Kultur | Kulturhauptstadt

Meraner Makel

Die Bewerbung Merans als italienische Kulturhauptstadt 2020 ist abgehakt. Und die Polemik um ein Entwurfspapier von Vizebürgermeister Andrea Rossi?
Bewerbungsdossier
Foto: Salto.bz

Mitten während der Pressekonferenz unterbricht Paul Rösch seinen Vizebürgermeister. Er will etwas klar gestellt wissen: “Wer Andrea Rossi kennt, weiß, dass er ein Kulturmensch ist und weit weit weg von jeglichem nationalen Gedankengut.” Dass sich der Meraner Bürgermeister so klar und deutlich hinter seinen Vize Rossi stellen muss, ist der Meraner SVP geschuldet, bzw. Teilen der Meraner SVP. Im Vorfeld der offiziellen Präsentation der Kandidatur Merans zur italienischen Kulturhauptstadt 2020 war ein erster Entwurf des Bewerbungsschreibens an die Öffentlichkeit gelangt. Und hatte für Polemiken gesorgt.

 

Eine Sichtweise und ihre Interpretationen

In dem Schreiben, das Andrea Rossi aufgesetzt hatte, seien die deutschsprachigen Südtiroler als “Hinterwäldler” (abgeleitet von dem von Rossi verwendeten Begriff “valleggiani”, Talbewohner) dargestellt worden, die Italiener hingegen als “weltoffen” (“cittadini”). Der Faschismus habe “Gutes” für den Tourismus in Meran getan und die italienischsprachigen sähen sich heute im Vergleich zu den deutschsprachigen Südtirolern benachteiligt, etwa bei der Arbeitssuche. So die Interpretation des Entwurfs, den einige deutschsprachige Zeitungen ihren Lesern anbot – kommentiert von Stimmen aus der SVP, die sich entsetzt und empört über das Papier zeigten. Die SVP habe schon beschlossen gehabt, aus der Regierungskoalition mit der Liste Rösch, PD und den Grünen auszusteigen – doch man habe Rossi schließlich zum Einlenken bewogen. So stellt es etwa die Tageszeitung dar. Doch es gibt auch andere Stimmen aus der SVP. “Da war wohl der Wunsch der Vater des Gedankens”, schüttelt einer den Kopf, der die schweren Geschütze, die Teile seiner Parteikollegen gegen Andrea Rossi auffahren, als “nicht fair” bezeichnet.

Auch Stefan Frötscher springt dem Meraner Vizebürgermeister bei. Der SVP-Stadtrat beschreibt Rossi als “überaus korrekten und kompetenten Kollegen mit Herzblut”. Eine böse Absicht unterstellt er Rossi “absolut nicht”. Im Gegenteil – Frötscher bestätigt die Aussagen von Bürgermeister und Vize. Rossis Entwurf sei eine erste Fassung gewesen, die er dem Stadtrat vorlegen wollte, “eine Sichtweise, die, wie normalerweise alle Entwürfe, intern zur Diskussion gebracht wurde”, unterstreicht Rösch. Für die Öffentlichkeit war das Papier nicht bestimmt, bekräftigt Frötscher. “Wir haben es, wie üblich, parteiintern besprochen.” Dass es daraufhin in den Medien gelandet sei, bedauert der Stadtrat. Klar, in der SVP sei man nicht mit allem einverstanden gewesen, aber “Andrea Rossi hat dem Stadt- und auch dem Gemeinderat erläutert, warum er so argumentiert hat”, berichtet Frötscher. “Meran soll nicht als perfekte Stadt dargestellt werden.”

 

Meran ist nicht makellos

Das Motto der Bewerbung, für das man sich entschieden hat, lautet: “Merano 2020, piccola Europa d’Italia”das kleine Europa Italiens. Dazu bewogen habe “die Tatsache, dass hier die italienische und die deutsche Sprachgruppe gleich stark vertreten sind”, so Paul Rösch. Im Fokus der Bewerbung stehe “die Begegnung und Vermischung der zwei Seelen unserer Kulturhauptstadt.  Schließlich wird nicht die Hauptstadt der italienischen Kultur (‘capitale della cultura italiana’) gekürt, sondern die Kulturhauptstadt Italiens (‘capitale italiana della cultura’)”, führte Andrea Rossi aus. Dass das Miteinander, das Zusammenleben und der Dialog in der 40.000-Seelen-Stadt nicht selbstverständlich reibungslos verläuft, will man in der Bewerbung nicht verschweigen. “Dazu hat uns unter anderem Paolo Dalla Sega geraten”, verrät Rossi. Der Bocconi-Dozent ist einer der 50 Personen, die mit Rösch und Rossi das Bewerbungsschreiben erstellt haben. “Berichtet auch von den kritischen Punkten, zeigt auf, dass nicht alles einfach und glatt läuft”, so der Rat Dalla Segas. Und auch Marco Pappalardo, Direktor der Landespresseagentur, der wie sämtliche Mitarbeiter die Meraner Stadtverwaltung freiwillig unterstützt hat, habe gemeint: Eine nicht perfekte Darstellung sei nützlich, “um mit dem oft verzerrten Bild, das in Italien von Südtirol herrscht, zu brechen”.

Dennoch, der erste Entwurf war der SVP “insgesamt zu Italiener-lastig und spiegelte nicht die reelle Situation in Meran wider”, so Frötscher. Als man den Vizebürgermeister darauf hingewiesen habe, dass die SVP mit einigen Stellen seines Schreibens nicht einverstanden seien, sei Rossi “sofort zurückgerudert”, erinnert sich der SVP-Stadtrat. “Ho percepito le diverse sensibilità e riscritto il testo”, so Rossi am Freitag Vormittag. Gemeinsam sei man das Papier durchgegangen und habe Änderungsvorschläge eingearbeitet. Bis schließlich am Dienstag (12. September) der Stadtrat die Endversion ohne weitere Diskussion bestätigt hat. Zufrieden seien die SVP-Vertreter gewesen, die deutsche Sprachgruppe gut repräsentiert gesehen, hätten sie Rossi wissen lassen, so der Vizebürgermeister: “Un italiano è riuscito a raccontare la realità locale e le sue diverse sensibilità.”
“Wir sind zu 100 Prozent überzeugt”, pflichtet Stefan Frötscher bei. Für ihn ist die Aufregung um den ursprünglichen Entwurf Rossis nicht mehr als “ein Spät-Sommerlochthema”.

 

Große Pläne für 2020

Groß war das mediale Interesse dennoch als am Freitag Vormittag Bürgermeister und Vizebürgermeister die Bewerbung Merans präsentierten. Bis 15. September hatten interessierte Städte Zeit, ihr Bewerbungsdossier dem Kultur- und Tourismusministerium in Rom zukommen zu lassen. 58 Seiten stark ist jenes, das aus Meran abgeschickt wurde. Den größten Teil nehmen die zahlreichen Projekte und Vorhaben ein, die die Meraner Stadtverwaltung gedenkt, im Rahmen der italienischen Kulturhauptstadt 2020 zu verwirklichen. Allesamt werden gemeinsam verwirklicht, also nicht ausschließlich von deutschen oder italienischen Trägern. “80 Prozent davon kommen bereits im Programm der Stadtregierung vor und zum Teil wurden dafür schon Mittel zweckgebunden”, erklärte Andrea Rossi. Sprich, die meisten Vorhaben aus dem Bewerbungsschreiben werden auf jeden Fall realisiert – auch wenn Meran nicht zur Kulturhauptstadt gekürt wird.

12,6 Millionen Euro sollen investiert werden, sollte Meran das Rennen machen. Für die Bewerbung sind einzig Druckkosten von 250 Euro angefallen. Im November wird feststehen, ob es Meran unter die letzten 10 Bewerber – 46 gibt es insgesamt – geschafft hat. Diese zehn Städte werden für eine ausführliche Präsentation ihres Vorschlags nach Rom geladen. Im Jänner 2018 fällt dann die endgültige Entscheidung, welche Stadt sich 2020 “italienische Kulturhauptstadt” nennen darf.
Im selben Jahr finden die nächsten Gemeinderatswahlen in Südtirol und auch in Meran statt. Dass der Entwurf des Bewerbungsschreibens als Grund, die Koalition zwischen SVP und Rösch vorzeitig zu beenden, herangezogen wurde, damit ist zumindest Stadtrat Frötscher “nicht einverstanden”. Andrea Rossi bleibt gelassen: “Darüber wurde in diesem Saal kein Wort verloren”, meinte er am Freitag Vormittag im Sitzungssaal des Meraner Stadtrates.

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Profil für Benutzer △rtim post
△rtim post Fr., 15.09.2017 - 19:41

"Die deutschen Südtiroler sind „Hinterwäldler“, behandeln die italienischen Touristen schlecht. Und der Faschismus war gut für den Tourismus.
Mit diesen und anderen haarsträubenden Aussagen wollte sich die Meraner Stadtregierung als „Italienische Kulturhauptstadt 2020“ bewerben." (stz)
Die Frage ist doch, wieso es solches Verhalten im Jahr 2017 noch möglich ist und es weder einen Aufschrei noch politische und strafrechtliche Konsequenzen gibt - zumal mit öffentlichen Geldern und als 2 Bürgermeister der Kurstadt Meran.
Ich möchte mir nicht vorstellen, was passieren würde, wenn nicht die deutsche Ethnie in Südtirol von solchen unerträglichen Aussagen betroffen wäre, sondern Italiener ... Frauen, Juden.
Es ist eben keine Lappalie, Hass gegen eine Ethie, Rasse ... zu schüren und diese zu verletzen - egal ob jemand Grüner ... ist und/oder dann auch noch versucht wird, ein solches unerträgliches Verhalten auch noch irgendwie zu rechtfertigen und zu bagatellisieren.
http://www.tageszeitung.it/2017/09/15/tschoeggl-hinterwaeldler/

Fr., 15.09.2017 - 19:41 Permalink
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Sepp.Bacher Sa., 16.09.2017 - 19:23

Meines Erachtens liegt der Sprengstoff in den folgenden Zeilen: "In dem Schreiben, das Andrea Rossi aufgesetzt hatte, seien die deutschsprachigen Südtiroler als “Hinterwäldler” (abgeleitet von dem von Rossi verwendeten Begriff “valleggiani”, Talbewohner) dargestellt worden, die Italiener hingegen als “weltoffen” (“cittadini”). Der Faschismus habe “Gutes” für den Tourismus in Meran getan und die italienischsprachigen sähen sich heute im Vergleich zu den deutschsprachigen Südtirolern benachteiligt, etwa bei der Arbeitssuche." Diesbezüglich hat die Presse bei der Interpretation der missverständlichen Aussagen massiv übertrieben und Hysterie ausgelöst.
Vallegiani würde umgangssprachlich Tölderer bzw. deutsch Talbewohner heißen und niemals Hinterwäldler! Sind aber die deutsche Hälfte Merans Talbewohnen? Einige habe sicher ihre Wurzeln im Passeier, Vinschgau, Ulten, Tschöggelberg und Nonsberg oder anderen Dörfern des Burggrafenamts. Aber der Rest?! Die Italiener Merans sind sicher großteils Städter. Ich glaube der Schreiber hat die allgemeine Situation Südtirols auf Meran übertragen und das ist falsch.
Wenn italienischsprachige Südtiroler bzw Meraner bei der Arbeitssuche benachteiligt sein sollten, dann liegt es meistens an den mangelnden Deutschkenntnissen und vielleicht auch an der nicht arbeitsmarktadäquaten Berufs- und Ausbildungswahl. Und diese beiden Mängel müssen sie auf ihre Kappe nehmen!

Sa., 16.09.2017 - 19:23 Permalink
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19 amet Mo., 18.09.2017 - 10:55

Der Herr Rossi hat nur zu Papier gebracht, was ein guter Teil der Italiener in Meran denkt. Es sind Leute die den guten Zeiten vor dem Proporz ,oder gar beim Benito nachtrauern, kein oder schlecht Deutsch sprechen, von schreiben gar nicht zu denken, und sich permanent benachteiligt fühlen. Die Täler und Berge sind für sie fremdes Land, und die "valligiani" kulturell unterentwickelte Eingeborene. Ihr Leben spielt sich am Corso oder auf der Promenade ab, und das Heiligtum ist der jahrelang verlotterte Pferderennplatz. In den Familien ist der nationalistische Gedanke der damaligen Einwanderer an die Söhne und Enkel weitergegeben worden. Erst seit wenigen Jahren beginnen einige zu begreifen dass ohne Zweisprachigkeit hier nichts zu holen ist.

Mo., 18.09.2017 - 10:55 Permalink