Politik | Verfassungsreferendum

Die Verfassungsreform: auch für Südtirol eine Zumutung

Seit einigen Tagen läuft die Kampagne zum Verfassungsreferendum richtig an.Nach den Oppositionsparteien hat sich heute das „Bürgerkomitee fürs NEIN“ vorgestellt.
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Ex-Senator Peterlini hat seine schweren Bedenken zu dieser Reform immer wieder öffentlich formuliert und in Publikationen untermauert. Dass er jetzt vom SVP-Obmann aufgerufen wird, seine Positionen nur mehr innerhalb der Parteigremien zu äußern (denen er gar nicht mehr angehört), zeugt von mangelnder Diskussionskultur. Denn Peterlini verleiht gerade dieser weit verbreiteten Sorge Ausdruck, dass sich Italien in die falsche Richtung bewegt, dass Südtirol im falschen Dampfer sitzt und die SVP die Felle zu billig verkauft hat.

Der „rottamatore“ Renzi war angetreten, das politische System zu rationalisieren, die Politikkosten zu senken, die Stabilität der Regierung zu stärken, sogar mehr Demokratie und Bürgerbeteiligung sollte Ministerin Boschi bei der Vorstellung des „Komitees fürs JA“ in Bozen im Juni 2016 in ihre Reform hineinlesen. Misst man die vom Senat verabschiedete Reform an diesen Ansprüchen, kann man sie heute schon als weitgehend misslungen bezeichnen. Demokratie wird auf regionaler Ebene wesentlich abgebaut (welchen Grund gab es eigentlich, die Regionen nicht mal mehr über Sport, Tourismus und Kultur halbwegs eigenständig walten zu lassen?), die Politikkosten sinken mit dem neuen Senat um eben 40 Mio. Euro, das Zweikammern-System wird ein Stück komplizierter, allerdings mit Vormacht einer Kammer, einer Partei und des Ministerpräsidenten, und in Sachen Referendumsrechte bietet die Reform keine echten Verbesserungen. In Kombination mit dem neuen Wahlgesetz ITALICUM – ein Thema und Problem für sich – schränkt diese Reform ohne Not und Zwang die demokratische Mitbestimmung und Kontrolle in diesem Staat ein.

Dabei braucht Italiens Verfassung Reformen gerade auch beim Regionalismus: stärkere Regionen mit mehr Demokratie, eine echte, repräsentative Kammer der Regionen, ein besseres Wahlsystem fürs Parlament, mehr Entwicklungsmöglichkeiten für die autonomen Regionen. Mit dieser Reform fährt der Dampfer aber genau in die Gegenrichtung.

Warum wird eine offenkundig misslungene Verfassungsreform in Südtirol als Fortschritt angepriesen? Warum empfiehlt die Mehrheitspartei ein JA für einen offenkundigen Rückschritt? Eigentlich nur wegen der famosen Schutzklausel. Diese Klausel legt die Geltung der Verfassungsreform (nur Titel IV) zeitweilig aufs Eis, bis sich die autonomen Regionen ihre Statuten im Einvernehmen angepasst haben. Diese Klausel ist jedoch sowohl zu wenig als auch als solche zu schwach:

  • Warum ist nicht sofort eine dauerhafte Regelung für die Statutsänderung eingeführt worden, mit einem klaren Anregungsrecht des Landtags und einem Vetorecht des Landtags bei Statutsänderungen durch den Staat, wie es schon die Berlusconi-Verfassungsreform von 2006 es vorgesehen hatte? Darauf hätte sich die SVP auch 2014-15 berufen können.
  • Warum haben die SVP-Parlamentarier keine Ausnahmebestimmung von der neuen Suprematieklause (nationales Interesse) erwirkt, die künftig auch für die autonomen Regionen gelten wird?
  • Warum verlieren die autonomen Regionen Zuständigkeiten, die sie schon seit Jahren gut genutzt haben?
  • Warum sind mit dieser Reform nicht sämtliche sekundären Zuständigkeiten der autonomen Regionen wie bei den Normalregionen zu primären Zuständigkeiten erhoben worden?
  • Warum schränkt die Schutzklausel in Verbondung mit Art. 116, 3. Abs. Verf., jede weitere Entwicklungsmöglichkeit der Autonomie nach der Revision des Statuts total ein?

Wenn der Dampfer auf hoher See in die falsche Richtung fährt, nutzt es wenig, sich in ein löchriges Rettungsboot zu setzen. In diesem Sinn wäree die SVP gut beraten, nicht nur die besorgten Stimmen in den eigenen Reihen ernst zu nehmen, sondern ihr JA zur Renzi-Verfassungsreform zu überdenken und zumindest darauf zu verzichten, irgendeine Empfehlung bei diesem Verfassungsreferendum auszusprechen.