Politik | Regierungsbildung

Rituale und Liturgien

45 Tage nach der Wahl verzögern unnütze Rituale die Bildung einer neuen Regierung.
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Foto: upi

Eineinhalb Monate nach der Wahl ist eine Regierungsbildung nicht in Sicht. Längst ist der ursprüngliche Optimismus  verflogen, die rauen Töne nehmen zu. Im Rechtsbündnis nimmt der Schlagabtausch  zwischen Salvini und Berlusconi zu und erinnert in seinem rüden Tonfall an den denkwürdigen Bruch zwischen dem Cavaliere und Gianfranco Fini: "Che fai, mi cacci ?" Berlusconi will sich vom forschen Lega-Chef nicht weiter abdrängen lassen. Was ihn besonders irritiert, sind die Vorstösse für einen Zusammenschluss beider Parteien. Dass  ausgerechnet der von ihm geförderte ligurische Präsident Giovanni Toti diese Forderung unterstützt, ärgert Berlusconi zusätzlich.  Die Polemik über eine Fusion führt in der Basis beider Parteien zu wachsender Verstimmung - besonders im Veneto.    In Vicenza wurde wenige Wochen vor der Gemeindewahl der Bruch vollzogen,  in Venedig , Treviso und anderen Städten droht im Rechtsbündnis die Scheidung.

Auch das ursprünglich positive Klima zwischen Matteo Salvini und  der Fünf-Sterne-Bewegung weicht wachsendem Misstrauen. Luigi di Maio stellt dem Lega-Chef ein Ultimatum, endlich eine verbindliche Position zu beziehen.
Der zieht es vor, nach Sizilen zu fliegen, um dort streikende Arbeiter zu unterstützen und die Gemeindewahlen vorzubereiten.
 

Überflüssiger Auftrag an Casellati

Italiens Politik ist reich an überflüssigen Ritualen.  Zur vermeidbaren Liturgie gehört der Sondierungsauftrag an die neue Senatspräsidentin Elisabetta Casellati, um die Möglichkeit einer Annäherung zwischen der Fünf-Sterne-Bewegung und
Forza Italia zu prüfen. Ein Absurdum. 45 Tage sind vergangen - mit "veti, controveti, tatticicismi e personalismi", klagt PD- Chef Maurizio Martina. Folgt nun ein Auftrag Mattarellas an Kammerpräsident Roberto Fico, eine Koalition zwischen Partito Democratico und M5S zu prüfen?
Zwischen zwei Parteien, die sich seit Jahren verabscheuen und beschimpfen ?   Eine Beauftragung seines parteiinternen Rivalen wiederum könnte Di Maio irritieren.  Doch Rituale haben Vorrang. Was in einem Gespräch im Parlament in zwei Stunden geklärt werden könnte, bekommt liturgischen Charakter, in dem Hunderte von Journalisten den Rauch des Orakels beobachten.
Es wird noch lange dauern, bis in Italien eine neue Regierung ihre Arbeit aufnehmen kann. Denn die Fünf-Sterne-Bewegung will das Ergebnis in Molise am kommenden Wochenende abwarten, wo sie zum ersten Mal eine Regionalwahl gewinnen könnte - freilich in einer Region, die nur knapp 300.000 Einwohner hat.  Und die Lega hofft, dass ihr die Wahlen im Friaul am 29. April den Rücken stärken.
Spannend könnte es erst werden, wenn der zögerliche Staatschef einen Nicht-Politiker in den Quirinalspalast bestellt - etwa den ehemaligen Präsidenten des Verfassungsgerichts Giovanni Maria Flick, der von sich selbst behauptet "sarei un buon presidente". Bis dahin freilich dürfte viel Wasser den Tiber hinunterfließen.
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Martin Daniel Do., 19.04.2018 - 17:00

In Italien haben diese (von niemandem gewählte) Techniker-Ministerpräsidenten Tradition und befremdlich wirkt das erst, wenn man denkt wie unvorstellbar es im restlichen Westeuropa wäre, einen ehem. Präsidenten des VfGH als Premier von außen zu berufen. Unter die abstrusen Rituale hat sich die Wartezeit eines vollen Monats zwischen Wahlen u. Beginn der ersten Sondierungen durch Mattarella geschlichen. Unerklärlich wozu dies gut sein soll, zur Beruhigung der Gemüter hat es jedenfalls nicht beigetragen

Do., 19.04.2018 - 17:00 Permalink
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Mensch Ärgerdi… Do., 19.04.2018 - 18:02

Ich bleib bei meiner Meinung: es braucht ein Wahlgesetz welches den Gewinner der Wahlen eine große Mehrheit in beiden Kammern des Parlaments garantiert. Wenn bei den Wahlen 5 Fraktionen antreten und eine 21% der Stimmen bekommt, während die anderen 19,75% ergattern, muss die erste 60% der Sitze bekommen. Dann sparen wir uns das ganze Theater.

Do., 19.04.2018 - 18:02 Permalink
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Sigmund Kripp Di., 24.04.2018 - 08:48

Also ich finde, die Situation ist nicht so schlecht: Die Parteien haben im Parlament jene Stärke, die ihnen die Wählerinnen zugedacht haben. Niemand hat eine absolute Mehrheit. Und so müssen sie eben um Kompromisse feilschen und handeln. Ansich nicht das Schlechteste in einer Demokratie.
Was den so herrlichen und von vielen Politikern sehnlichst herbeigewünschten Mehrheitsbonus betrifft, muss man nur nach Ungarn schauen, um zu sehen, was er bewirken kann: Eine Gruppierung mit 48,5 % der Stimmen erlangt im Parlament 66% der Sitze und kann nur tun und machen, was sie will! Und dies nicht unbedingt im Sinne des liberalen und humanistischen Europa.
Deutschland hat fast ein halbes Jahr verhandeln müssen und ist auch nicht untergegangen,
Nein, mir ist ein langsam ausgehandelter Kompromiss lieber, als die gedopte Mehrheit von ein paar Egomanen.

Di., 24.04.2018 - 08:48 Permalink