Gesellschaft | Zweitsprache

Studie mit Sprengkraft

Die Zweitsprachenkompetenz der Südtiroler Oberschüler hat sich in den vergangenen Jahren deutlich verschlechtert: Ernüchternde Ergebnisse der zweiten KOLIPSI-Studie.
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Foto: EURAC Research

Es sind Ergebnisse, die in einer mehrsprachigen Modellregion die Alarmglocken schrillen lassen sollten. Ein Fünftel der deutschsprachigen Südtiroler OberschülerInnen kann sich nur mit Mühe auf Italienisch verständigen. Rund die Hälfte ist auf der vom Europäischen Referenzrahmen für Sprachen festgelegten Kompetenzebene B1, also dem Niveau von Touristen, die über vertraute Themen sprechen können. In den italienischen Schulen entspricht das am häufigsten erreichte Niveau in der Zweitsprache Deutsch elementaren Grundkenntnissen (A2). „Dem Großteil der Schüler in italienischen Oberschulen ist es also nicht möglich, aktiv am sprachlichen Alltag auf Deutsch teilzunehmen“, heißt es in der Zusammenfassung der Studienergebnisse durch die Sprachforscherinnen Andrea Abel und Chiara Vettori von Eurac Research.

Sie haben in der zweiten Auflage der KOLIPSI-Studie innerhalb von sieben Jahren eine deutliche Verschlechterung der Zweitsprachkenntnisse an Südtirols Oberschulen festgestellt. Hatten beim Jahrgang 2007/2008 noch 41 Prozent der Schüler gute Kenntnisse in der italienischen Zweitsprache, sind es heute um rund die Hälfte weniger. Das sehr niedere  Kompetenzniveau A2 stieg im Gegenzug von damals drei auf heute knapp 20 Prozent. „Wir waren selbst überrascht, wie sehr sich die Kompetenzen verschlechtert haben“, sagte Chiara Vettori im Vorfeld einer Tagung zum Thema am Dienstag Nachmittag. Vor allem in der deutschen Schule hätte man nicht mit einem derartigen Rückgang gerechnet.

CLIL fällt durch

Weniger ausgeprägt fiel dieser an den italienischen Schulen aus. Dort haben die Sprachforscherinnen allerdings ein weiteres ernüchterndes Ergebnis erarbeitet: der Fachunterricht in der Zweitsprache, das viel diskutierte CLIL-Modell, hat keine signifikanten Auswirkungen auf die Zweitsprache Deutsch. „In den schriftlichen Tests zu den Zweitsprachenkenntnissen haben wir keinen Unterschied zwischen Oberschülern mit und jenen ohne CLIL-Erfahrungen feststellen können“, sagt Vettori. Eine Bombe auch für die deutsche Oberschule, die von den Eurac-Forscherinnen in diesem Punkt ausgelassen wurde, da dort noch zu wenig CLIL-Praxis vorliegt. Tatsache ist aber, dass die erste vertiefende wissenschaftliche Untersuchung zu den Auswirkungen von CLIL auf die Zweitsprachenkenntnisse nicht gerade ein Turbo für die Verbreitung des Modells sein dürfte.

Doch Sprachkompetenz entsteht nicht primär über Fachunterricht oder Vokabelpauken. Ein zentraler Einflussfaktor, den die Forscherinnen herausfilterten, ist vielmehr die Anzahl und Intensität an Kontakten mit Menschen der anderen Sprachgruppe. So gibt es laut den Ergebnissen einen direkten Zusammenhang zwischen hohen Sprachkompetenzen und dem häufigen Gebrauch der Zweitsprache außerhalb der Schule. Dabei würden deutschsprachige Schülerinnen generell hinter italienischsprachigen zurückbleiben, also weniger Kontakte mit Italienern haben als umgekehrt. Nur rund die Hälfte hat laut Vettori überhaupt Kontakt zu italienischsprachigen Schülern. Ein Umstand, der einerseits mit der geringeren Präsenz von Italienern in vielen Tälern zu tun hat. „Doch wir haben auch gesehen, dass in der italienischen Schule weit mehr in Schüleraustausch und Initiativen in diese Richtung unternommen wird als in der deutschen Schule“, so die Sprachforscherin. Ein Umstand, der umso mehr wirkt, als laut der Studie die Schule der wichtigste Drehpunkt ist, über die Kontakte zu anderen Sprachgruppen geknüpft werden können.

Barriere Dialekt

Obwohl italienische Schülerinnen und Schüler häufiger und intensiver mit deutschsprachigen Schülern zusammentreffen, überwiegt hier wiederum das Problem, dass in gemischten Gruppen gewöhnlich Italiensich gesprochen wird. Auch der Dialekt erwies sich in der aktuellen KOLIPSI-Studie einmal mehr als große Barriere zum Erwerb der Zweitsprache. Italienischsprachige Oberschüler, die gute Dialektkompetenzen besitzen, zeigen dagegen auch beim Schreiben im Deutschen gute Sprachkenntnisse, fanden Abel und Vettori heraus.

Starken Einfluss auf die Sprachkompetenz der Schülerinnen beider Sprachgruppen hat laut der Studie auch der Schultyp. So fielen die Ergebnisse im Gymnasium weit besser aus als in Fachoberschulen. Wenig Relevanz oder eher kontraproduktiv sind laut Vettori dagegen sogenannte instrumentelle Motivatoren, also zum Beispiel die Aussage, dass Deutsch lernen wichtig sei, um später eine Arbeitsstelle in der öffentlichen Verwaltung zu bekommen.

"Wir haben ein Problem"

Nicht von der Hand zu weisen ist laut den Sprachforscherinnen mit den Ergebnissen dieser Studie, dass Südtirol ein Zweitsprachen-Problem hat. Um es zu lösen, sei jedoch keineswegs allein die Schule gefragt. So zeigten die Ergebnisse unter anderem, dass zwar über 90 Prozent der befragten Eltern angaben, ihre Kinder in der Zweitsprache zu fördern. Als jedoch nach praktischen Beispielen dafür gefragt wurde, verneinte ein ebenso hoher Prozentsatz sie konkret zu fördern. „Am Ausbau der Alltagsrelevanz der Zweitsprache führt kein Weg vorbei“, lautet die Schlussfolgerung der beiden Sprachwissenschaftlerinnen. „Es geht darum, den Kontakt zu Gleichaltrigen zu fördern, die Sprache zu verwenden und dabei auch von den Jugendlichen selbst den Mut aufzubringen, sich sprachlich zu exponieren und zu versuchen, mit Interesse und Freude die Sprache des Anderen zu verstehen.“