherten Belege. Und keine Luchsforscher, die ganz gezielt nach Luchsen suchen.
http://www.kora.ch Stichwort Luchs (Fotos, Verbreitungskarten, Monitoring, weitere Informationen)
www.naturmuseum.it „Wild, frei und mobil. Fotoausstellung von Florian Schulz. Tierwanderungen und Naturkorridore in Nordamerika ergänzt mit Beispielen aus den Alpen“ bis 31.01.2016 geöffnet.
Der Luchs ist mein
Der Luchs ist mein Lieblingstier. Wie ist die Gefahr einer Luchsattacke gegenüber dem Bären oder dem Wolf einzuschätzen? Wie sind die Auswirkungen zu vergleichen?
Ich möchte auch die Theorie von Josef Reichhold für interessant einwerfen, dass der Jäger die Fauna Wald schädigt nicht pflegt.
https://youtu.be/-Ls-m1kDwVY?t=2m50s
Antwort auf Der Luchs ist mein von Dr. Streiter
Sie meinen, ob Luchse u.U.
Sie meinen, ob Luchse u.U. Menschen angreifen? Fachleute, die sich Jahrzehnte mit Luchsen beschäftigen, verneinen das. Auch für Luchse trifft zu wie für viele andere: Sind sie an Tollwut erkrankt, nähern sie sich und können beißen, das ist der Effekt der Krankheit. Zur Zeit ist die Tollwut in Südtirol, im Alpenraum, in Europa nicht aktuell dank der Impfbissen, die auslegt wurden. Eine Luchsin würde bei Störung ihre Jungen verteidigen. In den osteuropäischen Ländern, in denen es Lizenzjagd auf Luchse gibt, können Unfälle mit angeschossenen Luchsen vorkommen wie mit Braunbären oder Wildschweinen.
In weitgehend naturbelassenen Lebensräumen kommen alle drei vor, Luchs, Wolf, Bär. Dass die größeren Beutegreifer einem Luchs die Beute einmal abnehmen, wie es zwischen Wölfen und Bären auch vorkommt, ist Teil eines harten Alltags. Finden die unterschiedlichen Arten von Beutegreifern ausreichend Nahrung und Rückzugsmöglichkeiten, sind sie im selben Territorium keine Konkurrenten.
Zu den Untersuchungen von Prof. Reichhold stimme ich Ihnen zu, für Südtirol ist die Winterfütterung weniger gängig als für die Revierjagd in Österreich oder Bayern. Aber Jagd ist ein sehr kompliziertes Thema, v. a. wenn die wirtschaftliche und politische Seite der Jagd nicht offen diskutiert wird.