Gesellschaft | Salto Gespräch

„Noch sterbe ich nicht“

Reinhold Messner über den Bär, Pestizidtirol, das Duo Kompatscher-Durnwalder, die Fehler der Filmförderung. Kammerlanders Manager und seinen Umgang mit dem Tod.
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Foto: Hannes Prousch
Salto.bz: Herr Messner, die Aufreger des Sommers: Das Plakat und die Pestizidtirol-Kampagne des Münchner Umweltinstitutes. Was denken Sie darüber?
 
Reinhold Messner: Im Grund genommen eine Peinlichkeit. Wenn man bedenkt, dass die „idealistischen Kritiker“ das Foto gestohlen und ausgerechnet einen Biohof oder einen Betrieb mit integriertem Anbau als Beispiel genommen haben. Das zeigt, dass sie wenig Ahnung haben. Das selbsternannte „Umweltinstitut“ ist typisch für unsere Zeit. Wobei ich aber auch sagen muss: Wenn diese Sache anregt, dass wir Südtiroler in den nächsten Jahren zu mehr Bio kommen, dann hat diese Aktion wenigstens etwas bewirkt.
 
Die Kampagne rüttelt aber Südtirol geistige Monokultur etwas auf?
 
Aber nicht auf diese Art und Weise. Die Vorgangsweise und der Stil sind hier meiner Meinung nach völlig überzogen und falsch.
 
Ihre Diagnose zur Südtiroler Landwirtschaft?
 
Es ist so, dass das Umdenken zu mehr Bio in Südtirol langsam geht. Es wird umgedacht und es gibt inzwischen relativ viele Biobauern. Bis es sich aber flächendeckend durchgesetzt hat, könnte es zu spät sein, weil dann bereits andere Gebiete Leader sind. Die Bergbauern sind vielfach gezwungen auf Tourismus plus Landwirtschaft umzusteigen, weil sie es sonst nicht mehr schaffen. Den Talbauern geht es sehr gut und dort lauern etliche Gefahren. Es gibt als noch Einiges zu tun. Insgesamt sind wir in Südtirol aber, was Bio oder ökolgischer Anbau angeht, ganz sicher nicht das letzte Rad am Wagen.
 
Sie besitzeren mehrere Bauernhöfe: Bio oder Chemie?
 
Auf unserem Weinberg produzieren wir noch nicht Biowein. Mein Pächter Martin Aurich, ein exzellenter Mann, ist der Meinung, dass das bei uns nicht möglich ist. Ich kann das nicht beurteilen. Der andere Bauernhof ist rein Bio. Das ist ein Viehhof mit einigen Gärten und Obstplantagen. Dort war es relativ einfach alles auf Bio umzustellen. Auch mein Hof in Sulden ist ein reiner Biohof. Nurr beim Wein haben wir es noch nicht geschafft. Wir versuchen aber so sauber wie möglich zu arbeiten. Das heißt: Intergrierter Anbau.
 
Der zweite Aufreger: Der Bär und der Abschuss im Trentino?
 
Die Bären sind da und es werden mehr und mehr, in einem viel zu kleinen Habitat. Es gibt natürlich auch Fehler bei den Wanderern, die mit Hunden an der Leine herumlaufen oder gar den Bär mit einem Stock angehen. Für mich völlig unverständlich. Denn ein Bär macht wirklich Eindruck. Viel schlimmer als der Bär werden aber die Wölfe sein.
 
„Wenn man nicht versteht, dass ein Bauer seine Tiere schützen will, Ziegen, Schafe, ein Kalb und dass er wirklich einen Schock erleidet, wenn seine Tiere zu Schaden kommen, stimmt etwas nicht.“
Was kann man dagegen tun?
 
Zuerst geht es um die Grundeinstellung: Wenn man nicht versteht, dass ein Bauer seine Tiere schützen will, Ziegen, Schafe, ein Kalb und dass er wirklich einen Schock erleidet, wenn seine Tiere zu Schaden kommen, stimmt etwas nicht. Sie müssen wissen, diese Tiere leben zum Teil noch, nachdem sie vom Bär oder Wolf angefallen wurden und oft schlimm zugerichtet sind. Ich respektiere die Tierschützer aber sie müssen endlich verstehen, dass der Bär und der Wolf keine menschlichen Wesen sind, sondern relativ gefährliche Wildtiere. Wir Tiroler haben diese Tiere vor rund 150 Jahren ausgerottet, weil sie im damaligen Habitat nicht mehr tragbar waren. Heute leben wir viel enger, in einer urbanisierten Welt und mit viel mehr Touristen als früher, was den Lebensraum dieser Tiere noch einmal deutlich einschränkt.
 
Ist Abschuss das richtige Rezept?
 
Wenn Bären auf der MeBo überfahren werden oder in Dorfnähe kommen und dort herumstreunen, ist Reaktion geboten. Der Trentiner Landeshauptmann Ugo Rossi hat auf seine Weise reagiert: Es war sein gutes Recht und auch seine Pflicht. Was mir nicht gefällt, ist die Form der Diskussion. Dieser Fanatismus und dieser Shitstorm dazu im Internet. Dass man soweit geht, Rossi den Tod anzudrohen. Auch mich bedroht man inzwischen, wegen meiner Äußerungen. Wir sind weit weg von jeder Streitkultur auf einem Niveau angelangt, das zum Grausen ist.
 
Kommen wir zur Landespolitik: Landeshauptmann Arno Kompatscher ist jetzt dreieinhalb Jahre im Amt. Ihr Urteil?
 
Kompatscher macht es gut, als Außenpolitiker sehr gut. Mit Rom hat er einen selbstbewussten Umgang, ein enges Verhältnis. Auch Dank Karl Zeller, der ja ein erfahrener Fuchs ist. Auch nach Wien hin, reagiert er recht vernünftig. Als Außenpolitiker, finde ich, vertritt er Südtirol großartig. Er ist ein guter Redner und präsentiert sich gut. Ob das Land Südtirol weiterhin so erfolgreich bleiben wird, wie zu Durnis Zeiten, ist eine andere Frage. Sicher ist: Die Entscheidungen werden unter Kompatscher länger hinausgezogen. In einigen Bereichen werden auch Fehlentscheidungen getroffen.
 
Können Sie deutlicher werden?
 
Zum Beispiel bei der Filmförderung. Die Südtiroler Filmförderung fördert mehr oder weniger ausländische Produktionen, die aufgeblasene Budgets vorlegen und dafür einen Haufen Geld bekommen. Zufällig drehen dann fast alle dieser hochgeförderten Filme im Schnalstal.....
 
Ob das Land Südtirol weiterhin so erfolgreich bleiben wird, wie zu Durnis Zeiten, ist eine andere Frage.
Sie unterstellen, dass es hier einn Zusammenhang gibt, zwischen der Filmförderung, die von der IDM vergeben wird, wo die Handelskammer 40 Prozent hält und den privaten Interessen von Handelskammerpräsident Michl Ebner als Aktionär der Schnalstaler Gletscherbahnen?
 
Ich unterstelle gar nichts. Ich beschreibe die Realität. Jene Filmproduktionen, in die das Land in den letzten Jahren viel Geld gesteckt hat, wurden zum Großteil im Schnalstal gedreht. Die Hollywood-Produktion „Everest“ hat fast eine Million Euro bekommen. Gedreht wurde im Schnalstal, was man im Film aber nicht sehen darf. Dazu kommen noch das „Das finstere Tal“ - dieses Film hat es verdient, er ist Klasse - und ein halbes Dutzend weiterer Spielfilme. Jetzt fördert man einen Dokumentarfilm über das Leben von Hans Kammerlander. Und wo wird nachgedreht: Im Schnalstal.
 
Sie ärgern sich, weil die IDM Ihnen vor Jahren eine Filmförderung ausgeschlagen hat. Den Kammerlander-Film aber mit rund 380.000 Euro fördert?
 
Ja, das ärgert und kränkt mich. Im Grund ist es eine offene Beleidigung meiner Person. Ich sagen es offen: Es hat mich ebenso geärgert, dass das Land Südtirol vor gut zehn Jahren mit Hans Kammerlander einen Testimonialvertrag abgeschlossen hat. Ohne mir jemals so etwas anzubieten.
 
Herr Messner, Sie haben das doch nicht nötig?
 
Kammerlander auch nicht. Wir brauchen diese Hilfen beide nicht. Nur größere Filmprojekte sind auf Förderungen angewiesen. Diese Regel gilt auch für mich. Dass man mir jetzt aber die Rote Karte zeigt, das lässt mich nicht kalt. Ich habe in den letzten fünfzig Jahren mehr als die meisten Anderen für dieses Land getan und ich werde ununterbrochen von der IDM angerufen, um hier und dort einen Auftritt und dann auch wieder ein Interview zu machen. Ich mache das alles unentgeltlich. Wenn man aber sieht, dass ich bei den Filmprojekten außen vor bleibe, stimmt die Verhältnismäßigkeit nicht mehr. Das tut weh.
 
Zufällig drehen dann fast alle dieser hochgeförderten Filme im Schnalstal.
Es steht derzeit eine 50.000-Euro-Schadenersatzklage von Kammerlanders Manager Sigi Pircher gegen Sie im Raum. Was ist passiert?
 
Das ist nur noch lustig. Gleichzeitig mit der Klageandrohung Pirchers kommt mir eine Anfrage des Produzenten des Kammerlander-Films für ein Interview ins Haus. Auch daran sieht man, wie unseriös manche Menschen sind. Pircher wirft mir vor, dass ich in einem Tageszeitungs-Interview, sein Risikomanagement nach dem Verkehrsunfall mit tödlichem Ausgang falsch dargestellt hätte.
 
Sie haben dabei den Kammerlander-Manager frontal angegriffen?
 
Zu Recht. Ich habe versucht Hans zu verteidigen. Die Aggressionen, die nach dem Tod von René Erlacher in Südtirol entstanden sind, gründen in den Aussagen, die Sigi Pircher gemacht hat, als Hans noch im Krankenhaus lag. Man hätte den ganzen Tag nur Kaffee und Wasser getrunken, sagte Pircher aus. Also kann kein Alkohol im Spiel sein, wurde unterstellt. Es wurde zuerst nicht einmal klar gesagt, wer in welche Richtung gefahren ist. Ich will nicht ins Detail gehen, aber alle seine Aussagen sind heute noch lesbar. Sollte der Unfall so gedreht werden, als sei der Bub Schuld? In Wirklichkeit wurde klar, wer wirklich Schuld hatte. Daraus entstanden die Aggressionen gegen den Hans. Ausgehend von den Aussagen, seines Managers und Sprechers Sigi Pircher, der an den Tatsachen herumgedeutet hat. Das habe ich damals schon in einem FF-Interview gesagt.
Sollte der Unfall so gedreht werden, als sei der Bub Schuld?
Sie haben auf die Frage zu Arno Kompatscher gemeint: „Ob das Land Südtirol weiterhin so erfolgreich bleiben wird, das ist eine andere Frage“. Gehören auch Sie zu jenen, die sich Luis Durnwalder zurückwünschen?
 
Nein, das nicht. Luis Durnwalder hat seine Zeit perfekt ausgefüllt und gesprägt. Durnwalder hat dieses Land erfolgreich, wohlhabend und offener gemacht. Diese seine Erfolge sind ihm am Ende teilweise auf den Kopf gefallen, weil einige Leute nur darauf gewartet haben, ihm zu schaden und viele gar nicht wussten und wissen, warum wir ein so erfolgreiches Landes geworden sind. Wir sind heute die reichste Provinz Italiens und eine der reichsten Provinzen Europas. Das haben die Bürger und Bürgerinnen geschafft, aber auch Durnwalder und sein Vorgänger Silvius Magnago, der die Grundfeste für die Autonomie gelegt hat. Der dritte Landeshauptmann in dieser Reihe ist anders als Durnwalder und Magnago. Und das ist auch gut so.
 
Wie anders?
 

Er ist jünger, er denkt in einigen Punkten ähnlich wie Alexander Langer. Also anders als die alte Volkspartei. Das ist gut für dieses Land. Kompatscher ist ein moderner, junger Politiker. Und Luis Durnwalder hätte sich keinen Gefallen getan, wenn er noch eine Periode angehängt hätte. Aber dass man Durnwalder jetzt die letzte Periode nachträgt, ist absolut unfair. Man hat sich hier Durnwalder gegenüber unfair benommen und es ist höchste Zeit, dass man ihm die Ehre gibt, die ihm zusteht.
 
Man hat sich hier Durnwalder gegenüber unfair benommen und es ist höchste Zeit, dass man ihm die Ehre gibt, die ihm zusteht.
Ihr Wunsch an die heutige Landespolitik?
 
Ich wünsche mir, dass es uns weiterhin gelingt die Prosperität zu erhalten und die Kreativität nicht untergehen zu lassen. Und dabei die entscheidenden Schritte in die Zukunft zu machen: Dreisprachige Schule; mehrsprachiger Kindergarten; offen für Arbeitskräfte aus dem Ausland; im Tourismus mehr Qualität als Quantität und den Leader-Unternehmen mehr Handlungsspielraum geben.

Sie geben fast täglich Interviews: Passiert Ihnen nicht, dass Sie manchmal denken: Jetzt habe ich aber einen Blödsinn gesagt?
 
Ich sage viel Blödsinn. Ich kann das aber revidieren, wenn ich erkenne, dass es falsch war. Meine Interviews werden normalerweise gegengelesen. Natürlich passiert es auch mir manchmal, dass ich unüberlegt etwas dahinsage. Wenn ich alte Interviews lese, denke ich manchmal, das ist nicht gut formuliert. Aber inhaltlich habe ich selten größere Probleme mit dem „Schnee von gestern“.
 
Herr Messner, Sie werden in vier Wochen 73 Jahre alt. Denken Sie an den Tod?
 
Nein, der Tod ist für mich eine ganz selbstverständliche Angelegenheit. Aber noch sterbe ich nicht. (lacht) Ganz einfach.
 
Ihnen ist aber bewusst, dass Ihre Zeit beschränkt ist?
 
Ja, natürlich. Ich habe jetzt vielleicht noch fünf bis zehn aktive Jahre zur Verfügung. In diesen Jahren möchte ich meine Visionen als Storyteller filmisch umsetzen. Und ich mache das mit der gleichen Vehemenz wie ich alles in meinem Leben gemacht habe. Auch weil das Ende näherrückt. Warum sollte ich jetzt unterm Apfelbaum sitzen und an den Tod denken? Ich weiß, dass ich sterbe und ich habe auch schon längst meinen Tschorten hergerichtet, wo meine Asche hineinkommt. Da bei uns die Himmelbestattung, wie in Tibet, nicht möglich ist, werde ich mich verbrennen lassen. Von meinem Arbeitstisch aus sehe ich täglich den Tschorten, wo meine Urne stehen wird. Damit habe ich kein Problem.
 
Ich habe schon lange aufgegeben mit meinen Büchern, Filmen oder Vorträgen Botschaften zu hinterlassen.
Sie sind tausendmal in Extremsituationen dem Tod von der Schippe gesprungen. Und am Ende sterben Sie vielleicht langweilig im Bett. Ist das nicht absurd?
 
Ich hoffe, dass das es so passiert. Denn ich habe ein Leben lang gekämpft, dass ich nicht am Berg oder im Eis umkomme. Die große Kunst des Abenteuers ist es, dort hinzugehen, wo man umkommen könnte und dabei nicht umzukommen. Das scheint ein Widersinn zu sein. Aber genauso ist es. Das Nicht-Umkommen ist die Kunst. Dafür gibt es anschließend ein Gefühl des Wiedergeborenseins. Wenn ich mit 73 Jahren noch die Energie und Leidenschaft habe, die viele junge Leute nicht aufbringen, hängt das damit zusammen.
 
Was wird auf ihrem Grabstein stehen? Oder auf dem Tschorten?
 
Nichts.
 
Sie haben keine Botschaft zu hinterlassen?
 
Nein. Ich habe schon lange aufgegeben mit meinen Büchern, Filmen oder Vorträgen Botschaften zu hinterlassen. Ich bin kein Prediger. Ich bin nur ein Erzähler. Ein horizontsüchtiger Storyteller, der nie über die Wirklichkeit hinausgeht.