Politik | Apple Irland - TTIP - Asylpolitik

Die EU drängt zur Skepsis

Euroskeptiker nennen die Medien EU-kritische Kräfte, oft in einem Satz mit Populismus. Doch es ist die EU selbst, die dieses Phänomen laufend befeuert. Drei Beispiele.
Hinweis: Dies ist ein Partner-Artikel und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.

Das aktuelle Beispiel zuerst: die EU-Kommission verlangt von Apple eine Steuernachzahlung von 13 Milliarden Euro, weil Apple in Irland in den Jahren 2003-2014 unrechtmäßige Steuervergünstigungen erhalten hat. Der Konzern hatte als gezielten Steuernachlass einen Steuersatz auf seinen Unternehmensgewinn von 0,005% zu zahlen. Ein florierender Weltkonzern - gemessen am Gewinn war Apple 2015 auf Platz 1 der in den Forbes Global 2000 gelisteten Welt-Unternehmen - versorgt die ganze EU aus einer Art Steueroase namens Irland, zum Schaden der übrigen EU-Länder und Steuerzahler. So lässt es sich leicht zum celtic tiger werden. Nun der Clou: Irland will die Steuerstrafe nicht mittragen, will also dieses Geld gar nicht zurück, weil es um den Unternehmensstandort fürchtet, sprich um seine Steueroase. Dabei erhält Irland Milliarden an EU-Subventionen. Da merkt der ganz normale EU-Steuerzahler, wie es in der EU läuft. Jahrelang können Weltkonzerne Gewinne aus dem EU-Geschäft praktisch gewinnsteuerfrei einstecken, und das nach irischem, also EU-kompatiblem Gesetz. Anderen Ländern und Regionen, einschließlich Südtirol, wird bei  Wettbewerbsbeschränkungen schnell auf die Finger geklopft. Kein Wunder, dass sich viele fragen: brauchen wir die EU dafür? Und andere schließen richtig aus diesem Fall: wenn dies legal war – und darauf klagt jetzt natürlich Apple - schadet die EU 400 Millionen europäischen Steuerzahlern.

Beispiel 2: CETA und TTIP. Die EU war drauf und dran, diese beiden Freihandelsabkommen mit Kanada und den USA klammheimlich auszuverhandeln und vom EU-Parlament schnell durchwinken zu lassen. Die geplanten Handelsabkommen TTIP und CETA drücken nicht nur Standards in der Umwelt- und Sozialpolitik, fördert den Freihandel zum Schaden des Klimas und der Entwicklungsländer, sondern bedrohen auch rechtsstaatliche Prinzipien und demokratische Mitbestimmung. TTIP hebelt die Parlamente in ihrer legislativen Souveränität aus, zum Nutzen der Konzerne. Ein Bündnis von über 500 Organisationen aus allen 28 EU-Mitgliedstaaten hat insgesamt 3.284.289 Unterschriften in einer selbstorganisierten Europäischen Bürgerinitiative (EBI) gegen TTIP und CETA gesammelt, die die EU-Kommission vom Tisch gewischt hat. Die bundesdeutschen TTIP-Gegner fordern nun einen Volksentscheid über CETA und TTIP. Der Kampf gegen TTIP ist noch nicht gewonnen, doch genau dieses Thema hat Millionen Europäer skeptisch werden lassen: warum will uns Brüssel weniger Demokratie-Rechte, milliardenschwere Konzernklagen gegen Staaten, schlechtere Konsumentenrechte und niedrige Umweltstandards unterschieben? Brauchen wir eine solche EU?

Drittes Beispiel: die Asylpolitik, die schon längst eine primär europäische Regulierungsaufgabe ist. Die 2015 beschlossene Verteilung der Asylbewerber nach einem Quotensystem auf alle Mitgliedsländer ist kläglich gescheitert. Es gibt keinen ausreichenden Grenzschutz, einen wachsenden Missbrauch des Asylrechts, aber auch keine ausreichende Betreuung und Integration der anerkannten Flüchtlinge. Schließlich betreibt die EU auch keine überzeugende Politik gegenüber den Herkunftsländern der Migranten. Die Visegrad-Staaten können sich aus den EU-Regeln einfach ausklammern, die südeuropäischen Länder müssen die Hauptlast der Neuankünfte tragen. Am 13. Juli hat die EU-Kommission ihr Reformpaket für ein gemeinsames EU-Asylsystem vorgelegt im Sinne einer „effizienten, fairen und humanen Asylpolitik“. Es soll die Asylverfahren beschleunigen, Asylmissbrauch verhindern und Integration verbessern für jene, die internationalen Schutz benötigen. Wenn dies durchgeht, wird es ein Baustein für ein solides, stimmiges und integriertes EU-Asylsystem auf der Grundlage gemeinschaftlicher Regelung und den EU-Grundrechten. Wenn nicht, wird wiederum die Skepsis befördert, ob die EU wichtige Aufgaben noch gemeinsam meistern kann. Die EU-Bürger messen die EU an solchen Aufgaben und sind zu Recht enttäuscht, wenn die Politik nicht liefert. Es ist die EU selbst, die die Skepsis unter den Menschen befördert, politische Kräfte greifen das nur dankbar auf. Es geht auch nicht um „Euroskepsis“ an sich, sehr wohl um eine EUskepsis.

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Martin Daniel Mi., 07.09.2016 - 22:47

Auch die gestrige "Anstalt", links-linkes Kabarett im dt. Staats-TV, unterstrich diese immer offensichtlicher werdende Linie: Die EU wurde in ihrer wirtschaftlichen Ausprägung für Großunternehmen konzipiert und von diesen wird sie kontinuierlich konditioniert und zum eigenen Vorteil benutzt. Die Union ist im Grunde ein neoliberaler Verein mit einem Faible für die ganz Großen, für den TTIP nur eine konsequente geografische und qualitative Steigerung darstellte. Wenn die Wähler nun massenhaft zu als populistisch apostrophierten Parteien abwandern, dann suchen die Konzernlobbyisten der etablierten Kräfte die Schuld bei jenen, die sich als Alternative anbieten. Dass das auch daran liegen könnte, dass z.B. heimischen Genossenschaften Dienste in sensiblen menschlichen Bereichen wie dem Behindertentransport wegen absurder Kriterien verloren gehen, während für Autokonzerne alle denkbaren und undenkbaren Hintertürchen geöffnet wurden, wird hingegen nicht im Entferntesten in Erwägung gezogen. Kein Wunder, dass der Binnenmarkt das Einzige ist, das immer und überall zu 100% vollzogen wird (man denke an die Reaktionen der EU-Kommission auf Österreichs Versuche, die Transitlawine zu bremsen). Im Übrigen: So wie beim faktischen Prozess der Globalisierung, den Verträgen zur WTO oder den TTIP-Verhandlungen - die EU versucht die wirklich "großen" Dinge auf Regierungsebene abzuwicklen, entkoppelt vom Einfluss und der Kontrolle der Parlamente.

Mi., 07.09.2016 - 22:47 Permalink
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Albert Hofer Sa., 17.09.2016 - 14:38

Pardon, aber Beispiel 1 ist jetzt wirklich eine abenteuerliche Tatsachenverdrehung. Die EU-Kommission höchstpersönlich fordert Apple auf, dem irischen Staat die Millarden-Zahlungen zu leisten. Und zwar genau deshalb, weil die EU-Kommission nach eingehender Überprüfung zum Schluss gekommen ist, dass die irische Gesetzeslage eben_nicht_EU-kompatibel ist.

Ihr Beitrag stellt das ganze seltsamerweise komplett gegenteilig dar, als ob die EU selbst diese irische Steueroase abgenickt und gutgeheißen habe. Rätselhaft.

Sa., 17.09.2016 - 14:38 Permalink
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Sepp.Bacher Sa., 17.09.2016 - 17:01

Antwort auf von Albert Hofer

Und warum hat die EU mehr als zehn Jahre gebraucht, da drauf zu kommen? "weil Apple in Irland in den Jahren 2003-2014 unrechtmäßige Steuervergünstigungen erhalten hat. Der Konzern hatte als gezielten Steuernachlass einen Steuersatz auf seinen Unternehmensgewinn von 0,005% zu zahlen." !!!

Sa., 17.09.2016 - 17:01 Permalink
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Albert Hofer Sa., 17.09.2016 - 17:37

Antwort auf von Sepp.Bacher

Ja, warum werden Unregelmäßigkeiten, Unrechtmäßigkeiten, Rechtsverstöße oft erst nach gewissem zeitlichen Abstand aufgedeckt? Weil wir nicht in einem totalitären Überwachsungsstaat leben, vielleicht? Weil die EU nicht mit am Tisch saß, als die irische Regierung untertänig mit Apple steuerliche Sonderdeals ausgehandelt hat? Weil die EU-Kommission gottseidank nicht Einsicht in jedes Dokument hat, das auf unserem Kontinent irgendwo aufgesetzt wird? Was schwebt denn hier als Alternative vor? Dass in Zukunft die Kommission kontinentweit jeden Beistrich mit Sichtvermerk abnicken muss, bevor etwas in Kraft tritt?

Wie gesagt: Ich halte es für absurd, die Apple-Geschichte als Beleg für die intendierte Story anzuführen. Ja, die EU macht viele Fehler, sie schafft sich viele Feinde selbst, ihre Politik ist oft genug inkonsequent und lückenhaft. Aber gerade der Fall des Wettbewerbskommissariats in eine beeindruckende Erfolgsstory. Millardenschwere Konzerne wie Apple oder Mircosoft mögen kleinere, mittlere und vielleicht auch ein paar größere Staaten erpressen können (siehe Irland: Man wehrt sich eilfertig vor Gericht dagegen, viele Milliarden Euro von Apple einkassieren zu müssen, weil man um die Gunst des Konzerns und sich vor dem Abbau von Arbeitsplätzen fürchtet). Die EU, Heimat einer halben Milliarde Menschen und des wirtschaftsstärksten Binnenmarkts auf Erden, ist allerdings nicht so einfach erpressbar. Apple braucht nicht Irland, Apple braucht allerdings die EU. Und so wird sich Apple, wie zuvor Microsoft, letztendlich dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs fügen müssen, auch wenn es Milliardenstrafen vorsehen sollte. Ohne die EU gäbe es gegen Steuerdeals wie in Irland überhaupt keine Handhabe...

Sa., 17.09.2016 - 17:37 Permalink
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Karl Trojer So., 18.09.2016 - 11:39

In unserer Zeitwerden wir von Medien und internet tagtäglich derart mit Infos überflutet, dass es schwer fällt, das Wesentliche zu finden. Alle Infos kommen auf fast gleichen Wellenlängen an, das Wesentliche geht dabei unter. Fragt sich, was ist das Wesentliche ? Und das wiederum wird jeder mehr oder weniger unterschiedlich erkennen.... Vielleicht können wir uns aber, bei aller Verschiedenheit auf einen kleinsten gemeinsamen Nenner einigen; einen der für alle Kulturen, Epochen, Menschen als vorrangig erlebt wurde/wird ? Kann dies die LIEBE sein ? Ich würde sagen ja, auf gelebte Liebe kommt es an ...Liebe bringt Frieden. Und EUROPA erlebe ich, bei aller Unzulänglichkeit, als da heute aktuellste Friedenprojekt. Dieses Projekt gilt es im Intresse der menschlichen Gemeinschaft und der Bewahrung des Lebensraumes zu unterstützen ! Solange ein Grashalm durch den Asphalt wächst, lohnt es sich, sich fürs Leben einzusetzen...
Karl Trojer, Terlan

So., 18.09.2016 - 11:39 Permalink
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Thomas Benedikter So., 18.09.2016 - 21:44

Natürlich muss die EU jetzt gegen Apple vorgehen, geschätzter Albert Hofer, nachdem es der Konzern im Verbund mit Gastland Irland zu bunt getrieben hat, und das seit 13 Jahren. Dass die EU spät, aber doch eingreift, ist zwar tröstlich, kann aber nicht über die Fakten hinwegtäuschen, dass innerhalb der EU vor allem bei Unternehmenssteuern ein für alle schädlicher Steuerwettbewerb ausgetragen wird. "Ohne die EU gäb es gegen Steuerdeals wie in Irland keine Handhabe", schreiben Sie, ist aber ein Trugschluss, denn ohne die EU könnte Apple keinen gemeinsamen Binnenmarkt von 500 Millionen von der Steueroase Irland aus bedienen, sondern hätte überall seine Zölle und Steuern national zu entrichten.
In der EU sind immer das Primärrecht, also die Verträge, das Entscheidende, denn auf diese beruft sich in Streitfällen der EuGH am stärksten. Gegenüber Rat und Kommission hat das Parlament immer noch das Nachsehen.
Werner Heiss sieht einen Widerspruch zwischen der Anmahnung von mehr Transparenz und Gerechtigkeit bei der Besteuerung in der EU, und den Vorzügen des politischen System der Schweiz, auf die ich mich ab und zu berufe. Das sind halt gleich drei verschiedene Paar Schuhe: die direkte Demokratie der Schweiz, das Schweizer Steuersystem mit Vor- und Nachteilen und die EU-Politik in Sachen Steuern und Subventionen. Weder habe ich jemals die Schweiz als Kassenschrank der Welt verteidigt, noch die Schweizer als Heilige in Sachen Steuerzahlen hingestellt. Der Vergleich hinkt.

So., 18.09.2016 - 21:44 Permalink
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Albert Hofer Mo., 19.09.2016 - 12:36

Antwort auf von Thomas Benedikter

Zunächst mal ging es mir darum, auf einen handfesten Fehler im Artikel hinzuweisen. Man kann schlichtweg nicht schreiben, dass "nach irischem, also EU-kompatiblem Gesetz" gehandelt worden sei, wenn die EU-Kommission höchstselbst bestreitet, dass ein "EU-kompatibles" Gesetz vorliegt.

Weiters halte ich es wiederum für einen Trugschluss, zu glauben, dass eine Renationalisierung der Wirtschaftsräume Megakonzerne zu besseren Steuerzahlern machen würde. Alle Evidenz spricht dagegen, wenn auch Nicht-EU-Staaten wie die Schweiz oder die USA es kaum hinkriegen, Apples Gewinne zu versteuern: http://www.handelszeitung.ch/unternehmen/apple-zahlt-der-schweiz-kaum-s… http://www.forbes.com/sites/leesheppard/2013/05/28/how-does-apple-avoid…

Gott sei Dank gibt es mit der EU einen internationalen Player, der gewillt und vor allem auch fähig ist, solche Fälle anzugehen.

Mo., 19.09.2016 - 12:36 Permalink
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Thomas Benedikter So., 02.10.2016 - 21:47

Lieber Herr Heiss, Ihr Beitrag ist einfach zu lang, um auf die vielen interessanten Anmerkungen einzugehen. Wie wär's, wenn Sie solche Betrachtungen in einen eigenen SALTO-Beitrag fassen, so dass ihn mehr SALTO-Leser sehen und lesen können?
Ich kann Ihnen jedenfalls versichern, dass ich die Schweizer Regelungen zur direkten Demokratie ausreichend studiert habe, auch wenn in meiner letzten Publikation dazu "Gaspedal und Bremse" bei Weitem nicht alle Quellen angegeben sind. Ich empfehle das letzte Buch von Andi Gross "Die unvollendete direkte Demokratie", der auch kritische Seiten der DD der Schweiz aufzeigt.
Sie schreiben dann vor allem über die Rolle der Schweiz als Fluchtkapital-Paradies, über das man spätestens seit Jean Zieglers "Die Schweiz wäscht weißer" in seiner ganzen beschämenden Tragweite Bescheid weiß. Da rennen Sie offene Türen ein und gerade die EU ist aufgerufen, die Schweiz viel strenger anzupacken (in jüngster Zeit haben das Deutschland und Italien getan, reicht aber noch nicht). Doch meine Analyse betraf den Steuerwettbewerb innerhalb der EU und das Steuerdumping Irlands, das die EU sofort und effizienter unterbindne müsste.
Nein, der Reichtum und die Zufriedenheit der Schweizer rührt nicht allein von der direkten Demokratie. Doch laut Studien (Bruno Frey/Alois Stutzer, Economia e felicità, Il Sole 24 ore, 2006) fühlen sich die Schweizer dank ihres politischen Systems selbstbestimmter, vor allem in jenen Kantonen, wo am meisten Volksabstimmungen abgehalten werden. Dass sie dann im konkreten Fall immer wieder so abstimmen, wie es mir politisch nicht gefällt (vielleicht auch Ihnen), liegt in der Natur der Sache und wohl auch in der konservativen Grundeinstellung sehr vieler Schweizer. Das tut aber ihrer Praxis der direkten Demokratie keinen Abbruch.

So., 02.10.2016 - 21:47 Permalink