Politik | Kommentar

Die Pannen der Partizipation

Ausgerechnet jetzt, wo der Konvent der 33 in die Gänge kommt, hat seine Glaubwürdigkeit einen Tiefpunkt erreicht.

Dass der Macher Luis Durnwalder kein ausgesprochener Fan partizipativer Prozesse ist, liegt auf der Hand. Sein gnädiges Einwilligen in die Ernennung zum Mitglied des Konvents der 33 demonstriert jedoch mehr als nur seinen ganz persönlichen, sagen wir, an kollektiver Entscheidungsfindung relativ uninteressierten Regierungsstil. Durnwalder hat seine Wahl mit der Verwunderung quittiert, mit der ein Vegetarier eine knusprige Schweinshaxe entgegennimmt. Mit spitzen Fingern nahm er das neue Amt an. “Ich erwarte mir nicht weiß Gott was”, sagte der Altlandeshauptmann am Tag nach der Wahl zu salto. Seine Skepsis ist symptomatisch für die Stimmung, die im ganzen Land herrscht, seit die komplexe Partizipationsmaschinerie angelaufen ist.

Von Beginn an haben Misstrauen und Gleichgültigkeit den Konvent begleitet. Die Open Spaces, vom Gesetzgeber gedacht als Diskussionsforen für die Zivilgesellschaft, wurden nur von einem kleinen Teil der Bevölkerung als reale Möglichkeit wahrgenommen, tatsächlich auf die Überlegungen rund um das neue Südtiroler Autonomiestatut Einfluss zu nehmen. Dass die patriotischen Südtiroler Parteien und Vereine dabei im Vergleich zu ihrem gesellschaftlichen Gewicht überproportional vertreten waren, kann ihnen nicht ersthaft zum Vorwurf gemacht werden: Wer mitmacht, redet mit, so funktioniert Demokratie. Weil politisch organisierte Geister aber zu vorgefassten Meinungen und vorformulierten Thesen tendieren, entstand bei manchen Open-space-Teilnehmern der Eindruck, dass ein echter Dialog mit dem patriotischen Lager gar nicht möglich sei. Auch die Themenauswahl für die Diskussionsgruppen wurde durch die zahlenmäßige Stärke der Selbstbestimmungsbefürworter beeinflusst. Was als Ideenpool für die Reform des Autonomiestatuts angekündigt war, wurde so nicht überall, aber doch öfter, als es wünschenswert gewesen wäre, zu einer Arena, in der Unvereinbares aufeinandertraf: Hier die Befürworter der mehrsprachigen Schule, dort die Hüter von Artikel 19 des Autonomiestatuts, hier die Totengräber des ethnischen Proporzes, dort die Geburtshelfer des Freistaates Südtirol. Die starke Motivation der deutschen Opposition einerseits und die Verzichtshaltung bestimmter Bevölkerungskreise, allen voran der italienischen Sprachgruppe, andererseits hatten zur Folge, dass das, was in den Open Spaces diskutiert wurde, nicht ein realitätsgetreuer Spiegel, sondern wohl eher ein Zerrbild dessen war, was sich die Bevölkerung tatsächlich für die Zukunft Südtirols wünscht.

Die SVP, als mitgliederstarke Mehrheitspartei im Land theoretisch ein gewichtiger Diskussionspartner in den Open Spaces, hat in der ersten Phase des Autonomie-Konvents nicht durch eifriges Mitmachen geglänzt. Ob diese Zurückhaltung als Desinteresse zu werten ist oder als Zeichen, dass die Südtiroler Partei, die mit Abstand die größte Regierungsverantwortung trägt, nicht viel von Mitsprache der Bürger hält, sei dahin gestellt. Als dann aber die Ziehung der Namen für das Forum der Hundert näher rückte, muss in der Volkspartei der Eindruck entstanden sein, dass der Konvent-Zug womöglich ohne sie abfährt – und zwar vollbeladen mit Vertretern der überaus motivierten deutschen Opposition. In der allerletzten Registrierungswoche langten bei der EURAC schlagartig ebensoviele Bewerbungen ein wie in der ganzen Zeit davor. Die SVP hat erklärtermaßen hunderte Funktionäre en bloc fürs Forum der Hundert registriert - eine Art Massen-Einschreibung, von der die Süd-Tiroler Freiheit behauptet, sie sei zumindest zum Teil ohne Mitwissen der Betroffenen von oben veranlasst und zentral umgesetzt worden. Sogar einen ahnungslosen Landtagsabgeordneten soll die Volkspartei aus Versehen angemeldet haben. Die STF ließ sich die Chance nicht entgehen, politisches Kapital aus ihrer Entdeckung zu schlagen, und reichte eine gerichtliche Eingabe gegen die Registrierungen der SVP ein. Das Foto, das die Landtagsangeordnete Myrian Atz-Tammerle mit ihrer Eingabe vor dem Landesgericht Bozen zeigt, wurde zum Sinnbild des Vetrauensverlustes rund um den Konvent. Egal, ob der Vorwurf  der STF stimmt oder nicht - der Marschbefehl an die Parteimitglieder Richtung Forum der Hundert ist ein deutliches Zeichen dafür, wie hölzern, ja fast hilflos die SVP auf den partizipatorischen Prozess zugegangen ist, den sie selber im Autonomie-Konvent-Gesetz designt hat.

Ein Prozess, dessen Regeln nicht unumstritten sind und – zumindest indirekt – dafür gesorgt haben, dass eine Tochter tunesischer Einwanderer und ein Welschtiroler Träger des Tiroler Adlers im Konvent der 33 - jenem Organ, das nun über das Autonomiestatut der Zukunft beraten soll – Südtirols italienischsprachige Bürger repräsentieren. Denn als das Forum der Hundert zusammentrat, um seine Vertreter für den Konvent der 33 zu bestimmen, stellte sich das heraus, was das Präsidium vorab nicht mitgeteilt hatte: die acht Sitze, die dem Forum der Hundert im Konvent der 33 zustehen, wurden zwar gemäß Proporz auf die drei Sprachgruppen verteilt, abgestimmt wurde jedoch sprachgruppenübergreifend. Anders gesagt: die deutsche Mehrheit hatte rein rechnerisch die Möglichkeit, die Wahl der italienischen und ladinischen Vertreter zu entscheiden. Das Ergebnis lässt die Vermutung zu, dass dies zumindest teilweise auch geschehen ist. Im Forum war der Unmut darüber deutlich spürbar. Ohnehin sind die arithmetischen Verhältnisse im Konvent der 33 aus Sicht der Zivilgesellschaft, deren Interessen die Hundert doch vertreten sollen, nicht ermutigend. Denn den acht Forums-Vertretern sitzen im Konvent der 33 ganze 25 vom Landtag (auch nach politischen Kriterien) gewählte Mitglieder gegenüber. Dass man sich da als einfacher Bürger nicht erst genommen fühlt, ist nicht verwunderlich.

Die Wahl Durnwalders in die Runde der 33 Autonomie-Reformierer war der bislang letzte Streich der Politik und nicht unbedingt das geschickteste Signal des Konvents an die Gesellschaft. Der Coup der SVP hat etwas Rückwärtsgewandtes - wenig vielversprechend für ein Gremium, das den Blick in die Zukunft richten soll. “Ich hätte gerne, wenn vorher politische Abmachungen darüber getroffen werden, was durchgeführt wird oder nicht,” sagte Durnwalder zur Arbeit, die nun den Konvent erwartet. Man muss ihm für die fast schon brutale Aufrichtigkeit danken, mit der er uns auf den Boden der real existierenden Autonomiepolitik herunter geholt hat.

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Benno Kusstatscher So., 10.04.2016 - 10:48

Diese Disagio-Rhetorik wird auch nicht konstruktiver, nur weil sie in deutscher Sprache und kursiver Schrift dargelegt wird. Sich endlich einmal mit den Inhalten der Open Spaces bzw. der Konvent-Webseite journalistisch ernsthaft außeinander zu setzen, hielte ich für eine größere Verbeugung gegenüber der Partizipation, anstatt dauernd auf den Fehlbarkeiten des zarten Pflänzchens herumzutrampeln.

So., 10.04.2016 - 10:48 Permalink
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Salto User
Sepp.Bacher So., 10.04.2016 - 10:55

Wenn ich mich richtig erinnere, haben wir den Konvent - oder besser gesagt, den Versuch, die Bevölkerung bei der Erneuerung des Autonomie-Statutes zu beteiligen - dem LH Kompatscher und seinem Vize LR Theiner zu verdanken. Es scheint aber, dass genannte Verantwortliche vor ihrem eigenen Mut und Veränderungs- und Erneuerungswillen Schiss gekriegt haben.

So., 10.04.2016 - 10:55 Permalink
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Harald Knoflach Mo., 11.04.2016 - 13:15

"... hier die Totengräber des ethnischen Proporzes, dort die Geburtshelfer des Freistaates Südtirol."

das versteh ich nicht ganz. wäre in einem unabhängigen südtirol außerhalb eines nationalstaates mit Minderheitenschutz nicht die wahrscheinlichkeit viel höher, dass es keinen proporz mehr gibt, weil es ihn tatsächlich nicht mehr braucht?

Mo., 11.04.2016 - 13:15 Permalink