200 Tonnen Sand werden für ein mittelgroßes Haus benötigt, 12 Millionen Tonnen für ein Atomkraftwerk. Doch Sand steckt überall – im Glas, in Microchips, in Gussformen, Kosmetikprodukten und Flugzeugrümpfen. Die UN-Umweltbehörde beziffert die weltweite Abbaumenge auf 40 Milliarden Tonnen pro Jahr. Allein China hat in wenigen Jahr soviel Zement verbraucht wie die USA in einem Jahrhundert. Singapur gilt als der wichtigste Importeur der Welt. In 20 Jahren hat der boomende Stadtstaat 517 Millionen Tonnen Sand importiert – 5,4 Tonnen pro Einwohner, ein weltweiter Rekord.
Das Geschäft floriert: Singapurs Küste ist aus illegal beschafftem Sand aus den Nachbarländern um über 130 Quadratkilometer angewachsen, und der Stadtstaat will sein Areal bis 2030 noch erweitern. Doch die eigenen Ressourcen sind längst verbraucht. Kambodscha, Vietnam, Malaysia und Indonesien – sie alle liefern Singapur seinen wichtigsten Rohstoff zu. Trotz offizieller Exportverbote, die vor Jahren verhängt wurden. Der extreme Anstieg des Sandpreises hat dem illegalen Handel Tür und Tor geöffnet. Überall dort in der Welt, wo Sand abgebaut wird, zeigen sich bereits die Folgen dieses exorbitanten Eingriffs: Inseln wurden abgebaut, Küsten erodieren, die Fauna unter Wasser verschwindet, in der Folge verlieren Fischer ihre Existenz.
In Indien etwa gilt die Sandmafia als die schlimmste Organisation des Landes. Sie setzt auf billige Arbeitskräfte: Nachts werden junge Männer und teils auch Kinder in die Tiefen verschmutzter Flüsse geschickt. Ausgestattet mit Kübeln müssen sie die Sandbänke plündern. Zwar gibt es Polizeikontrollen, doch meist werden nur die Lkw-Fahrer und Arbeiter festgenommen.
Sand hat sich so zu einem Gut entwickelt, mit dem sich viel Geld verdienen lässt. Der illegale Abbau an vielen Stränden der Welt, in Flüssen, an Land oder auf hoher See, zieht schwere ökologische und soziale Folgen nach sich. Die Sandmafia lässt in Ländern wie Marokko ganze Strände abtragen – zurück bleiben Mondlandschaften. Schlecht bezahlte Arbeiter schaufeln Sand in Körbe, Esel schleppen die Fracht dann die Küstenpfade hinauf. Auf der felsigen Ebene wird der Sand dann auf Lastwagen verladen und an skrupellose Bauunternehmen verkauft. Der Abbau ist illegal, doch Kontrollen sind dank der ausufernden Korruption selten.
Ungeeigneter Wüstensand
Da der rundgeschliffene und feine Wüstensand zur Betonherstellung ungeeignet ist, müssen Wüstenstaaten wie Dubai für ihre enormen Bauvorhaben wie „The World“ und dem mit 828 m höchsten Wolkenkratzer der Welt „Burj Khalifa“, Sand aus Australien importieren.Die NASA hat mit eindrücklichen Satellitenbildern die Aufschüttung der künstlichen Inseln
dokumentiert.
Jährlich werden rund 40 Milliarden Dollar mit ihm umgesetzt – auf jedem Kontinent wird er abgegraben. Längst haben sich in vielen Ländern kriminelle Strukturen entwickelt, die sich weder um Gesetze noch um die Betroffenen scheren.
Doch Sand ist nicht nur in der Bauwirtschaft begehrt, sondern auch beim Fracking, der Gas und Ölgewinnung aus Schiefergestein. Dabei wird mit Sand und Chemikalien vermischtes Wasser unter hohem Druck in die Bohrstelle gepresst, um das Gestein aufzubrechen. Die dafür nötigen Sandkörner sind runder als ihre eckigen Brüder vom Sandstrand und stammen vor allem aus dem Mittleren Westen der Vereinigten Staaten. Fast drei Viertel des Fracksands wird dort produziert und danach mit Güterzügen oder Lastwagen zu den Gas- und Ölfeldern transportiert. Um an die wertvollen Sandvorräte heranzukommen, muss häufig der darüberstehende Wald gerodet werden. Die Produktion von Quarzsand in den USA hat sich in den vergangenen Jahren auf rund 20 Millionen Tonnen verdoppelt. Zurück bleibt eine völlig verwüstete Landschaft.
Weggespülte Strände
Überall auf der Welt gehen Strände zurück. Manchen Schätzungen zufolge sind zwischen 75 und 90 Prozent von ihnen im Verschwinden begriffen. Das liegt auch an der Kraft des Meeres. Häufig aber auch an der Sandgewinnung.
Da im Tagbau immer weniger Sand abgebaut werden kann, wird nicht nur aus dem Fluss, sondern auch aus dem Meer Sand gepumpt. Riesige Schwimmbagger, mit Saugarmen ausgestattete Schiffe können bis 400 000 m³ Sand pro Tag vom Meeresgrund pumpen – samt der dort lebenden Flora und Fauna. Vom Land her rutscht der Sand nach und lässt die Strände schrumpfen. In Sylt etwa werden mit riesigen Pumpen jährlich 1,2 Millionen Kubikmeter Sand auf die Strände gepumpt. Nachhaltig sind derartige Maßnahmen nicht, da ein aufgespülter Strand bis zu zehnmal schneller erodiert als natürlicher. „Sand ist so wertvoll, dass er zur Schmuggelware avanciert ist“, sagt der französische Dokumentarfilmer Denis Delestrac, Autor eines erfolgreichen Films zum Thema. Und der Geologe Michael Welland bringt es noch kürzer auf den Punkt: „Unsere Welt ist auf Sand gebaut.“