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Die Schere und die Politik

(Fast) alle beklagen die zunehmende Ungleichheit bei Einkommen und Vermögen. Das ist kein Naturgesetz und auch nicht ausschließlich dem Kapitalismus geschuldet.
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Die Schere zwischen Arm und Reich geht auseinander, beklagen Politiker und Parteien von ganz links bis ganz rechts. Auch die Medien befassen sich regelmäßig mit der ungleichen Einkommens- und Vermögensverteilung und sorgen für wiederkehrende öffentliche Diskussionen. Kein Wunder, dass laut AFI-Umfrage 87,3% der SüdtirolerInnen die Unterschiede zwischen Arm und Reich für groß oder sehr groß erachten. Ein Prozentsatz, der (eigentlich) unerhört ist und wachrütteln müsste: Nur einer von Acht Befragten sieht in der Verteilung kein größeres Problem.

Doch die Aufregung um das Thema ebbt am Tag nach der Veröffentlichung neuer Zahlen, Meinungen, Entrüstungen und Appelle wieder ab. Viele Bürger zucken mit der Achsel, weil man eh nichts ändern kann und lieber nicht seinen Schlaf gefährden will, andere verdrängen das Thema und wieder andere, darunter gar einige der klagenden Politiker, gehen nach kurzer Inszenierung zur Tagesordnung über, um sich wieder um die Belange jener zu kümmern, denen sie sich verpflichtet fühlen. Und dazu beitragen, die Kluft weiter zu öffnen.

Man braucht nicht die internationale Steuervermeidung zu bemühen, wo die EU nun nach Panama und Paradise Papers eine neue Schwarzliste von Ländern erstellt hat, um das Phänomen zu bekämpfen. Dass auf dieser Liste weder Irland, Malta, die Niederlande noch das Vereinigte Königreich mit seinen Steueroasen Isle of Man, Jersey und Guernsey vorkommen, darf nicht verwundern und als stillschweigendes Placet der EU für ein „Weiter-So!“ gesehen werden. Auch im - von unseren Politikern beeinflussbaren - Rahmen der staatlichen und der Landespolitik werden reihenweise Maßnahmen gesetzt, die jede für sich und in ihrer Summe die Oberen ein bisschen besserstellen und versuchen, die Niedrig- bzw. Durchschnittsverdiener und Vermögenslosen durch Vernebelungsaktionen und kleine Zuckerlen desinformiert und ruhig zu halten.

Da die meisten Verteilungsstatistiken mit Dezilen arbeiten, um die Einkommens- und Vermögensunterschiede herauszuarbeiten und der überwiegende Teil der Bevölkerung in den mittleren Dezilen angesiedelt ist, interessieren hier vor allem jene Maßnahmen, die das oberste Dezil weiter von den darauffolgenden mittleren Dezilen entfernen und die mögliche Gefahr der wegbrechenden Mittelschicht verstärken.

Auch auf das Risiko hin, des Sozialneids bezichtigt zu werden, lohnt sich ein Blick auf die Maßnahmen, die Staat und Land in Hinblick auf verfügbare Einkommen und Stärkung der Kaufkraft in letzter Zeit getroffen haben.
Beim Land fällt auf der Ausgabenseite in erster Linie die Befreiung des IRPEF-Zuschlag für Einkommen bis zu 28.000 Euro ins Auge, die allen Einkommensbeziehern zugute kommt. Da alle in den Genuss dieser Befreiung kommen, also auch der Millionenverdiener, sind die (absoluten und relativen) Vorteile ungleich verteilt: Je näher jemand an die 28.000 Euro-Grenze kommt, desto mehr an Steuern spart er/sie sich. Auch die breitangelegte Befreiung von der Landes-Immobiliensteuer GIS bringt jenen meisten, die die Grenze des von der Gemeinde festgelegten Freibetrags für den Wert der Immobilie erreichen oder überschreiten, da sie diesen voll auszunutzen vermögen. So ist es möglich, dass Liegenschaften mit einem Marktwert von einer Million Euro, wenn sie als Hauptwohnsitz dienen, aufgrund der Diskrepanz mit dem Katasterwert zur Gänze von der GIS befreit sind. Menschen ohne Wohnungseigentum haben hingegen nichts von dieser Maßnahme.
Auf der Einnahmenseite stehen die Erneuerung der Kollektivverträge und die damit verbundenen Gehaltserhöhungen auf der Agenda. Seit 2010 waren die Gehälter für öffentlich Bedienstete eingefroren und vom geltenden Vertrag vorgesehene Vorrückungen zeitweise ausgesetzt. Das Gros der Landesbediensteten erhält nach 7 Jahren Nullrunden 80 Euro mehr im Monat – brutto. Das kostet das Land zwar eine Millionensumme, bringt den Empfängern aber keine spürbare Kaufkrafterhöhung. Anderes gilt für die holde Ärzteschaft. Krankenhaus- und Hausärzte konnten für sich ordentliche Pro-Kopf-Erhöhungen herausholen, die Hausärzte zuletzt mit 500 Euro monatlichen Mietzuschüssen, die als solche Netto zu verstehen sind und auch an jene ausbezahlt werden, die im Besitz der eigenen Praxis sind. De facto eine Netto-Gehaltserhöhung für eine der am Besten verdienenden Berufskategorien im Lande. Auch die Landapotheker begehren auf und konnten sich Landesförderungen von bis zu 8.000 Euro jährlich in Gemeinden bis zu 2.000 Einwohnern sichern. Das Argument, dass man auf dem Land als Apotheker kein Auskommen habe, wird durch die massive Teilnahme am jüngsten Wettbewerb zur Vergabe neuer Lizenzen (viele davon in der Peripherie) widerlegt, an dem nahezu jeder Pharmazeut im Besitz der Voraussetzungen teilgenommen hat.

Welche anderen Berufsgruppen kamen letzthin in den Genuss von Besserstellungen? Für die Ressortdirektoren der Landesräte, von denen der bestbezahlte zurzeit 166.000 Euro verdient, wurde die Gehaltsobergrenze in Hinblick auf mögliche künftige Erhöhungen auf 240.000 Euro erhöht. Lange nach einer Lösung gesucht hat das Land, um die staatliche Obergrenze für Ärzte im Ausmaß von 240.000 Euro zu umgehen. Schließlich hat der Landtag einen Antrag der Landesrätin zur 20%-igen Erhöhung gutgeheißen (http://www.tageszeitung.it/2015/12/26/aufgestocktes-gehalt/). Von den Nicht-Spitzenverdienern fallen mir lediglich die Kindergärtnerinnen ein, die mit ihren Forderungen einen Teilerfolg landen konnten. Allerdings besteht dieser in einer Arbeitszeitverkürzung zulasten berufstätiger Eltern ohne finanzielle Besserstellung der Erzieherinnen. Dafür kommen, brandaktuell, die beiden Südtiroler Richter am Staatsrat zu einer zusätzlichen Fahrtspesenerstattung von bis zu 2.000 Euro. Monatlich versteht sich und, weil Spesen, natürlich steuerfrei. Ein kleines Zuckerle für diese Herren, ein Schlaraffenland für Normalsterbliche.

Nicht unähnlich unausgewogen die Vertragsverhandlungen für den Staatsdienst. Während für das Gros der Staatsangestellten seit 2010 Gehaltsstopp mit Einfrieren der zustehenden Vorrückungen galt, waren davon einige Kategorien bzw. Führungsebenen ausgenommen: Richtern, Botschaftern, Konsuln, hohen Offizieren bei Militär, Polizei, Finanz und Carabinieri, Quästoren und Präfekten konnte man die allgemeinen Einschnitte nicht zumuten und deren Gehälter stiegen munter weiter, auch bei rückläufigem Wirtschaftswachstum und stagnierenden Preisen. Nun, da das Verfassungsgericht den Verhandlungsstopp für unzulässig erklärt hat, macht die Regierung nach 7 mageren Jahren auch für die Masse in der Mitte die Kassen locker. Si fa per dire. Im Gespräch sind 85 Euro brutto im Jahr, die stark an die Landeserhöhungen erinnern. Übrigens keine Sorge: Auch wenn die Südtiroler Tageszeitungen melden werden, dass die Lehrer schon wieder Gehaltserhöhungen kriegen (den Berichten zufolge bereits deren 2 seit 2016), die staatliche Lohnrunde wird zur Gänze in der Landeszulage absorbiert werden. Während sich die Normalsterblichen also mit 85 € brutto begnügen müssen, werden die Schuldirektoren in Italien neu eingestuft, was ihnen eine monatliche Erhöhung von etwa 400 Euro Netto (!) bescheren wird. Immer im Bildungsbereich, kommen nun endlich auch die Uniprofessoren zum Zuge, nachdem sie mit ihrer Verfassungsklage gegen den Gehaltsstopp abgeblitzt waren. Sie sollen künftig alle 2 statt alle 3 Jahre in den Genuss von Gehaltsvorrückungen kommen - bei den betreffenden Gehältern bedeutet das jedes zweite Weihnachten ein schönes Sümmchen.

Auch wenn man einen Blick nach Deutschland wirft, kommt ein ähnliches Bild zum Vorschein. Die Wahlprogramme von SPD, CDU/CSU und FPD beinhalteten allesamt Steuererleichterungen, die vorwiegend Besserverdiener entlasten: jenes der SPD vor allem für Jahreseinkommen über 60.000 Euro, jenes der CDU für Jahreseinkommen über 80.000 Euro; dass das Steckenpferd der FDP, die Abschaffung des Solidaritätszuschlags, sowieso die Top-Verdiener überproportional beglücken würde, versteht sich von selbst.

Den Rest zum Anstieg der Ungleichheit trägt der internationale Wettbewerb im Senken der Unternehmens- und Körperschaftssteuern bei, der den Anteilseignern alle möglichen Gestaltungsmöglichkeiten und Schlupflöcher eröffnet. Auch das kein Naturgesetz, aber politisch gewollt und strukturell verankert, führt der Steuerwettbewerb (der letztlich ein Dumping-Wettbewerb ist) für die obersten 1% dazu, dass die Progression auf den Kopf gestellt wird: Je höher die Einkommen oder die verschiebbaren Vermögen, desto geringer der effektiv zu bezahlende Steuersatz. Trumps große Steuerreform, die die Steuerlast der Unternehmen um 15 Prozentpunkte senken will, dürfte dahingehend auch auf Europa großen Druck ausüben und den bestehenden Wettlauf um die niedrigste Unternehmensbesteuerung weiter befeuern. Bis für international agierende Konzerne irgendwann Negativ-Steuern eingeführt und diese für ihre Standortentscheidung von den Staaten entlohnt werden. So wie es Ryanair heute schon vorexerziert. Dann wird wieder eine Debatte aufflammen um das unvermeidliche Auseinanderdriften der Schere. Für einen Tag, oder zwei.

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kurt duschek So., 10.12.2017 - 08:37

Kompliment, ein gut geschriebener Artikel ! Das Auseinanderdriften der Schere ist eine Tatsache und wird, meiner Meinung nach, sehr stark vom zunehmenden Egoismus der einzelnen Personen und dem immer weniger vorhandenen Interesse am sozialen Gedanken nochmals verstärkt. Die sogennnten "Gutmenschen" sind schlussendlich für viele nur nüztliche Idioten mit absurden, unrealisierbaren und utopischen Gedanken.

So., 10.12.2017 - 08:37 Permalink