Politik | Kommentar
Arroganz & Krokodilstränen
Foto: upi
Einberufung des französischen Botschafters in Rom, geharnischte Protestnote des Außenministeriums (Farnesina) und strenge Verurteilung durch Innenminister Minniti, spektakuläre Aufmacherberichte in TV, Radio und Zeitungen, empörte Meinungskommentare von Chefredakteuren und Kolumnisten und die zwingenden Stellungnahmen sämtlicher Parteiführer – von der Rechten bis zur Linken geeint wie selten hat Italien mit Empörung reagiert, schwerstes Geschütz gegen Frankreich aufgefahren und den Fall zur gravierenden Staatsaffäre erklärt.
Was war passiert? Französische Zöllner in Uniform und bewaffnet („Erano armati!“ titelt La Repubblica als wäre das ungewöhnlich) haben im Hochgeschwindigkeitszug TGV der Linie Paris-Mailand einen in Italien ansässigen Nigerianer des Drogenschmuggels in corpore, also durch geschluckte Päckchen, verdächtigt. Am ersten Bahnhof nach der französisch-italienischen Grenze im Dreitausend-Seelen-Skiort Bardonecchia im Susa-Tal haben sie ihn in ein Bahnhofsgebäude geleitet, um ihn einem Urintest zu unterziehen. Test, zu dem er sich schriftlich bereit erklärt hatte (wie freiwillig weiß man nicht) und der letztlich negativ verlief. Die Zöllner haben nach Aussagen der Betroffenen bei ihrer Aktion die Proteste von Mitarbeitern der Flüchtlings-NGO Rainbow for Africa „präpotent“ ignoriert und seien illegal in die Räumlichkeiten am Bahnhof eingedrungen. Und da wird die Sache kompliziert. Die fraglichen Zimmer standen nämlich nach einem italo-französischen Abkommen von 1990 den französischen Zöllnern und Grenzpolizisten zur Verfügung. Weil lange nicht benützt und heruntergekommen, hat die Gemeinde sie den Flüchtlingsbetreuern zur Verfügung gestellt. Die Franzosen wussten das, pochten aber auf ihr Recht. Ein Turiner Staatsanwalt hat hingegen Voruntersuchungen wegen Hausfriedensbruch, Amtsmissbrauch und Gewaltanwendung eingeleitet.
Die überdimensionale Erregung auf italienischer Seite hat allerdings einen tieferen Grund. Schon seit mehreren Jahren findet nämlich an den französisch- italienischen Grenzen ein stiller Kleinkrieg rund um jene Flüchtlinge statt,
Die Pariser Regierung hat den Zwischenfall anfangs als reines Missverständnis lediglich auf Beamtenebene behandelt, sich jetzt aber dazu durchgerungen, mit den italienischen Behörden über bessere Koordinierung zu reden. In der Tat sehen die Schengen-Vereinbarungen vor, dass Zöllner und Grenzpolizisten zweier Nachbarstaaten auch auf dem Gebiet des jeweiligen Nachbarn Kontrollen durchführen dürfen, aber bei Festnahmen, Durchsuchungen etc. ihre Kollegen des anderen Staates beiziehen oder zumindest umgehend informieren müssen.
Die Folgen der Abschottungspolitik
Die überdimensionale Erregung auf italienischer Seite hat allerdings einen tieferen Grund. Schon seit mehreren Jahren findet nämlich an den französisch- italienischen Grenzen ein stiller Kleinkrieg rund um jene Flüchtlinge statt, die Italien nur als Ankunfts- und Transitland betrachten, in Wirklichkeit aber versuchen, nach Frankreich und von dort nach Großbritannien (via Calais) oder nach Nordeuropa zu gelangen. Und Frankreich wirft Italien schon lange vor, diesen Transit zumindest nicht zu erschweren – Vorwürfe, die Paris im Unterschied zu deutschen und österreichischen Politikern nie offiziell und laut erhoben hat. Aber spätestens seit der großen Fluchtwelle 2015 hat Frankreich nicht nur seine Grenzen vollkommen dicht gemacht, sondern ist auch zur umstrittenen Praxis übergegangen, selbst auf französischer Seite aufgegriffene Flüchtlinge manu militari wieder nach Italien zurückzubringen. Dass erst vor wenigen Tagen eine schwangere Nigerianerin in Bardonecchia zurückgewiesen wurde und nach einem Not-Kaiserschnitt gestorben war, erklärt mit die große Empörung – wäre es ein rein humanistische.
Die nationale Kränkung
Ist es aber nicht. Wie schon bei der Ansammlung von hunderten Flüchtlingen in Ventimiglia seit 2015 nach der Absolut-Sperre durch die Franzosen und ebenso im Fall der famosen Drohung Österreichs mit martialischen Brenner-Sperren fühlt sich Italien erniedrigt und zugleich allein gelassen. Allein gelassen, weil über so lange Jahre vor allem der Süden Italiens als Erste-Hilfe-Station zur Aufnahme der erschöpften und verzweifelten Bootsflüchtlinge und als unfreiwilliger Bestattungsdienst Tausender im Meer Gestorbener Opfer gebracht hat, während die EU bestenfalls in Sonntagsreden gut klingende Appelle zur Zusammenarbeit aufbrachte – bis plötzlich hunderttausende Geflüchtete vor den Toren der reichen nordischen Staaten standen.
Erniedrigt, weil Italien dabei auch noch mit dem Dauervorwurf leben musste, seine Grenzen nicht zu kontrollieren, lax und ineffizient und schlaumeierisch die Flüchtlinge nach Norden durchzuwinken, ja ihnen sogar die Zugtickets zu zahlen. Dass jetzt ausgerechnet der als Bezwinger Marine Le Pens und allseits bejubelte Retter Emmanuel Macron des humanistischen Europas dem befreundeten italienischen Nachbarn arrogant die kalte Schulter zeigt und auch noch auf italienischem Staatsboden vorführt, wie man mit eiserner Hand mit den ungeliebten Migranten umzugehen hat, das hat dem Fass den Boden ausgeschlagen. Verständlich – und doch heuchlerisch. Denn Macron macht mit dem gerade in der Pariser Assemblée Nationale zur Beratung stehenden Migrationsgesetz nichts anderes als wir es von Holland, Schweden, Österreich und jetzt sogar Deutschland schon kennen: Schotten dicht, strengere Überwachung in Auffang-Zentren und verstärkte Abschiebung.
Wie schon bei der Ansammlung von hunderten Flüchtlingen in Ventimiglia seit 2015 nach der Absolut-Sperre durch die Franzosen und ebenso im Fall der famosen Drohung Österreichs mit martialischen Brenner-Sperren fühlt sich Italien erniedrigt und zugleich allein gelassen.
Und ist das nicht genau jene Politik für die Innenminister Marco Minniti gerade so viel Lob von Links bis ganz Rechts erntet? Kriminalisierung der NGOs, Beschlagnahme von Rettungsschiffen, kaum Protest, wenn die libysche Küstenwache auf Flüchtlingshelfer schießt? Zusammenarbeit mit der durch und durch korrupten libyschen Küstenwache, mit häufig mafiösen Bürgermeistern und Milizführern des zerfallenen Gaddafi-Staates? Und hatte nicht schon Silvio Berlusconi mit Gaddafi Geld und Geschäfte gegen die Zurückhaltung der Flüchtlinge getauscht? Und was haben wir im Wahlkampf täglich von Di Maio, Berlusconi, Salvini, Meloni gehört? Flüchtlingshilfe sei reines Business, die Retter zur See seien die Taxis der Schlepper, sechshunderttausend Illegale sofort abschieben, allesamt gewiefte Wirtschaftsflüchtlinge, die von unseren Steuergeldern leben und Schlimmeres. Insofern ist der entflammte Krieg der Worte mit Frankreich ein erstes Warnzeichen für das was noch kommen wird, wenn jeder Staat nur mehr auf das eigene Wohl bedacht ist: auf die Schwächsten treten, nach außen Rundumschlag.
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Ist Flüchtling die richtige
Ist Flüchtling die richtige Wortwahl? Wenn es sich um einen in Italien ansässigen Nigerianer handelt dann ist das für mich ein Italonigerianer und ein Einwanderer. Ohne Abklärung aus welchem Grund er nach Italien gekommen ist sollte man mit den Wort Flüchtling nicht so leichtfertig umgehen.
Antwort auf Ist Flüchtling die richtige von Paul Stubenruss
Der Nigerianer wurde auch
Der Nigerianer wurde auch nicht als Flüchtling bezeichnet.
Sie haben Recht und ich habe
Sie haben Recht und ich habe das von Ihnen beanstandete Wort "Flüchtling" korrigiert. Es wurde von mir und nicht von Lorenz Gallmetzer in den Text gesetzt. Trotzdem darf ich mich über die immer Einsatz bereite Semantik-Polizei wundern, die bei diesem Thema regelmäßig ausrückt.
Antwort auf Sie haben Recht und ich habe von Christoph Fran…
:)))))))))))))))))))))))
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Antwort auf Sie haben Recht und ich habe von Christoph Fran…
Franceschini wundert sich
Franceschini wundert sich über die angeblich "immer Einsatz bereite Semantik-Polizei". Ich hingegen wundere mich über seine offensichtliche Unfähigkeit, mit berechtigter Kritik erwachsen umzugehen.
Antwort auf Franceschini wundert sich von Robert Tam...
Habe den Beitrag von
Habe den Beitrag von Franceschini 2x gelesen, konnte allerdings keine offensichtliche Kritikunfähigkeit feststellen.