Gesellschaft | zeitgeschichte

Mit Hakenkreuz gegen Faschistenbeil

Welche Rolle spielte das Schützenwesen während der NS-Zeit in Südtirol? Eine Spurensuche in zwei Teilen. Teil 2: “Endsieg” und überdauernde Kriegsabzeichen.
NS-Orden an der Tracht
Foto: Salto.bz

Rückblick auf Teil 1 “Der Schleier der Schützen”:

Nach dem Einmarsch der Nationalsozialisten in Südtirol wurde noch im September 1943 das unter den italienischen Faschisten verbotene Schützenwesen wieder belebt – mithilfe Südtiroler Nazis. Die Standschützen sollten im “Deutschen Volkssturm” die südliche Grenze des “germanischen Lebensraumes” verteidigen.

 

Ideologie und Kriegsführung

 

In Ausbildungslagern werden die Standschützenbataillone auf den Kriegseinsatz vorbereitet. Neben der militärischen Ausbildung sollen sie dort auch ideologisch gedrillt werden. Daher sind neben “erprobten Frontoffizieren” auch “politische Leiter” zugegen, schreibt das “Bozner Tagblatt”, für das Hermann Fink im Dezember 1944 aus einem der Ausbildungslager berichtet: “Abends sitzen wir noch mit einer Kompanie zusammen (…). Die Tische sind sauber gedeckt und mit Tannengrün geschmückt. Die Stirnwand schmückt das Führerbild, von zwei Hakenkreuzfahnen flankiert. (…). Und ein stattlicher Chor ist auch zur Stelle (…): neben dem Grödner steht der Sarner, der Deutschnofner, neben dem Jenesier, der Kalterer neben dem Seiser.”

In anderen “Wehrertüchtigungslagern” machen sich die NS-Funktionäre selbst ein Bild. Die größten befinden sich in Meran und Gossensaß, eines der kleineren zum Beispiel in Villnöß. Im November 1944 nehmen 3.300 Standschützen in Meran und 2.000 in Gossensaß an den Ausbildungs-Lehrgängen teil. Immer wieder berichtet das “Bozner Tagblatt” von Inspektionen. Wie am 14. November 1944: “Mit besonderer Genugtuung stellte (Reichsorganisationsleiter) Dr. Ley fest, daß er die Überzeugung gewonnen hatte, daß die Standschützen mit einem wahren Fanatismus dabei sind, sich die notwendigen Kenntnisse moderner Kriegsführung anzueignen. Dieser Eifer und die Hingabe jedes einzelnen (…) bringt es mit sich, daß die Standschützen in den wenigen Wochen der Ausbildung bereits Soldaten geworden sind (…) Der hohe Stand der Ausbildung ist gewiß nicht einem erzwungenem Gehorsam, sondern einzig und allein dem freien Willen zu danken, mit dem sich die Standschützen der großen und heiligen Sache des bedrohten Vaterlandes weihen und in Liebe und Dankbarkeit zu unserem einmaligen Führer bereit sind das Letzte zu geben, um nach Väterart und Brauch mit der Ehre und Freiheit ihrer Heimat die Zukunft von Volk und Reich zu sichern.”

 

Einschwören auf den “Endsieg”

 

Fanatisch war auch der Jubel auf den Straßen am 8. September 1943. Italien ist aus dem Krieg an der Seite des Dritten Reiches ausgetreten, deutsche Truppen marschieren in Südtirol ein. Viele bejubeln sie als Befreier von den italienischen Faschisten. Es gibt Blumen und Obst für die Soldaten. In der Weihnachtszeit ein Jahr später spricht Gauleiter Hofer zu “seinen” Standschützenbataillonen in Salurn: “Hier von der Salurner Klause aus grüßen wir alle Soldaten des Deutschen Reiches, (…) grüßen wir vor allem aber unseren Führer und geloben ihm feierlich unsere unverbrüchliche Treue und die Bereitschaft, jederzeit für den Endsieg zu kämpfen und in diesem Kampfe zu allen, auch den größten Opfern bereit zu sein.”

 

Ein paar Monate zuvor führen die Salurner Standschützen den Schüztenaufmarsch beim Landesschießen in Innsbruck am 1. und 2. Juli 1944 an. Sie marschieren nach den Wehrmachteinheiten und vor den Kompanien aus Schlanders, Meran, Bozen, Brixen, Bruneck, Cortina-Hayden und jenen aus Osttirol und Tirol-Vorarlberg auf.

 

Eid unterm Hakenkreuz

 

Nach ihrer Kriegsausbildung in den Lagern legen die Standschützen einen Eid ab. Die Zeit drängt, das Kriegsglück wendet sich immer deutlicher gegen Deutschland. Daher dauern die Lehrgänge in den Lagern meist nur wenige Wochen.

“Ich schwöre bei Gott diesen heiligen Eid, daß ich dem Führer des Großdeutschen Reiches, Adolf Hitler, bedingungslos treu und gehorsam sein werde. Ich gelobe, daß ich für meine Heimat tapfer kämpfen und lieber sterben werde, als die Freiheit und damit die soziale Zukunft meines Volkes preis zu geben.”

Über dreitausend Standschützen leisten diesen Eid am Sonntag, 12. November 1944 am Festplatz in Schlanders – in Anwesenheit von Gauleiter Hofer, den das “Bozner Tagblatt” später zitiert: “Ihr seid (…) auf die Fahne der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei vereidigt, Ihr seid nicht nur Soldaten mit der Waffe, ihr seid politische Soldaten des Führers und habt dorthin zu gehen, wohin Euch sein Befehl weisen wird. (…) Ihr Männer dieser Regimenter müßt Euch so verhalten, daß Euch der Führer zu seinen tapfersten Soldaten rechnen kann. (…) Unverrückbar wie die Berge müßt ihr stehen und wissen, daß Euere Ehre Treue heißt. Seid so, wie Euere Ahnen durch tausend Jahre waren und macht der Heimat und dem Führer keine Schande.”

 

Für Kaiser und Führer

 

Einer der letzten großen Artikel über die Standschützen findet sich in der Chronik des “Bozner Tagblatt” wenige Wochen vor Kriegsende. Am 23. Februar 1945 beschreibt Anton Graf Bossi-Fedrigotti eine Szene in einem Pustertaler Gasthaus. Der Südtiroler Bossi-Fedrigotti hat vor allem mit seinem Buch und Film “Standschütze Bruggler” im Dritten Reich Karriere gemacht. Von 1943-45 arbeitet er für Joseph Goebbels' Propagandaministerium im besetzten Italien.

Es ist ein fiktives Gespräch, von dem Bossi-Fedrigotti berichtet – und die Reaktion der noch nicht einberufenen älteren Jahrgänge auf die Anordnung Hitlers zur Aufstellung des “Volkssturms” als “letztes Aufgebot” schildert.
Die Männer im Pustertaler Gasthaus hätten sofort verstanden, “worum es ging”, so Bossi-Fedrigotti, nämlich, so wie im Mai 1915, wiederum um die Verteidigung der Heimat. Damals eingefordert vom Kaiser, nun eben vom Führer: “Wie sie dastanden, hart gezeichnet von den Schlachten der Dolomitenfront und den Stürmen eines siegreich bestandenen Volkstumskampfes in ihrer Bereitschaft, nunmehr ganz dem Führer und jetzt dem ganzen Reiche zu geben, was sie früher stets nur anbieten konnten, einer Schar jenen Tiroler Bauern gleich, die dem Fähnlein des großen Gaismair zu folgen bereit war.”

 

Und dann, schreibt Bossi-Fedrigotti, “trat (…) der Richard, der ehemalige kecke, aktive Oberleutnant eines ruhmbedeckten Kaiserschützenregiments vor die Männer hin und rief klar und scharf, als befehle er heute noch die Kompanie (…) voll inneren Glaubens und ehrlicher Wärme: ‘Heil, wir Standschützen von 1944! Wir grüßen den Führer!’

 

Drehen wir am Rad der Zeit. Wer im August 2017 einen Blick auf die Webseite des Südtiroler Schützenbundes wirft, liest folgende Zeilen:

 

Ist das Kapitel für den Schützenbund damit abgeschlossen?

 

Braune Flecken auf bunten Trachten

 

Es ist der 20. Mai 1991. Rund 2.000 Schützen haben sich in Bozen eingefunden. Sie wollen gegen das Siegesdenkmal, das gerade mit finanzieller Unterstützung aus Rom renoviert wird, protestieren. Die ethnische Stimmung ist aufgeheizt. Vor Ort ist der Filmemacher Rolf Mandolesi. Sein Kurzfilm mit dem Titel “Europa?”, der an jenem Tag entsteht, wird später mehrfach ausgezeichnet werden. Mit seiner Kamera hält Mandolesi ein pikantes Detail fest: An mehreren Schützen-Trachten prangen Hakenkreuze. Eingearbeitet in Abzeichen, die einige Schützen an der Brust tragen. Eiserne Kreuze I. und II. Klasse fängt Mandolesi ein, Infanterie-Sturmabzeichen und Verwundetenabzeichen in Silber. Kriegsabzeichen, die die Wehrmachtsführung im Namen des “Obersten Kriegsherrn” Adolf Hitler “für besondere Tapferkeit im Eroberungs- und Vernichtungskrieg 1939-45” verlieh.

 

Wo hört Instrumentalisierung auf, wo beginnt Kollaboration? Wie verfestigt war die NS-Ideologie vielleicht schon vor 1943, aber jedenfalls nach 1945 in den Köpfen jener Männer, die in voller Tracht bei nationalsozialistischen Anlässen mitmarschierten und sich in Lagern zu Standschützen, zu “Soldaten der Heimat” ausbilden ließen? Diese Frage wird wohl nie eindeutig und vollständig beantwortet werden können.
Fest steht: Bekennende Südtiroler Nazis haben nicht nur während der Besetzung – allen voran in AdO und SOD – eine entscheidende Rolle im Standschützenverband gespielt. Sondern auch bei der Wiedergründung. 1958 wird der Südtiroler Schützenbund gegründet. Erster Landeskommandant wird Alois Pupp, zugleich auch Landeshauptmann von Südtirol. 1943 ist Pupp in die NSDAP eingetreten. Und August Pardatscher, der erste SSB-Geschäftsführer, kann auf eine Karriere bei der SS zurück blicken.

 

Eine klare Distanzierung vonseiten des Schützenbundes hat es nie gegeben.

“Auf alle Fälle muss nach 1943 angesetzt werden. Deswegen haben wir auch damals, 2013, den Auftrag zur Aufarbeitung gegeben”, sagt Elmar Thaler. Gleichzeitig verweist der heutige SSB-Obmann auf ein Buch, das dieses Jahr erschienen ist. In “Standhaft im Gegenwind – Der Südtiroler Schützenbund und sein Wirken für Tirol als Ganzes” habe der ehemalige FAZ-Journalist Reinhard Olt bereits auf ein paar Seiten das Südtiroler Schützenwesen während der NS-Zeit beleuchtet. Von “Mitläufertum” ist dort die Rede.
Wo hört Mitläufertum auf, wo beginnt Mitwisserschaft und Mittäterschaft?

Mit Stolz tragen praktisch alle Schützenoffiziere der Gründergeneration des Schützenbundes die verschiedenen militärischen Auszeichnungen des Nazi-Regimes aus dem Zweiten Weltkrieg auf der Brust. Ein Leben lang.

Beleuchten heißt aufarbeiten heißt auseinandersetzen heißt verarbeiten. Den Schleier lüften, der über den 21 Monaten liegt, in denen Adolf Hitlers Schergen in Südtirol an der Macht waren, können nur die Schützen selbst. Es wäre eine wahrlich entwaffnende Aktion. Die Frage ist: Wollen sie das?