Politik | Referendum

Italiens düsterer Horizont

Zwei Monate vor der Volksabstimmung bietet Italien wirtschaftlich und politisch ein düsteres Bild. Zu Optimismus besteht kein Anlass.

Seit 15 Jahren verzeichnet Italien kein nennenswertes Wachstum mehr. Die Investitionen sind in zehn Jahren fast um ein Drittel gesunken. Mit 2250 Milliarden Euro hat die Verschuldung des Landes eine neue Rekordhöhe erreicht. Um sie auf diesem Stand zu stabilisieren, wäre ein jährliches Wachstum von zwei Prozent erforderlich - eine Utopie. Die wirtschaftliche Situation mutet ebenso ernüchternd an wie die politische. Die Parteien vermitteln ein Bild absoluter Trostlosigkeit. Sie bekriegen sich nicht nur gegenseitig, auch in den eigenen Reihen brodelt es.  

Der Partito Democratico steuert auf eine Spaltung zu. Den Feldzug gegen Matteo Renzi führen - in anderen EU-Ländern unvorstellbar - zwei ehemalige Parteivorsitzende mit politischer Endlos-Laufbahn: Massimo D'Alema und Pier Luigi Bersani. Während D'Alema mit einem eigenen Referendumskomitee massiv für ein Nein bei der bevorstehenden Volksabstimmung wirbt, fordert Bersani eine politische Gegenleistung für die Zustimmung seiner Minderheit: Das umstrittene Wahlrecht soll zum fünften Mal geändert werden. Den Mehrheitsbonus soll in Zukunft nicht mehr die stärkste Partei, sondern die siegreiche Koalition erhalten. Das würde den möglichen Sieg der Fünfsterne-Bewegung verhindern und gleichzeitig Kleinparteien wie La Sinistra oder Alfanos NCD den Einzug ins Parlament (und die Regierungsbeteiligung) ermöglichen. Renzi hat bereits zugesagt, das Italicum erneut ins Parlament zu bringen. Auch in Forza Italia fliegen die Fetzen. Stefano Parisi, der im Auftrag Berlusconi an einer neuen "liberalen Volkspartei" bastelt, wird von der Führungsriege, die um ihre Position fürchtet, systematisch boykottiert. Sein zweitägiger Konvent in Mailand hat rund 4000 Verteter der Zivilgesellschaft angelockt, nicht aber die trotzige Hierarchie von Forza Italia um ihren aggressiven Fraktionschef Renato Brunetta.

Die Lega demonstrierte am Wochenende beim traditionellen Treffen in Pontida einmal mehr übelsten Populismus: Matteo Salvini beschimpfte den soeben verstorbenen  Ex-Staatspräsidenten Carlo Azeglio Ciampi als "traditore dell'Italia e degli italiani" und betitelte Renzi als "burattino, schiavo e servo". Derber und verkommener könnte der politische Stil kaum sein. Zwischen Lega und Forza Italia wachsen die Spannungen, beide zusammen bringen es derzeit in Umfragen auf 23 Prozent. Auch in der Fünfsterne-Bewegung knistert es erheblich. Die Schwierigkeiten der römischen Bürgermeisterin Virginia Raggi legen nicht nur die tiefen Risse und zahlreichen Animositäten in Grillos Movimento offen, sondern nähren auch Zweifel an dessen Regierungsfähigkeit.

In dieser politischen Tristesse steuern alle Parteien auf einen Wahlkampf zu, in dem eine unheilige Allianz von der Lega über Berlusconi bis zu Grillo ein vorrangiges Ziel verfolgt: Renzi beim Referendum eine folgenschwere Niederlage  zuzufügen und damit Neuwahlen auszulösen.  Die Pfiffe auf der Festa dell'Unitá in Bologna waren aufschlussreich für die Stimmung im Partito Democratico nach Renzis Versuch, den Gegnern der Verfassungsreform im einen Maulkorb zu verpassen. Dass der Premier in gewohnter Selbstüberschätzung die Volksabstimmung zu einem Referendum über die eigene Person umfunktionierte, hat sich als folgenschwerer strategischer Fehler erwiesen.

Auch die Unterstützung des US-Botschafters John Phillips, der sich für die Zustimmung zur Reform stark machte, hat sich als Eigentor erwiesen. Der Auftritt des Diplomaten war zweifellos eine unzulässige Einmischung. Inhaltlich freilich kann seine Aussage kaum bestritten werden. Denn es besteht kein Zweifel daran, dass Italiens Verbündete, die EU und die Finanzmärkte die Volksabstimmung als Gradmesser für die Reformfähigkeit und politische Stabilität Italiens werten. Eine Niederlage der Regierung könnte in dieser Hinsicht fatale Folgen haben.

Die vielen Widersprüche dieses Wahlkampfs demonstriert besonders augenfällig der Fall Berlusconi. Der 80-jährige Forza Italia-Gründer hat weite Teile der Verfassungsreform selbst mitgetragen. Und obwohl der Unternehmerverband mit einer eigenen Broschüre für das Ja wirbt und Confindustria-Präsident Vincenzo Boccia im Fall einer Ablehnung die Rückkehr Italiens in die Rezession befürchtet, beharrt der Grossunternehmer Silvio Berlusconi auf seinem Nein. Politische Verrücktheiten dieser Art werden sich den kommenden Wochen häufen. Und auch die schrillen Töne, die den Wahlkampf für ein Referendum begleiten, in dem es ganz nach italienischer Tradition kaum um dessen Inhalt geht, sondern um die gewohnten politischen Grabenkämpfe. Povera Italia.

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alfred frei Mo., 19.09.2016 - 16:46

Fehlt nur eines: die Briefwahl in der italienischen Volksabstimmung einfùhren wie in òsterreich, aber ohne Klebestreifen :

Mo., 19.09.2016 - 16:46 Permalink