Umwelt | Eine Nach-Denk-Seite

Aufbruch zum Untergang

Flughafen, das Erkennen von Zusammenhängen
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Vieles ist zum Flughafenausbau schon geschrieben worden, sowohl die Befürworter als auch die Gegner haben sehr facettenreich argumentiert. Eines habe ich aber bisher vermisst, nämlich die Suche nach den größeren Zusammenhängen. Das Flugplatzprojekt ist nur ein Beispiel, das aufzeigt wie sehr unser Denken in überholten Mustern gefangen ist und wie schwer es ist, abstrakte Aspekte in unsere Entscheidungen einfließen zu lassen. Zwar wurde hie und da festgehalten, dass Fliegen das klimaschädlichste Fortbewegungsmittel überhaupt ist, aber damit war das Thema auch schon abgehackt. Ich will den anderen zahlreichen Argumenten des Pro und Kontra nicht ihre Bedeutung nehmen, aber der Klimawandel ist eine Gefahr der ganz anderen Dimension. Die Klimaerwärmung ist eine globale Bedrohung, die sich lokal auswirkt. Sie ist die größte Herausforderung seit es Menschen gibt auf der Erde. Es geht nicht um das Wetter mit seinen Kapriolen, es geht um einen schleichenden Prozess der unseren Erfahrungshorizont sprengt. Hinter dem Klimawandel steckt unser Streben nach immer mehr, nach höher und schneller. Der Motor des Klimawandels ist unsere Wirtschaftsform, der einen unersättlichen Energiehunger zur Folge hat. Und da Wohnen, Fortbewegung, Essen und alle modernen Lebensgewohnheiten weitgehend von Öl, Kohle und Erdgas abhängen, entlassen wir unvorstellbare Mengen an Treibhausgasen in die Atmosphäre. Ich verzichte bewusst auf Zahlen, weil sie unsere Vorstellungskraft überfordern (wer will findet Daten und Statistiken unter IPCC-Intergovernmental Panel on Climate Change, NOAA-National Oceanic and Atmospheric Administration oder NASA-Climate Changeu.a.) Es genügt sich einen Apfel mit einer Schicht Morgentau vorstellen, denn dies ist das Verhältnis Erde zu Troposphäre (die erdnahe Schicht der Atmosphäre), um zu begreifen, dass es nicht ohne Folgen bleibt, wenn wir die lebensnotwendige Luftschicht fortwährend als Mülldeponie für Treibhausgase missbrauchen. Der Mensch hat das Unvorstellbare geschafft, er hat in wenigen Jahrzehnten die natürliche Zusammensetzung der Erdatmosphäre verändert und damit das größte Experiment in seiner Geschichte ausgelöst. Alarmierend ist die jüngste Beschleunigung der Erderwärmung wie neueste internationale wissenschaftliche Publikationen belegen. Bisher folgte ein Rekordjahr an Erwärmung dem nächsten, aber die letzten Monate sind laut NASA in der Temperaturzunahme beispiellos. Die Folgen der Klimaveränderung sind komplex, sehr vielfältig und variieren von Kontinent zu Kontinent. Beschränken wir uns aber auf zwei Aspekte. Zum einen geht es um die Frage wie kann bei verändertem Klima die Ernährung von morgen neun oder zehn Milliarden Menschen gewährleistet werden. Viele werden sich noch an die Bilder der brennenden Wälder Russlands erinnern, an die ungeheuren Rauchwolken, die bis nach Moskau zogen. Dieser extreme Sommer hatte in Russland nicht nur 55.736 Menschen das Leben gekostet, sondern auch eine Million Hektar landwirtschaftlich genutzte Flächen wurde ein Raub der Flammen. Die Getreideernte schrumpfte um 25 Prozent und verursachte einen Wirtschaftsschaden von 15 Milliarden Dollar das entspricht ein Prozent des russischen Bruttosozialprodukts. (Das Hitzejahr 2003 kostete in Europa über 77.000 Menschen das Leben). Die Trockenheit reduzierte die Kornproduktion um 33 Prozent und die Böden wurden so geschwächt, dass auch im darauffolgenden Jahr nur zu einem sehr geringeren Teil die Saat ausgebracht werden konnte. Russland ist der viertgrößte Kornproduzent der Welt. Was passiert, wenn solche Wetterextreme gleichzeitig in mehreren großen Herstellungsländern auftreten und durch Dürren, Überschwemmungen oder anderen klimabedingten Faktoren große Teile der landwirtschaftlichen Produktion ausfallen? Hungersnot in unvorstellbarem Ausmaß wäre wohl die Folge. Allein schon eine knapper werdende Lebensmittelversorgung wäre ein sozialer Sprengstoff mit gefährlichen Unwägbarkeiten auf allen Kontinenten. Ein anderes Thema sind die Klimaflüchtlinge. Was passiert, wenn Menschen ihren angestammten Lebensraum verlassen müssen, weil sie dort nicht überleben können? Ein solches Szenarium könnte sich alsbald vor den Toren Europas abspielen. Bereits jetzt plagt den Nahen Osten eine Dürreperiode wie noch nie in den letzten 900 Jahren. Es ist kein Geheimnis, dass deren Folgen einen erheblichen Einfluss auf die Geschichte der Zerstörung Syriens hat. Weitaus gefährlicher sind die Szenarien, die von einer weiteren Klimaerwärmung in der Region um den Persischen Golf ausgehen. Die Experten rechnen damit, dass dort weite Teile der Länder durch steigende Temperaturen und Feuchtigkeitswerte unbewohnbar werden. Die Folge wäre Abermillionen von Klimaflüchtlingen und dies vor den Toren Europas. Das heutige Flüchtlingsdrama wäre dann wohl vergleichsweise nur eine kleine Fußnote. Aber auch im eigenen Land wären die Folgen eines ungebremsten Klimawandels verheerend. Dass Venedig durch den Meeresanstieg in den Fluten versinkt und der Sommertourismus wie auch das Skilaufen in den Alpen gefährdet ist, sind nur wenige Hinweise einer sich radikal verändernden Welt, die letztlich ums Überleben kämpft. Was hat das alles mit dem Flughafen in Bozen zu tun? Sehr viel, denn es ist eine billige Ablenkung zu behaupten, was machen die paar wenigen Flieger, die in Bozen landen und starten, schon im weltweiten Kontext aus, wo jährlich Milliarden an Flugzeugpassagieren verzeichnet werden. Es ist wie einen Drogenabhängigen zu sagen, eine zusätzliche kleine Spritze was macht das schon aus oder was ist schon ein weiteres Gläschen Schnaps für den Alkoholabhängigen? Wenn uns unsere Zukunft und die unserer Kinder am Herzen liegen, dann müssen wir den Klimaschutz ernst nehmen. Diese Form von Mobilität ist nicht vereinbar mit den Nachhaltigkeitszielen. Der Flughafenausbau in Bozen erhöht die Attraktivität des Fliegens und verbessert das Angebot, was zum Nutzen dieses Fortbewegungsmittel verleitet. Genau darin liegt der Kern des Problems. Wir schaffen eine Infrastruktur, die das Klimaproblem verschärft. Anders ausgedrückt, wir können nicht ein Problem lösen, indem wir an der Stellschraube drehen, die in die falsche Richtung führt. Aber das gerade machen wir in dem wir den Flughafen in Bozen ausbauen. Ernsthafter Klimaschutz erfordert ein starkes Engagement, denn ansonsten schaffen wir es nicht, innerhalb dieses Jahrhunderts den Ausstoß an Kohlendioxid von derzeit 10 Tonnen CO2 pro Kopf und Jahr auf eine Tonne zu reduzieren. Zum Verständnis der Dimension der Herausforderung: Allein ein einziger Flug Zürich – New York retour verursacht einen CO2-Ausstoss pro Passagier von circa 4 Tonnen. Nachhaltigkeit sieht also anders aus. Sie erfordert eine andere, radikal kohlendioxidärmere Mobilität. Diese Nach-Denkseite will keine Endzeitstimmung erzeugen, sehr wohl aber warnen, dass ein „weiter-so-wie-bisher“ einem verantwortungslosen Handeln gleichkommt, der uns in den Abgrund führt. Diese Zeilen wollen zum Nachdenken über die Zusammenhänge anregen, aber vor allem die Politik auffordern, Verantwortung für Mensch und Natur zu übernehmen und nicht weiter Handlager einer zerstörerischen Wirtschaft zu sein. 28. Mai 2016