Politik | Interview

Bauch gegen Kopf

Landeshauptmann Kompatscher zur Flughafen-Volksbefragung, zum Misstrauen der Bevölkerung gegenüber Politikern und zur Aussicht auf einen FPÖ-Sieg in Österreich.

Für Landeshauptmann Arno Kompatscher gelten die Par-condicio-Spielregeln nicht, die der öffentlichen Verwaltung und den öffentlichen Medien Ausgewogenheit in Sachen Flughafen-Volksbefragung auferlegen. Deshalb vertritt er im Interview mit salto.bz trotz Ermüdungserscheinungen nach wie vor wacker seinen Standpunkt. Das Pro und Contra zum Flughafen-Ausbau sieht er wie ein Match, in dem sich Bauch und Kopf gegenüber stehen. Zur Situation in der Landeshauptstadt  meint er: "Die Selbstwahrnehmung der Bozner ist doch etwas pessimistischer, als es die tatsächliche Lage rechtfertigen würde."

Herr Landeshauptmann, beginnen wir mit einem Thema, das uns zeitlich sehr nahe steht, nämlich den Gemeinderatswahlen am kommenden Sonntag. In Bozen gab es bisher vor allem auf italienischer Seite Frustration darüber, dass die Stadt ihre Rolle als Landeshauptstadt nie richtig entfalten konnte. Nun fordert auch der SVP-Bürgermeisterkandidat Christoph Baur mehr „Würde“ für Bozen. Ihr Vorgänger Luis Durnwalder hat hingegen kürzlich vor Publikum erklärt, wenn in den letzten Jahrzehnten in Bozen etwas weiter gegangen sei, dann nur dank der Landesverwaltung. Wie sehen Sie das Bozen der Zukunft?

Bozen hatte in den letzten Jahrzehnten immer wieder ein Problem mit der Regierbarkeit, es gab wackelige Mehrheiten und daher auch die Notwendigkeit, Kompromisse oder gar Kompromisse zu Kompromissen zu schließen. Daraus ergab sich die Schwierigkeit, Projekte voranzubringen. Das lässt sich auch aus den relativ bescheidenen Beträgen herauslesen, die die Stadtverwaltung im Stande war zu investieren. Deshalb war es auch mein Vorschlag, der leider nicht mehrheitsfähig war, dass man die Zahl der Gemeinderätsmitglieder reduziert, um die Stadt effizienter verwalten zu können. Ich habe Sorge, dass es nach dieser Wahl unter Umständen wieder zu schwierigen Mehrheitsverhältnissen kommt und dass Bozen dann wieder Probleme haben könnte, Projekte und Reformen zügig umzusetzen. Das hat dann aber nichts mit der Beziehung zwischen Stadt und Landesverwaltung und auch nichts mit den Personen zu tun. Andererseits muss man auch sagen, die Selbstwahrnehmung der Bozner ist doch etwas pessimistischer, als es die tatsächliche Lage rechtfertigen würde.

Von Bozen zum Flughafen: Was dürfen Sie als Landeshauptmann in Par-condicio-Zeiten überhaupt noch zur Volksbefragung sagen?

Laut einem Gutachten des Landesbeirates für das Kommunikationswesens darf ich als Einbringer des Gesetzentwurfs, über den abgestimmt wird, weiterhin dazu Stellung nehmen und auch meinen Vorschlag öffentlich argumentieren, so wie auch die Gegner ihre Gegenargumente vorbringen dürfen. Anderes gilt für Verwalter, also beispielsweise Bürgermeister. Die müssen sich an die Par-condicio-Regeln halten. Einen Gedanken möchte ich in diesem Zusammenhang gerne loswerden: Welches Demokratieverständnis haben Leute, die sagen, wenn eine Regierung selbst entscheidet, ihren Vorschlag zum Gegenstand einer Volksabstimmung zu machen, dann darf sie nicht für ihren Vorschlag werben? Ich verstehe diese Logik nicht. Im Umkehrschluss heißt das doch, für Regierungen ist es viel ratsamer, über ihre Vorschläge nicht freiwillig das Volk abstimmen zu lassen. Man wird sozusagen dafür abgestraft, dass man die Bürger befragt. Die italienischen Par-condicio-Regeln sind im Übrigen ein europäischer Einzelfall und führen zu ganz absurden Situationen. Es wäre höchste Zeit, sie zu überdenken.

Obwohl Sie sich in Sachen Flughafen mächtig ins Zeug gelegt und um stichhaltige Argumentation bemüht haben, scheint es nicht so, als ob Sie hier wirklich eine Bresche in die Front der Ausbau-Gegner geschlagen hätten. Worauf führen sie das zurück? Liegt es an einem generellen Misstrauen der Bevölkerung gegenüber den politischen Entscheidungsträgern oder hat Ihr Kommunikationstalent hier nicht gereicht?

Das ist ein Match Bauch gegen Kopf. Wenn mich eine Sache vom Bauchgefühl her nicht überzeugt, dann wird es schwierig, mit rationalen Argumenten dagegen anzukämpfen. Wenn Bauch und Kopf aufeinandertreffen, gewinnt in der Regel der Bauch. Dass der Bauch bei vielen Leuten gegen den Flughafen-Ausbau spricht, hat viele Gründe, es liegt an der Vorgeschichte des Flughafens, aber auch am Misstrauen, das derzeit gegenüber der Politik herrscht. Genau deswegen ist ja die Idee dieses Gesetzes entstanden, über das sich die Bürger informieren und dann abstimmen können. Es ist aber bisher nicht gelungen, diese Haltung zu kommunizieren. Immer wieder zweifeln die Menschen an, was wir sagen. Dieses Misstrauen ist deutlich spürbar, und ich versuche, durch Transparenz und saubere Kommunikation dagegen zu wirken. Ich sage immer zu meinen Mitarbeitern: Sagt mir die ganze Wahrheit, denn wenn wir bei einer Ungenauigkeit erwischt werden, dann können wir zusammenpacken. Das habe ich ja auch den Gutachtern gegenüber betont, als sie beauftragt wurden, ein Konzept für den Flughafen zu erstellen. Ich habe gesagt, Sie haben nicht den Auftrag, mir zu sagen, dass der Flughafen super funktioniert, sondern Sie sollen mir sagen, wie das am Ende ausschauen wird. Und wenn Sie zu mir kommen und sagen, vergessen Sie das, lieber Landeshauptmann, dann ist Ihr Auftrag erfüllt. Das habe ich wortwörtlich gesagt. Ich hätte dann endlich jemanden gehabt, der mir Schwarz auf Weiß bestätigt, dass der Flughafen nicht wirtschaftlich funktionieren kann, und hätte sagen können: Leute, aus dem Flughafen steigen wir aus. Aber es war nicht so. Die Studie sagt, der Flughafen wird gut funktionieren.

Die Grünen argumentieren, laut Piano nazionale aeroporti ">geht der Flughafen ohnehin bald vom Staat auf das Land über. Wenn das Nein gewinnt, könnte das Land den Flughafen von der Kategorie 2C auf 1C herunter stufen, dann müsste die Konzession gar nicht ausgeschrieben werden.

Es ist eine Tatsache, dass der Staat nicht vorhat, den Regionen die Entscheidung darüber zu überlassen, ob die Flughäfen abgegeben werden. Ich habe zu den Grünen gesagt, informiert euch selber beim Ministerium. Der Staat sagt, weitere Schritte wird es frühestens in zwei oder drei Jahren geben. Ich gebe den Grünen zu bedenken, dass wir, sollte das Nein zum Flughafen-Ausbau überwiegen, zunächst einmal eines tun müssten, nämlich das Volksvermögen weitestmöglich retten. Das Land hat ja bisher 120 Millionen Euro in den Flughafen investiert und müsste dann schauen, diese Investion auch wieder herein zu holen. Es wäre wohl nicht ganz einfach zu sagen, wir vernichten das, indem wir den Flughafen auf 1C zurückstufen, und machen es damit jemand anderem unmöglich, ihn mit Gewinn zu betreiben. Es ist vorherzusehen, wie der Rechnungshof darauf reagieren würde.

Diesen Einwand lässt der Landtagsabgeordnete Riccardo Dello Sbarba nicht gelten: Dass für das Abenteuer Flughafen in Vergangenheit so viel Geld investiert wurde, kann jetzt nicht als Argument gegen die Flughafen-Gegner verwendet werden, sagt er. Dafür muss eben die Politik gerade stehen.

Na super. Dann möchte ich Herrn Dello Sbarba sagen, setzen Sie sich auf meinen Stuhl und unterschreiben Sie die Entscheidung, den Flughafen zurückzustufen. Für derartige Fälle von Schädigung der öffentlichen Hand muss nämlich der Betroffene geradestehen, da zahlt keine Versicherung. Es ist eigentlich schade, dass sich die ganze Debatte zwischen der Landesregierung und den Grünen auf diesen Aspekt konzentriert. Viel interessanter wäre es, über das Konzept zu diskutieren.

Zurück zum Thema Volksbefragung. Senator ">Francesco Palermo hat kürzlich gegenüber salto.bz bemerkt, dass die Politik heutzutage nicht das Standvermögen hat, Entscheidungen durch interne Prozesse im Rahmen der repräsentativen Demokratie herbeizuführen und umzusetzen, sondern die Entscheidung lieber dem Wahlvolk überlässt.

Über Francescos Aussage habe ich mich furchtbar geärgert. Es wundert mich, dass so ein Statement ausgerechnet von ihm kommt. Francesco sagt doch immer, wenn Demokratie überleben will, dann muss sie die Menschen stärker einbeziehen. Wir greifen nicht ständig zur Volksbefragung, sondern nur diese eine Mal in dieser Legislatur. Und das war eine bewusste, ich möchte sagen: mutige Entscheidung. Es braucht nämlich wesentlich mehr Mut, diesen Weg der Bürgerbeteiligung zu gehen, als auf den Tisch zu hauen und zu denken: Ich drücke das durch, zwei Wochen lang werden die Leute schimpfen und dann haben sie's eh vergessen.

Zu einem weiteren Projekt, das Bozen betrifft, regt sich jetzt ebenfalls starker Widerstand von unten: dem Umbau der Jenesiener Seilbahn. Ist hier nicht etwas schief gelaufen?

Ja, es ist furchtbar schade, was da passiert ist. Da ist eindeutig etwas schief gelaufen. Mit den Bürgermeistern von Bozen und Jenesien war ausgemacht, dass wir uns attraktivere Varianten überlegen, bevor wir die Bahn einfach nur da neu hinstellen, wo sie heute steht. Im Raum standen sowohl die Verlegung der Talstation als auch die Verlegung der Bergstation, weil ein zentrumsnaher Standort die Bahn wesentlich attraktiver machen würde für Pendler, Schüler und Touristen und somit auch wirtschaftlich interessanter. Die neue Jenesiener Bahn könnte sich bei einer gewissen Anzahl an Fahrgästen selber tragen. Es gab also mehrere Varianten, und zu einer von diesen wurden dann auch Renderings ausgearbeitet, die aber nicht mehr als einen Zwischenstand unserer Überlegungen darstellen. Diese Simulation, zu der wohl keiner der beiden Bürgermeister ja gesagt hätte, ist dann unter die Leute gebracht worden. Dass es da in Bozen einen Riesen-Aufschrei gegeben hat, ist verständlich. Leider ist nach diesen Bildern die Diskussion ziemlich vergiftet. Wir wollen aber trotzdem versuchen, zu einer guten Lösung zu kommen.

Zur Flüchtlingsfrage: Österreich geht mit der Brenner-Schließung einen international sehr umstrittenen Weg, und obwohl Südtirol einer der Haupt-Leidtragenden dieser harten Linie zu werden droht, ist es Ihnen bisher gelungen, den Dialog mit Wien aufrecht zu erhalten. Kürzlich saßen Sie hier im Palais Widmann neben dem österreichischen Außenminister Kurz, als dieser sinngemäß erklärte, das Streben armer und bedrohter Menschen nach Wohlstand und Sicherheit sei menschlich absolut nachvollziehbar, trotzdem müsse man ihnen leider die Tür vor der Nase zuschlagen. Was geht in Ihnen vor, wenn Sie solche Aussagen hören?

Ich will hier nicht die österreichische Entscheidung verteidigen. Wer die Wüste durchquert und das Mittelmeer überquert hat und bis zum Brenner gekommen ist, lässt sich von einem Maschendrahtzaun nicht aufhalten. Da gibt es grüne Grenze genug. Und es gibt Schlepper, die das organisieren werden. Wir züchten Schlepper heran mit dieser Grenzschließung. Worin ich mit Kurz übereinstimme, ist: Es gibt Grenzen für die Leistungsbereitschaft und Belastbarkeit von Gesellschaften. Wenn diese Grenzen überschritten werden, kann es unter Umständen zu einer Radikalisierung kommen. Diese Gefahr muss man sich vor Augen halten. Wir müssen unsere Leute mitnehmen und den demokratischen Konsens aufrecht erhalten, wenn es darum geht, das zu leisten, was aus meiner Sicht unsere humanitäre Pflicht ist. Andernfalls haben wir bald andere Probleme im Land. Meine Auffassung ist: Wenn alle mitmachen würden, wäre das auch ein gangbarer Weg. Das Problem ist, dass wir das in Europa nicht schaffen. Es hält sich niemand an die Vereinbarungen. Und dann entsteht das Misstrauen, und es werden die alten nationalistischen Klischees hervor gegraben, und man hört Aussagen wie „Auf die Italiener und auf die Griechen kann man sich nicht verlassen.“

SVP-Obmann Philipp Achammer hat gesagt, ihm graut vor einem österreichischen Bundespräsidenten Norbert Hofer. Teilen Sie diese Aussage?

Ich fände es bedenklich, wenn bestimmte Wertvorstellungen, die dem Parteiprogramm der Freiheitlichen zugrunde liegen, Einzug in die Hofburg halten würden.

Die innenpolitische Lage in Österreich ist ungewiss. Wie wollen Sie sich mit den neuen Machtverhältnissen arrangieren, sollte die FPÖ Regierungspartei werden?

Man wird sich auf inhaltlicher Ebene begegnen, und da, wo es einen Konsens gibt, wird man zusammen arbeiten. Anders kann man darauf nicht reagieren. Wir sind sehr erfolgreich gefahren mit der Autonomie, und diesen Weg sind Österreich und Italien gemeinsam gegangen. Wenn jetzt die FPÖ so tut, als könne man sich Südtirol einfach nur zurückholen, anstatt den Weg eines weiteren Ausbaus der Autonomie zu beschreiten, dann sehe ich die Gefahr, dass Südtirol am Ende vor einem Scherbenhaufen steht, weil dann das Prinzip „pacta sunt servanda“ (Verträge müssen eingehalten werden) nicht mehr gilt. Die Reaktion Italiens wird entsprechend ausfallen.

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Blaas Walter Do., 05.05.2016 - 15:17

Herr Landeshauptmann, Sie werden doch nicht ernsthaft behaupten wollen, dass Italien sich jemals an die Verträge gehalten hat? Das "Mailänder Abkommen" ist ein klassisches Beispiel von Vertragstreue. Oder war es nicht Ihre Partei, die mit dem Spruch "Autonomie in Gefahr" Wahlkampf betrieben hat?

Do., 05.05.2016 - 15:17 Permalink
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Kuno Christoph Fr., 06.05.2016 - 07:37

Lieber Herr Landeshauptmann! Wenn Sie glauben, dass die über dem Grenzwert liegenden NOX Werte in Bozen Süd, die dramatische Klimaerwärmung an der auch der zunehmende Flugverkehr schuld ist, oder die laut Umweltargentur zu erwartende Lärmbelästigung mit den neuen Flugzeugen fast doppelt so hoch sein wird, alles nur "Bauchthemen" sind, dann lade ich Sie ein, morgen zur Kundgebung nach Eppan zu kommen, um unsere Sorgen, Fakten und Daten anzuhören. Eine Frechheit dies nur als Bauchthemen zu bezeichnen.
Christoph Kuno aus Eppan

Fr., 06.05.2016 - 07:37 Permalink
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Salto User
Sepp.Bacher Fr., 06.05.2016 - 09:07

Wenn der Landeshauptmann von Kopf gegen Bauch spricht, dann meint er wohl, dass die Befürworter als Kopf und die Skeptiker, Anrainer, Umweltschützer als Bauch (Angst, Träumer) zu verstehen sind. Ich probiere mal das Ganze umzudrehen: Welches könnten die Bauchgefühle des Arno Kompatscher sein? Machtgefühle, die sitzen am untersten Zipfel des Bauch: dem Gemächt des Mannes! Aber auch Gefühle der Erhabenheit, der Überlegenheit, der Informationsdominanz. Also das Irrationale liegt wohl mehr beim Landeshauptmann und seinen Mitstreitern!

Fr., 06.05.2016 - 09:07 Permalink