Wenn Silvio Berlusconi in wenigen Monaten seinen 80. Geburtstag feiert, kann er auf eine bemerkenswerte, fast 25-jährige Karriere zurückblicken, der eine seltsame Besonderheit anhaftet. Auch mit der deutlichsten Mehrheit in der Geschichte der Republik war der Cavaliere nie imstande, Italien zu regieren. Seine nicht historisch gewachsene, aus den Wirrnissen der mani pulite hervorgegangene Partei war über Jahre Schauplatz von Flügelkämpfen und Intrigen.
Berlusconi hat sie alleine regiert, die Parteitage zu Huldigungszeremonien degradiert, die Frage der Nachfolge sträflich vernachlässigt. Dass er seine Partei jetzt eigenhändig beerdigt, ist symptomatisch für sein monarchisches Politikverständnis.
Mit seiner Entscheidung, den ehemaligen Zivilschützer Guido Bertolaso trotz miserabler Umfragewerte zum Spitzenkandidaten für das Amt des römischen Bürgermeisters zu bestätigen, hat Berlusconi faktisch den Bankrott seiner Partei vollzogen. Das tagelange Tauziehen an der Spitze von Forza Italia offenbarte deren totale Orientierungslosigkeit.
Während ein Teil auf ein chancenreiches Bündnis mit den Hardlinern Giorgia Melloni und Matteo Salvini drängte, sprach sich ein anderer für eine Allianz mit dem Bauunternehmer Alfio Marchini aus, der in Umfragen bei 12 Prozent liegt. Doch Berlusconi entschied sich für den Aussenseiter Bertolaso, der mit acht Prozent chancenlos ins Rennen geht. Gut möglich, dass er in den kommenden Tagen seine Entscheidung erneut revidiert. Am Zerfall seiner Partei ändert das wenig. Den 96 Forza Italia-Parlamentariern, die der Partei in dieser Legislatur den Rücken gekehrt haben, werden in Kürze weitere folgen. Und die Niederlagen in vielen Gemeinden werden den Auflösungsprozess beschleunigen.
Auch im Partito Democratico nehmen die Konflikte gefährlich zu. Die Parteilinke steuert einen wachsenden Konfrontationskurs gegen Premier Matteo Renzi, der um den Erfolg des Verfassungsreferendums im Oktober bangen muss. Der Regierungschef provoziert ständig neue Auseinandersetzungen - so mit dem unangebrachten Appell zur Stimmenthaltung beim jüngsten Referendum und mit der Polemik gegen die Richter.
Offene Konflikte zwischen Staatsgewalten gelten in anderen Ländern als Tabu. In Italien fliegen im Streit zwischen Renzi und dem polemischen Präsidenten der Richtervereingung Piercamillo Davigo die Fetzen. Und die jüngste Statistik, wonach in Italien jährlich 7000 Verhaftete als unschuldig freigesprochen werden, wird das Klima weiter aufheizen und stellt der Gerichtsbarkeit ein denkbar schlechtes Zeugnis aus.
In Rom muss der Partito Democratico nach seiner Misswirtschaft froh sein, wenn er mit einem blauen Auge davonkommt. Dort liegt der ausgetretene PD-Dissident Stefano Fassina mit eigener Liste bei 7 Prozent. In Neapel rangiert Renzis Kandidatin Valeria Valente weit hinter Bürgermeister de Magistris und hat kaum Chancen auf den Einzug in die Stichwahl.
Turbulenzen erschüttern nach dem Tod ihres Ideologen Gianroberto Casaleggio auch die Fünfsterne-Bewegung, in der sich mehrere Seilschaften formieren, um sich für die nächsten Parlamentswahlen in Stellung zu bringen. Der 29-jährige Luigi Di Maio macht kein Geheimnis daraus, dass er sich um das Amt des Premiers bewerben will. Erstmals muss die Bewegung unangenehme Rückschläge verkraften. In Livorno laufen gerichtliche Ermittlungen gegen ihren Stadtrat Gianni Lemmetti, der in Missachtung der internen Regeln den Rücktritt verweigert. Der Fall spaltet die Bewegung. Di Maio: " Chi sbaglia, paga. E non aspettiamo le sentenze." Dagegen vertritt die römische Spitzenkandidatin Virginia Raggi die Ansicht, man müsse "von Fall zu Fall unterscheiden." Bürgermeister Filippo Nogarin verteidigte die Bewegung in einer TV-Erklärung auf Grillos Blog: "Quando metti le mani sul fango non puoi mai uscire pulito."
Seine Ankündigung, dass auch er selbst im städtischen Müllskandal einen Ermittlungsbescheid erhalten könnte, wurde im Blog zensuriert. Noch peinlicher für die Bewegung war der Fall ihres Gruppensprechers im Gemeinderat von Alessandria. Angelo Malerba wurde festgenommen, als er in einem Fitness-Zentrum dabei ertappt wurde, wie er 100 Euro aus einer Geldtasche entwendete. Malerba, der für das Amt des Bürgermeisters kandidiert hatte, bestreitet den Diebstahl. Er wurde umgehend aus der Bewegung ausgeschlossen. In etlichen Provinzhauptstädten wie Ravenna, Rimini, Salerno, Caserta und Latina verzichtete der M5S wegen interner Zwistigkeiten auf eine Kandidatur.
Während in vielen Gemeinden (wie in Bozen) neue Listen wie Pilze aus dem Boden schiessen, hat auch die Lega trotz der vollmundigen Erklärungen Matteo Salvinis kaum Grund zur Genugtuung. Dessen Plan, die Lega zu einer nationalen Partei zu machen, ist gescheitert und der Bruch mit Berlusconi wird nicht ohne Folgen bleiben. In Turin, wo die Lega noch vor wenigen Jahren die Region Piemont regierte, liegt ihr Bürgermeisterkandidat Alberto Morano bei acht Prozent.
Fazit: Italiens politische Szene gibt 71 Jahre nach dem Sturz des Faschismus ein kaum ermutigendes Bild. "La repubblica deve sempre rinnovarsi, dotarsi di strumenti piú efficaci e trasparenti, riconquistarne la piena fiducia," fordert Staatspräsident Mattarella in seiner Botschaft zum Feiertag. Davon freilich ist Italien meilenweit entfernt. Dafür kann das Land auf einen anderen Primat verweisen. In drei Jahren haben 252 gewählte Parlamentarier die Partei gewechselt und damit das Wahlergebnis massiv verfälscht. Rekordhalter ist der aus Neapel stammende Senator Luigi Compagna, der gleich sechs mal Partei wechselte. In den Jahren vorher hatte er dieses Kunststück bereits sieben Mal vollzogen.