Gesellschaft | Interview

„Diskriminierungen am Arbeitsplatz“

Andreas Unterkircher über den erfolgreichen „Dolomiti Pride“, Flüchtlinge die wegen ihrer sexuellen Orientierung verfolgt werden und über Diskriminierung am Arbeitsplatz.
Hinweis: Dies ist ein Partner-Artikel und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
Andreas Unterkircher
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Andreas Unterkircher ist Präsident der Schwul- und Lesbischeninitiative Südtirols Centaurus und arbeitet bei der Gewerkschaft CGIL-AGB im Bereich öffentlich Bedienstete. Er spricht über den erfolgreich verlaufenen „Dolomiti Pride“ in Trient, über Flüchtlinge die in ihrem Heimatland auf Grund ihrer sexuellen Orientierung verfolgt werden und über Diskriminierung am Arbeitsplatz.

 

Herr Unterkircher, wie war der „Dolomiti Pride“ in Trient am 9.Juni?

Andreas Unterkircher: Der Pride war ein voller Erfolg. Wir von Centaurus haben gemeinsam mit vier anderen Vereinen monatelang an der Organisation gearbeitet. Den größten Arbeitseinsatz haben die Trientner gezeigt, wir haben aber so viel wie wir gekonnt haben mitgeholfen. Am Ende hat es hat sich gelohnt, es waren doppelt so viele Leute da, wie erwartet, insgesamt haben 10.000 Menschen teilgenommen. Bei so einer Kundgebung ist es wichtig, dass nicht nur Schwule, Lesben und Transgender auf die Straße gehen, sondern auch und vor allem sogenannte „traditionelle Familien“ teilnehmen. Hier wurde voll ins Schwarze getroffen: ich habe Kinder und Familien gesehen. Es war toll, die Stimmung war super, einer meiner schönsten Prides, wenn nicht der Schönste. 

 

Gerade in Zeiten wie diesen…

Ich habe eine kurze Ansprache gehalten, in der ich unterstrichen habe, dass besonders zur Zeit, wo alle Minderheiten, Ausländer, Roma und Sinti, Behinderte angegriffen werden, wir eine Solidarität gegenüber den Anderen zeigen sollten. Außerdem hoffe ich, dass eine Kundgebung wie diese auch mal in Bozen möglich ist, denn das bräuchte es auch bei uns.

 

Italiens Familienminister Fontana sagt: „Le famiglie gay? Non esistono“. Was bedeutet das?

Wenn sich Familienminister Fontana erlauben darf zu sagen, welche Familien existieren und welche nicht, dann ist das allerhand. Dasselbe gilt für den Innenminister, wenn dieser von „natürlicher Familie“ spricht.

 

Wie schätzen Sie die Situation in Südtirol ein?

Das ist schwierig zu sagen. Ich glaube, dass Südtirol Schwulen und Lesben wenig bietet, es gibt wenige Treffpunkte.

 

In vielen Ländern werden Menschen wegen ihrer sexuellen Orientierung verfolgt. Kennt ihr dieses Problem auch bei Centaurus?

Parallel zum Flüchtlingsproblem sind wir in Europa auch damit konfrontiert, dass Leute zu uns kommen, weil sie in ihrem Heimatland auf Grund ihrer Sexualität verfolgt werden. Wir haben in Südtirol Fälle, wo Menschen aus diesen Gründen zu uns gekommen sind. Wir haben sie dann beraten, das gehört auch zu unseren Aufgaben, dass wir Leute, die in ihrem Land verfolgt werden unterstützen. Einige haben aus diesem Grund den Flüchtlingsstatus beantragt.

 

Inwiefern kann man von einer Diskriminierung von Homosexuellen, Bisexuellen und Transgender am Arbeitsplatz sprechen?

Diskriminierungen sind ein Problem. Die CGIL-Kategorie Filcams hat seit 2015 einen eigenen Schalter für Diskriminierung bezüglich sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität. Es haben sich bisher noch wenige Leute an den Schalter gewandt, Ich denke, die Leute haben noch Angst sich zu outen. Der Schalter heißt „Nuovi diritti“ / „neue Rechte“ und befindet sich am Sitz der CGIL-AGB in der Romstraße in Bozen.

 

„Diskriminierungen am Arbeitsplatz gibt es noch überall“

 

Wird der Dienst in Anspruch genommen?

Diskriminierung am Arbeitsplatz gibt es noch überall. Die Leute haben aber häufig noch nicht die Courage sich zu outen, deswegen bleibt die Diskriminierung im Verborgenen. Die Gewerkschaft ist jedoch sehr aktiv.

 

Wie sieht dieser Dienst aus?

Bisher ist die CGIL in der Funktion nur beratend aktiv geworden, eine rechtliche Intervention war bisher noch nie notwendig.

 

Glauben Sie, dass sich die Menschen vielfach auch nicht bewusst sind, dass Aussagen und Handlungen diskriminierend bzw. beleidigend auf andere wirken können?

Viele sind sich sicher nicht bewusst, dass sie homophobe Witze machen. Wenn man diese Personen auf die Beleidigung hinweist, wird immer gleich gesagt: „Ich hab nichts gegen Schwule“ oder „Ich habe viele schwule Freunde“. Die Leute denken oft nicht nach und erlauben sich dabei einiges. Jeder sollte beginnen zu hinterfragen.

Zuletzt ist dieses Jahr etwas historisches passiert: Die Transsexualität ist endlich von der Liste der Geisteskrankheiten gestrichen worden.

 

Was erhoffen Sie sich von der Zukunft?

Besonders in diesen Zeiten ist es wichtig zu sensibilisieren. Wenn ich das Vertrauen in die Politik verliere, dann spielen Organisationen wie die Gewerkschaft eine große Rolle. Mein Wunsch ist, dass nicht nur die CGIL-AGB klar Stellung bezieht, sondern auch andere Organisationen folgen und Position ergreifen.

 

 

 

Hi Oliver,
"Eine Familie ist dadurch gekennzeichnet, dass sie in einem Haushalt lebt und sich selbst reproduzieren kann."
ah - nein. Weder die erste Hälfte deines Satzes ("dass sie in einem Haushalt lebt") noch die zweite Hälfte ("sich selbst reproduzieren") sind zutreffend.

Eine Gemeinschaft aus einem oder zwei Eltern und mindestens einem Kind ist eine Familie. De Jure und de Facto. Ob die Leute in einem oder mehreren Haushalten wohnen, wer genau zeugen oder empfangen kann, und ob es überhaupt zwei Eltern gibt, hat glücklicherweise nix damit zu tun, ob die Gemeinschaft eine Familie ist.

"(...)und sich selbst reproduzieren kann. Homosexuelle können das nicht(...)"

Äh. Die Technik der Fortpflanzung der menschlichen Spezies ist dir als Arzt gewiss geläufig. Eine alleinstehende Frau im fruchtbaren Alter kann sich reproduzieren, ohne dass der dazu nötige Erzeuger im gleichen Haushalt wohnt. Manchmal, ich erinnere an Boris' Beckers "Samenraum", geht die Zeugung selbst ohne direkten Geschlechtsverkehr. Das entstehende Kind ist nachweislich ein leibliches, selbst reproduziertes Kind. Völlig unabhängig ob die Mutter Hetero-, Homo-, Sapio- oder sonstwas sexuell ist.

Und wenn, ganz tragisch, in einer heternormativen Konstellation einer der beiden Partner in einem Autounfall tödlich verunglückt, so ist der restliche Teil trotzdem eine Familie. Oder wenn eine einzelne Person oder ein heterosexuelles Paar ein nichtleibliches Kind adoptiert, so ist auch das eine Familie.

Also fassen wir die Fakten zusammen: für eine Familie braucht es mindestens ein Elternteil und mindestens ein eigenes oder adoptiertes Kind. Ob sie in einem Haushalt leben oder nicht ist irrelevant, ob sie sich reproduzieren können oder nicht ist genauso irrelevant. Und, obwohl die Reproduktionsfähigkeit irrelevant für den Status der Familie ist, halte ich gerne auch fest, dass sich sogar Homosexuelle reproduzieren können, so wie jedes andere Exemplar der Art Homo Sapiens.

Do., 26.07.2018 - 20:46 Permalink

Hi Oliver,
"Wenn meine Frau sterben würde und ich mit einem Kind zurückbliebe, würde ich nicht mehr von Familie sprechen, die Familie wäre dann für mich zerstört. Übrig bleiben Vater und Kind(er)."

Zum Glück befindest du dich mit dieser Meinung allein auf weiter Flur, und im Prinzip gegen das Grundgesetz. Auf einem Schlag würdest du allen Alleinerziehenden dieser Welt, und allen Kindern davon, das Recht absprechen, eine Familie zu sein. Aus Grundgesetz Sicht ist die Familie die kleinste Form der Solidargemeinschaft - ein Mitglied schaut auf ein anderes. Eltern auf ihre Kinder, Kinder auf ihre Eltern. Bloss weil ein Elternteil nicht mehr vorhanden ist, hat sich das Verhältnis der anderen Familienmitglieder nicht geändert, Mutter/Vater und Kinder bleiben in allen mir bekannten Rechtssystemen zum Glück eine Familie.

"Was bringt es, Homosexuelle mit Kindern auf Druck als "Familie" bezeichnen zu wollen, wenn es doch viel wichtiger wäre, mal das Adoptionsrecht zu erstreiten?"

Lol. Muss ich da wirklich antworten? Wenn Homosexuelle Partnerschaften den heterosexuellen, von dir als "Familie" bezeichneten gleichgestellt sind, dann haben sie das Adoptionsrecht. Muss keiner mehr getrennt erstreiten. Gewiss weißt das alles und wolltest mit deiner Frage bloß provozieren? Ehrlich gesagt bin ich mir da nie so richtig sicher. Mit der Gefahr, dir (und anderen) hier völlig Selbstverständliches darzulegen, weil ich deine Frage als ernsthaft interpretiert habe, sei dir erklärt:

In (alten) Formen des Grundgesetz (siehe Bundesrepublik vor dem 01.10.2017) war die Ehe als eine Partnerschaft zwischen Mann und Frau definiert. Änderungen an dieser Definition in dem Sinne, dass nun die Ehe als eine Partnerschaft zwischen zwei Menschen definiert ist, haben neben der Bundesrepublik mittlerweile eine ganze reihe europäischer Staaten vorgenommen.

Lies dir dazu diese nette hilfreiche Zusammenfassung, insbesondere die paar Zeilen von Kapitel 2 und die Beispiele aus europäischen Verfassungen aus Kapitel 4, das öffnet die Augen.
https://www.bundestag.de/blob/526424/2c6c153758ed96b2080f8b035c2eb435/w…

Nun muss man kein Jurist sein um zu verstehen, wie gesetze funktionieren: es gibt Wortlaute, die bestimmte Pflichten und Rechten definieren, und zum Beispiel gibt es die Definition, dass der Nachwuchs von zwei ge-ehelichten Partnern per Definition deren Kind ist. Keiner muss das Kind anerkennen, keiner muss nachweisen, dass er der biologische Vater ist, keiner muss das Kind adoptieren. Allein die Tatsache, dass die beiden auf dem Papier eine Ehegemeinschaft sind führt dazu, dass das Kind beiden zugerechnet ist. Völlig egal, ob beide auch die Erzeuger sind oder ob irgendwo eine Besenkammer, Samenraub oder Werkzeuge im Einsatz waren.

Und schon siehst du *den* klassischen Fall gelöst, um den sich die gesamte Diskussion des Adoptionsrechtes für gleichgeschlechtliche Paare dreht. Ein Partner hat ein *leibliches* Kind. Achtung, auch wenn man auf den ersten Blick denken würde, dieser Partner müsse dann wohl weiblichen Geschlechts sein (wegen "leibliches" Kind), wäre das ein Irrtum. Auch ein männlicher Partner kann (aus früheren Beziehungen) ein "leibliches" Kind haben. Soweit kannst du mir folgen? Danke!

Wenn nun dieser Partner, mit seinem leiblichen Kind, eine *neue* Ehegemeinschaft eingeht, dann *darf* der andere Partner das Kind adoptieren. Simple as that. Und zum Glück. Stell dir nämlich vor, der leibliche Partner verstirbt tragisch an einem Unfall. Ist das Kind adoptiert, darf es beim (anderen) Partner bleiben. Sonst landet es ins Heim. Oder umgekehrt: es verstirbt nicht der leibliche Partner, sondern der angeheiratete. War das Kind adoptiert, wird es erben. War es nicht adoptiert, geht es leer aus.

Wenn du nun diesen ganzen Gedankengang gefolgt bist, ist es unschwer sich vorzustellen, dass die temporale Reihenfolge auch anders sein kann. Eine Ehepartnerschaft kann bestehen, und eine (hier: weiblich) der beiden Gatten kann schwanger werden und ein leibliches Kind auf die Welt bringen. Es soll sogar in den besten Ehen Seitensprünge geben, nichts menschliches sollte uns fremd sein. Sind die beiden Partner heterosexuell und weiterhin glücklich, so muss der Mann nix tun, damit das geborene Kind auch "sein" Kind ist, mit allen Rechten und Pflichten. Sind die beiden Partner homosexuell, weiterhin glücklich, so kann durch die hetero/homoneutrale Definition der Ehe oder Familie dieses (und auch andere) Problem gelöst werden.

"Wenn es das Ziel der Homosexuellen ist, von der Gesellschaft als normaler Teil angesehen zu werden, ist es einfach völlig kontraproduktiv sich so (...verweis auf csd video...) zu präsentieren. Dem homosexuellen Paradiesvogel mag das gefallen, doch der Normalo-Homosexuelle leidet darunter (...)"

Äh. Nein. Mit aller Schärfe sogar nein. Was bitte sehr ist ein "Normalo-Homosexueller" und inwieweit ist ein femininer Schwuler oder eine virile Lesbe kein solcher... oje.

Du verwechselst als ersten Punkt die Tatsache, dass jemand als "normaler Teil der Gesellschaft" gesehen werden möchte mit "jemand möge sich normal in der Gesellschaft verhalten".
Wenn alle Menschen in der Gesellschaft blonde Haare haben, so ist die Lösung für die Nicht-Diskriminierung von brünetten nicht die, dass sich die brünetten gefälligst die Haare blondieren und sich "normal" in der Gesellschaft verhalten. Die Lösung ist die, dass die Gesellschaft lernt, mit der Tatsache umzugehen, dass andere Menschen brünette Haare haben.

Wenn zwei oder mehr (wie du es nennst) "tussige, feminine Schwule" oder "virile Lesben" gefahrenlos und undiskriminiert im öffentlichen Raum präsent sein möchten, so müssen die alle Rechte dieser Welt haben, es auch so zu tun. CSDs sind entstanden, weil weltweit katastrophale Diskriminierungen bis hin zu willkürlichen und schlimmen Gewaltakten aufgetreten sind, weil intolerante Bürger oder Staatsbedienstete mit dem Anblick von Homosexuellen Paaren im öffentlichen Raum nicht klarkamen. Die Lösung ist nicht zu verlangen, dass sich die Homosexuellen bitte der heteronormativen Gesellschaft optisch angleichen sollen. Die Lösung ist zu verlangen, dass jeder und jede auf dieser Welt das Recht hat, so femininin, maskulin oder schräg gekleidet gefahrenlos den öffentlichen Raum zu betreten.

Die Lösung ist auch den vielen unsicheren homosexuellen Jugendlichen aufzuzeigen, dass sie keine Angst haben müssen, aus Furcht vor Reaktionen intoleranter Mitglieder der Gesellschaft ihr coming out zu verheimlichen, sondern dass es völlig in Ordnung ist den Wunsch zu verspüren, eine Partnerschaft mit einem Partner einzugehen, unerheblich wessen Geschlecht der eine oder der andere ist. Dafür (und aus noch viel anderen Gründen) gibt es CSDs.

"Ich denke einfach, dass die Homosexuellen-Interessensvertretungen mit ihren teils schrillen und provokanten Auftritten genau das Gegenteil von dem erreichen, was sie wollen."

Nun ja, das ist deine Meinung. Es gibt ja auch andere Meinungen :)
Demonstrationen wie die CSDs leben von einer Kernbotschaft, einer öffentlichen Sichtbarkeit, und einer positiven, die Diversität bejahenden Feierkomponente. Wer sich davon vor den Kopf gestoßen fühlt, hatte wahrscheinlich noch zuwenig Kontakt und Reflexion über Diversität, und braucht tendeziell mehr, und nicht weniger CSDs.

Fr., 27.07.2018 - 08:55 Permalink

Diese Diskussion von Oilver und Christoph interessiert mich, obwohl ich bei den letzten beiden langen Beiträgen nicht mehr ganz mit komme und mitreden kann. Aber grundsätzlich läuft diese Diskussion in der schwulen Comunity ähnlich ab. Es gibt die, für die dieses Thema ziemlich „am Arsch vorbei“ geht, weil sie sich keine Kinder wünschen und weil sie das Gefühl haben dass sie so schon gut leben können. In der lesbischen Welt ist dieses Thema sicher wichtiger, weil sie selber Kinder auf die Welt bringen können und sich oft mit einem Schwulen zusammen tun, der auch gerne Vater werden möchte. Ich habe gerade ein Beispiel in meinem Bekanntenkreis.
Häufiger trifft es aber Väter und Mütter von Kindern aus regulären Ehen, die durch die Scheidung erst zu ihrem Lesbisch- oder Schwulsein stehen und mit ihrem Kind bzw. ihren Kindern entweder allein oder mit dem neuen Partner, der neuen Partnerin leben. Da habe ich auch eine in meinem Bekanntenkreis. Für diese Eltern sind die gesellschaftlichen Zuordnungen und gesetzlichen Bestimmungen aber sehr wesentlich. Deswegen ist es wichtig, dass es Menschen gibt, welche für diese Rechte kämpfen, wenn das auch hie und wieder jemanden auf den Sack geht!
Ich glaube, das Thema Schwule und Lesben mit Kindern bzw. Regenbogenfamilien und deren Rechte und Stellungen in der Gesellschaft ist eher ein neues Thema und müsste auch noch mehr in der Öffentlichkeit diskutiert, bekannt und bewusst gemacht werden!
@Oliver
Noch ein Wort zu deiner Aussage: „Ich denke einfach, dass die Homosexuellen-Interessensvertretungen mit ihren teils schrillen und provokanten Auftritten genau das Gegenteil von dem erreichen, was sie wollen. So trägt z.B. kaum etwas mehr zur Stereotypisierung von Homosexuellen bei wie der Cristopher Street Day.“ Das sehen auch viele Schwule so. Kurz zur Geschichte des Christopher Street-Day: Damals haben sich vor allem die Transvestiten und die sogenannten „Tunten“ zur Wehr gesetzt. Die waren die einzigen, die ihre Homo- oder Transsexualität offen zeigten. Von da her stammt das von dir genannte „Schrille“. Im Laufe der Entwicklung der Schwulenbewegung kamen aber immer mehr sogenannte normalaussehende Männer dazu, auch Intelektuelle. Es wurde immer deutlicher, dass es Schwule verschieden Couleurs gibt. Leider fallen Schwulenveranstaltungen immer noch teils zu schrill und provokant aus. Das trifft meines Erachtens – ich habe nur die Bilder im TV gesehen – bei der Parade des Dolomiti-Pryde aber nicht zu!

Fr., 27.07.2018 - 10:58 Permalink

Hi Oliver,
ein paar Antworten, wobei das alles inhaltlich viel zu weit für diese Kommentarspalte führt. Eine Vertiefung macht nur in einem anderen Setting Sinn, denn schriftlich blendet man allzu leicht genau die Teile der Antworten aus, die einem nicht ins argumentative Konzept passen.

1.
Dir geht es nicht um die Gesetze, sondern um die semantische Bedeutung des Begriffs Familie. Ich weise das zurück bzw. mich und allen Beteiligten interessiert die akademische Betrachtung nicht im Geringsten. Die Gesetze regeln unser gesellschaftliches Zusammensein, und sie führen dazu, dass jemand rechtlich diskriminiert wird oder nicht. Im Sinne eines laizistischen, sozialen, liberalen Gesellschafts- und Staatskonstruktes fußt jede Diskussion darüber, welche Rechte jemand hat, auf Grundgesetz und ordentlicher Gesetzgebung. Was für dich, sprachlich oder semantisch, der Begriff Familie bedeutet interessiert nur dich und bringt die Adoptions- oder Equal Rights Debatte keinen Millimeter weiter. Niemand wird benachteiligt, weil Oliver in einer Familie das Konstrukt X sieht. Aber jemand wird benachteiligt, wenn Grundgesetz und ordentliche Gesetzgebung in einer Familie das Konstrukt Y sehen. Für jemanden, der die Vor- und Nachteile der Zugehörigkeit zu einer Familie erlebt, zählt einzig und allein die juridische Definition, nicht das, was Oliver oder ich sich darunter literarisch vorstellen.

2.
Zum Adoptivrecht empfehle ich dir nochmal meinen Beitrag zu lesen. Du checkst es einfach nicht.
Das Thema Adoptivrecht bei Homosexuellen Paaren betrifft in den allermeisten Fällen nicht das, was du und andere spontan denken ("da möchte ein homosexuelles Paar ein fremdes Kind adoptieren"). Das sind sporadische, äußerst seltene Situationen. Das Thema Adoptivrecht ist zunächst immens wichtig für die Adoption *der eigenen Kinder* des Paares:

Das in der heterosexuellen Ebene gegebene Szenario ist: Frau wird schwanger (keiner Frage nach, wie) und gebärt ein eigenes Kind (mater certa est). Der Partner ist, de jure, Vater (außer er bestreitet ausdrücklich die Vaterschaft und lässt das Kind nicht anerkennen). Das Kind ist, de jure, Kind von beiden Partnern. Keiner der beiden Partner muss das Kind adoptieren.

Ebenfalls gibt es Szenarien wie folgt: Alleinerziehende Frau mit leiblichem Kind ehelicht im Nachfolgenden Zeitraum einen Partner. Der Partner hat problemlos die Möglichkeit, das Kind zu adoptieren, und will es auch. Warum man das will kapiert man mit kurzem nachdenken: was passiert, wenn in der Zeit die Mutter versterben sollte? Soll das Kind ins Heim oder darf es beim (neuen) Vater bleiben? Was passiert, wenn in der Zeit der Vater versterben sollte?`Soll das Kind erben oder landet das Vermögen bei den Geschwistern des Vaters... etc.

Wenn du das verstehst, dann verstehst du endlich worum es in ganz Europa bei der Liberalisierung des Begriffes Familie bzw. Ehegemeinschaft geht: sobald die Limitierung entfernt ist, dass eine Ehegemeinschaft nur eine Verbindung aus Mann
und Frau ist, wird es möglich, dass Frau und Frau oder Mann und Mann oder * und * ihre eigenen Kinder untereinander adoptieren dürfen, so wie es jedes andere heterosexuelle Paar auch tun darf. Das ist die wesentliche Errungenschaft, um die alle Interessierten seit Jahrzehnten kämpfen.

Dass bei der Adoption fremder Kinder hohe Hürden stehen (sowohl für hetero- als für homosexuelle Paare) ist ein anderes Thema, das nicht der Fokus der Bemühungen für eine neue Definition der Ehegemeinschaften ist.

3.
Zum Thema CSD und Kritik und dass du kein blend-in verlangst schreibst du
"Mein Fokus liegt darauf, dass sich die Homosexuellen-Interessensvertretungen darüber im Klaren sein müssen, dass sie durch diese Veranstaltungen Stereotypen verfestigen, anstatt sie aufzulösen."
Das ist kein Fakt, sondern deine persönliche Meinung.

"Die meisten Homosexuellen haben nämlich mit einer derartigen Aufmachung nicht zu tun. "
Das ist kein Fakt, sondern deine persönliche Meinung.
Ich kann dazu eine divergente persönliche Meinung nennen: Die Homosexuellen, die ich persönlich kenne, sind, gemeinsam mit ihren homosexuellen Freunden, nicht-homosexuellen Freunden, und den Familienmitgliedern, gerne bei CSDs dabei.

Es ist ein wesentlicher Unterschied wenn man von eigenen Erfahrungen, wie ich sie nenne ("die, die ich persönlich kenne") spricht oder unbelegte Verallgemeinerungen oder als Fakten getarnte Hypothesen nennt, wie du das tust ("die meisten homosexuellen haben ... nix zu tun").

4.
Zum deiner Frage zum Thema "Gewalt gegen Homosexuelle heute" reicht eine Lektüre der Tageszeitungen.

lg

Fr., 27.07.2018 - 11:31 Permalink

"binnen kürzester Zeit realisieren, ohne diese Lebensgemeinschaft als Familie zu definieren. Ich würde das begrüßen."
Dass du das begrüßt, ist willkommen, aber nicht viel mehr als eine subjektive Meinung. Andere, darunter auch Juristen, Verfassungsrechtler und natürlich die direkt betroffenen, empfinden eine stringentere Lösung darin, zu sagen, dass viele Regelungen, die Familienrecht und -förderung betreffen, alle auf die Basis der Ehe fundieren. Sind also zwei Partner verehelicht, dann gelten im direkten Anschluss Dinge wie Adoptionsrecht, Testamentregelungen, medizinische Auskunftsrechte, Entscheidungsbefugnisse, Erziehungsrechte, und Dutzende mehr.

Du kannst natürlich den aus deiner Sicht vermeintlich schnelleren Weg wählen, und Dutzende Einzelgesetze einzeln überarbeiten, dass sie nicht mehr auf die Grundlage der Ehe, sondern auf die "Ehe oder einer sonstigen Gemeinschaft von zwei homosexuellen Partnern" basieren, und den Gesetzestext von Dutzenden Regelungen einzeln und redundant modifizieren.

Du kannst aber auch den wesentlich kürzeren und stringenteren Weg gehen zu sagen: stellen die beiden Personen eine gleiche Solidargemeinschaft dar, die ich als Staat fördern und schützen möchte, unabhängig von ihrer geschlechtlichen Orientierung (die ja nachweislich ziemliche Privatsache ist). Wenn ja, dann kannst du einfach die Definition der Ehe oder Familie ändern. Und schon sind alle Gesetze, die auf dieser Grunddefinition basieren, auf einem Schlag angepasst. Das ist der Weg, den die Staaten, in denen die umgangssprachlich "Ehe für alle" definierte Lösung umgesetzt wurde, gegangen sind. Glaub mir, da waren keine Pfuscher am Werk, sondern wohl überlegende Verfassungsrechtler und Juristen. Du darfst aber gerne die Meinung vertreten, dass du es besser gelöst hättest, ich hab damit kein Problem.

3.
Ob du es dir aus der Nase ziehst oder nicht (dass die meisten Homosexuellen nichts mit CSDs zu tun haben möchten) weiß ich nicht. Genausowenig wie ich es vom Inhalt von Trumps Tweets weiß. Wenn du Belege für deine Thesen hast, kannst du sie nennen, bei so einer Aussage ("die meisten...") kannst du einen Beleg nur mit Studien, Befragungen und Prozenten erbringen. Ich befürchte, den hast du nicht. Alles andere ist Glauben, Vermutung oder Kaffeesatzleserei. Du darfst aber gerne bei deiner Meinung bleiben, ich hab damit kein Problem.

4.
Lol.
Wie du bei einer Diskussion über Dikriminierung von Homosexuellen mitreden möchtest, dabei aber die regelmäßigen Meldungen physischer und psychischer Gewalt gegen Homosexuelle nicht zu kennen scheinst, ist erstaunlich.

5.
"Du hast zwar Recht damit, dass Gesetze wichtige Strukturgeber für Gesellschaften sind. Du bewertest es aber im Vergleich zur gelebten Realität über."
Du scheinst Gesetze als reine Spielwiese für Parlamentarier, Richter oder Advokaten zu verstehen. Dem kann ich in keinster Weise zustimmen. Grundgesetze (und die universellen Menschenrechte) kann man gar nicht überbewerten. Diese sind sind der Dreh- und Angelpunkt unserer gesamten Gesellschaft und der Art und Weise, wie wir miteinander umgehen. Wir haben uns ein Grundgesetz gegeben, das den Rahmen für unsere Gesellschaft vorgibt, und wir haben uns das Regelwerk gegeben, dieses Grundgesetz nach Bedarf auch anzupassen. Wir haben uns ordentliche Gesetzgebung gegeben, die auf dem Grundgesetz fußt. Wenn ich mich als Gesellschaft weiterentwickle und feststelle, dass eine Regelung obsolet geworden ist oder nicht mehr den gesellschaftlichen Entwicklungen stand hält, ist es richtig, in einem demokratischen Prozess die Anpassung voranzutreiben, auf der jeweils dafür nötigen Ebene.

Wie ich vorhin schrieb, ist die Auseinandersetzung über solche Themen aus meiner Sicht in schriftlicher Form nicht möglich. Kosten und Nutzen gehen irgendwann zu weit auseinander, und ich bin mir auch sicher, dass es reichlich weiterführende Literatur zu diesen Aspekten gibt. lg!

Fr., 27.07.2018 - 14:14 Permalink