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Wann ist ein Putsch ein Putsch?

Ist die Absetzung des gewählten ägyptischen Präsidenten Mursi ein Militärputsch? Oder die zweite Revolution in drei Jahren? Und wer hat die Deutungshoheit, um das zu entscheiden?

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Foto: Salto.bz

Pepe Egger spricht darüber mit Samia Mehrez, Literaturwissenschaftlerin aus Kairo, sie analysiert die ägyptische Literatur ebenso wie die Slogans und Sprechchöre der ägyptischen, „lachenden Revolution“.

Frau Mehrez, wie durchleben sie diese Tage?
Samia Mehrez: Es ist ein sehr schwieriger Augenblick, in dem wir uns befinden, eine Herausforderung, die unsere Gewissheiten auf die Probe stellt. Man könnte es so beschreiben: Die Ereignisse sind wie unglaublich viele Texte, die der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden. Das ägyptische Publikum, die Menschen, sind also die ganze Zeit dabei zu interpretieren, zu hinterfragen: Was bedeutet das, was gerade passiert? Was bedeutet diese Stellungnahme von diesem oder jenem? Wieso sollte ich sie glauben? Wer ist auf unserer Seite, wer sind unsere Gegner? Es ist ein wundervolle und äußerst anstrengende öffentliche Übung in angewandter kritischer Interpretation und Analyse.

Sie meinen etwa die Verlautbarungen der ägyptischen Armee, die, sobald sie veröffentlicht sind, sofort von allen zerpflückt werden um zu verstehen, was sie eigentlich bedeuten?
Genau. Noch dazu sind zum Beispiel die Kommuniques der Armee bewusst vieldeutig gehalten, sodass die Interpretation bis zu einem gewissen Grad der Bevölkerung überlassen bleibt. Es sind erst die Adressaten, also die Menschen auf der Straße, die der Stellungnahme und dem Verhalten der Armee seine Bedeutung verleihen.

Was ist Ihre Interpretation, wie würden Sie benennen, was gerade passiert ist?
Ganz einfach: Ich weiß es (noch) nicht. Es gibt verschiedene Szenarien, wie sich die Lage entwickeln könnte, aber wir wissen noch nicht, welches das wahrscheinlichste ist.

Ist dies auch deswegen der Fall, weil alles noch im Fluss ist? So dass man das erst hinterher wird sagen können, ob die Absetzung des gewählten Präsidenten Mursi ein Putsch war, oder eine zweite Revolution? Kann es sein, dass das, was jetzt viele begrüßt haben, sich später als inakzeptabel herausstellt?
Natürlich. Die Situation ist äußerst sprunghaft. Deshalb lässt sich die Armee ja auch so viel Zeit, weil sie weiß, was auf dem Spiel steht. Das Militär versucht, nicht in etwas hineingezogen werden, wozu sie nicht berufen oder imstande sind: In eine erneute Konfrontation mit der Revolution, oder aber auch in ein erneutes Scheitern daran, eine Situation zu kontrollieren, oder einzuhegen, die nicht kontrollierbar ist.

Die Armee wurde schon während des Sturzes von Mubarak auf die Probe gestellt, aber damals hatte sie eine viel ältere Führungsriege, die sehr starr und antiquiert in ihren Positionen war. Die derzeitige Armeeführung kennen wir noch nicht, es sind jüngere Offiziere, die bis vor kurzem sehr still, diskret und wortkarg waren. Das heißt, wir haben es mit einem Gegenüber zu tun, den wir nicht kennen. Das ist natürlich auch sehr beunruhigend.

Sie sprechen in Ihrer Analysis der Ereignisse in Ägypten von einer „lachenden Revolution“. Woher kommt der Begriff, und was meinen Sie damit?
Schon ziemlich früh, gegen Ende der 18 Tage der Revolution auf dem Tahrirplatz im Jänner 2011, hat der Fernsehsender Al-Jazeera eine Doku produziert, die sie „al-thawra al-dhahika“, also die lachende Revolution nannten. Sie dokumentierte das ganze Spektrum der Praktiken auf dem Tahrirplatz, die Witze, die Transparente, die Stand-up Vorführungen, die Sprechchöre, die karnevaleske Athmosphäre.

Welche Rolle hat Humor, haben politische Witze in der ägyptischen Revolution gespielt?
Ich bin fest davon überzeugt, dass wir ohne Humor, ohne Lachen, als Formen der Entlastung, des Umgehens mit der Furcht und Angst, mit denen wir tagtäglich und ganz real fertig werden müssen, niemals die letzen drei Jahre so überlebt hätten wie wir es getan haben.

Zum Beispiel die Angst des vorgestrigen Abends, als die Menschen zusehen mussten, wie Leute erschossen wurden, in Gizeh, nah der Kairoer Universität, und zugleich Witze machen konnten, im selben Augenblick. Das hat teilweise auch mit den sozialen Medien zu tun, weil eben auf Facebook das Dramatische und Tragische gleich neben dem Witz steht, und eine Entlastung ermöglicht.

Nun gab es schon vor der Revolution in Ägypten politische Witze und Satire?
Ich würde sagen, die Verbreitungsformen, und die Wirkung haben sich verändert. Früher zirkulierten Witze mündlich, und es fehlte ihnen das Element der öffentlichen Zurschaustellung, des zeitgleichen Lächerlichmachens vor hunderttausenden von Menschen durch die sozialen Medien. Die Mechanismen und Stilfiguren der politischen Satire hingegen sind so alt wie die Menschheit.

Andrerseits haben die sozialen Medien dem Witzeerzählen den Garaus gemacht: Heutzutage leiten wir Witz weiter und „sharen“ sie auf Facebook, aber geben sie nicht mehr in der Runde oder auf dem Marktplatz zum Besten. Dadurch entstehen Witze in Formaten, die man nicht mehr erzählen kann, etwa als Fotomontagen auf Facebook. Wenn man die Witze übersetzen oder erklären muss, dann sind sie ja nicht mehr lustig.

Sie betonen einerseits die Wichtigkeit der sozialen Medien, und analysieren andrerseits die politische Durchschlagskraft der Fernsehshows des Anti-Islamisten-Komikers Bassem Yousef: Ist das Fernsehen nicht obsolet geworden, wenn die sozialen Medien eine derart starke politische Funktion wie in Ägypten annehmen?
Überhaupt nicht, im Gegenteil. Wenn irgendein Medium in Ägypten in den letzten drei Jahren Wirkung entfaltet hat und wichtig war, dann war es das Fernsehen. Es gibt eine Unmenge an Sendern im Satellitenfernsehen, die allen Ägyptern landauf landab zugänglich sind. Selbst in den hintersten Winkeln, wo die Menschen kein Internet haben und keine Computer, gibt es doch Fernsehen. Natürlich haben nicht alle Satellitenfernsehen, aber es gibt immer einen Nachbar, oder ein Cafe, wo man es sehen kann. Die Islamisten etwa haben auch dank des Fernsehens eine derart starke Wirkung entfalten können.