Weniger Krankenhausbetten ist gesundheitsschädlich??
... in der westlichen Welt sind sich alle wissenschaftlichen Gesellschaften einig, dass ein Krankenhausaufenthalt zu den gefährlichsten Dingen zählt die uns passieren können. Durch Behandlungsfehler und antibiotikaresistente Keime (sog. Hospitalismus) fordern unsere Krankenhäuser um ein Vielfaches mehr Opfer als Verkehrsunfälle. Qualität heißt schon lange nicht mehr, die Krankenhauskapazitäten zu steigern, sondern alle nicht unbedingt notwendigen stationären Aufenthalte zu vermeiden. Man nennt das "Angemessenheit der Aufnahme" und ist europaweit eine der größten Herausforderungen an ein gutes Gesundheitssystem - auch deshalb, weil jeder Tag dort die südtiroler Steuerzahler zwischen 700 und 800€ kostet... wenn Alles gut geht, versteht sich...
Die zitierte These des Politikers führt demnach nicht nur die Bürger in die Irre, sondern sie widerspricht auch gänzlich dem auf wissenschftlicher Evidenz basierenden Trend, die Menschen darüber aufzuklären, dass weniger auch in der Sanität oft mehr ist, dass Leistungen vom teuren und gefährlichen Krankenhaus auf das Territorium verlegt werden müssen. Nur so können sich die Kliniken auf das Wesentliche konzentrieren, immer besser und sicherer werden.
Der Bedarf an Gesundheit ist per Defintion unendlich und mehr Angebot schafft mehr Nachfrage. Eine Sättigung gibt es nicht, ein Optimum sehr wohl (höchste Wirksamkeit bei geringsten Nebenwirkungen und mit minimalen Ressourcen). Nach diesen Kriterien erstellen Staatsministerien Richtlinien, z.B. wieviel Akutbetten pro Einwohner angemessen sind. Mit Mario Monti hat das wenig zu tun.
Korrekte Information wäre: Krankenhausbetten sind weder ungesund, noch gesund... kommt nur darauf an, was mit den Patienten passiert die darin liegen! Oder noch einfacher: Die Bettenzahl ist kein Indikator für Gesundheit.
Indikatur für Gesundheit
Dieser Beitrag bringt die Sache auf den Punkt und zeigt, wie weit Politik und Propaganda von der Realität entfernt sind.
Wie soll es in Südtirol besser werden, solange wir nicht erkennen (wollen) , was wir falsch machen?
Antwort auf Indikatur für Gesundheit von Sebastian Felderer
Nicht erkennen (wollen)...
Eines der vielen ungenutzten Juwelen der Provinz Bozen ist eine luxuriöse Internetseite namens "Medizinische virtuelle Bibliothek - biblioteca medica virtuale" (www.bmv.bz.it). Dort können sämtliche wissenschaftliche Datenbanken, Reviews und Tendenzen aus der Medizin aus aller Welt konsultiert werden. Hier ein Auszug aus der letzten Newsletter:
Too much medicine des BMJ ist die jüngste Initiative zugunsten geeigneter Praktiken, die den Kranken helfen und den Gesunden nicht schaden. Zwei weitere Initiativen, die großen Anklang gefunden haben, sind Less is more des JAMA Internal Medicine und Choosing Wisely der American Board of Internal Medicine Foundation.
Too much medicine hieß ein Leitartikel, der 2002 im BMJ erschienen ist, der allerdings mit einem Fragezeichen versehen war. Nach etwas mehr als zehn Jahren braucht es kein Fragezeichen mehr. „Mit dieser Kampagne“, sagt die Chefredakteurin des BMJ Fiona Godlee, „wollen wir die Ursachen des exzessiven Einsatzes von Diagnoseverfahren, der Überdiagnostizierung und Überbehandlung ausloten, aber auch, wie man sie vermeiden kann“. Im Rahmen dieser Kampagne findet im September das Symposium Preventing Overdiagnosis statt; Anfang 2014 erscheint ein Themenheft mit einer Auswahl der vorgestellten Berichte; und schließlich ist die Veröffentlichung einer Reihe von Artikeln vorgesehen, die darüber berichten soll, wie die Erweiterung des Begriffs Krankheit zur Überdiagnostizierung beiträgt. Der auf diese Kampagne bezogene Leitartikel hat schon viele Kommentare geerntet. In Erwartung der neuesten Initiativen kann man das Heft von 2002 durchblättern, das einige Beiträge enthält, die immer noch ihre Gültigkeit haben.
Less is more. Innerhalb dieser Serie des JAMA Internal Medicine sind schon mehr als 60 Artikel erschienen, seit ein Leitartikel von Rita Redberg, Chefredakteurin, und Deborah Gray die Initiative vorstellte. Die Autorinnen schrieben, dass JAMA Artikel veröffentlichen würde, welche hervorheben, wie gewisse Gesundheitsmaßnahmen zu „weniger“ Gesundheit führen. In der Tat können Behandlungen, wo das Risiko die Vorteile übersteigt, schädlich sein; das gleiche gilt für viele Diagnoseverfahren, sowohl wegen der mit der Untersuchung selbst verbundenen Risiken, als auch wegen der Gefahr der Überdiagnostizierung.
Choosing Wisely. An dieser 2011 ins Leben gerufene Initiative sind die wichtigsten medizinischen Gesellschaften der USA beteiligt: Jede Gesellschaft wurde gebeten, eine Liste mit fünf Beiträgen, innerhalb ihres Fachgebietes, aufzustellen, die ihrer Ansicht überholten, überflüssigen oder unangemessen waren. Ende Februar 2013 waren es schon 130 Untersuchungen und Beiträgen. Außer der Liste “Five Things Physicians and Patients Should Question” wurde eine Reihe von Dokumenten erarbeitet, die den Patienten/-innen aufzeigen, wann es angebracht ist, bestimmte Untersuchungen durchzuführen und wann nicht, zum Beispiel im Fall von Allergietests.
Für Sie gelesen
Das Buch Overdiagnosed: Making People Sick in the Pursuit of Health (Gilbert Welch, Lisa Schwartz, Steven Woloshin) beschäftigt sich mit den Risiken der
Überdiagnostizierung: „Ein komplexes Netz von Faktoren hat das Phänomen Überdiagnostizierung hervorgebracht“ ist die zentrale These dieses Werks. „Die Massenmedien verbreiten die Angst vor Krankheiten und nähren die Überzeugung, dass eine frühzeitige, aggressive Behandlung immer die beste Wahl darstellt“. Das Ergebnis sind ein Übermaß an oft unangemessenen diagnostischen Untersuchungen, Screenings und Arzneimittelverschreibungen und daraus folgend unnötige chirurgische Eingriffe, unbegründete Ängste und exorbitante Kosten. Die New York Times empfiehlt dieses Buch all jenen, die über die großen Fragen der Medizin, das Konzept von „normal“ und „anormal“, und den Screening- und Präventionswahn nachsinnen wollen. Ein nützliches Buch, weil es die wichtigsten statistischen Grundlagen der EBM erklärt – und weil es dazu auffordert, einen anderen Weg einzuschlagen, denn „Gesundheit bedeutet sehr viel mehr, als nichts zu finden, das schlecht läuft. Sie hat damit zu tun, wie sich die Menschen fühlen, mit einer geistigen Verfassung. Und man kann sich kaum gut fühlen, wenn man dauernd etwas findet, das nicht funktioniert. Aber wir bewegen uns auf eine Auffassung von Gesundheit zu, die die Abwesenheit jeglicher Anomalie beinhaltet“, schreibt Gilbert Welch im Blog des Wall Street Journal.
Antwort auf Nicht erkennen (wollen)... von Frank Blumtritt
Vorsorgemedizin und Geschäft
Vielen Dank für diesen Einblick in ein mir zwar bewusstes Thema, aber ohne spezifisches Fachwissen. Ich habe mir meine Einstellung im Laufe der Jahre erarbeitet und einige negative Fälle der Vorsorgemedizin erlebt. Doch dies soll kein Maßstab sein. Man möchte sich nicht den Vorwurf machen, zu lange gewartet zu haben. Doch die Propaganda ist offensichtlich. Arbeitsbeschaffung und die Pharmakonzerne arbeiten Hand in Hand. Das braucht nicht unbedingt die Vogelgrippe zu sein, es gibt viele andere Beispiele. Doch wie die Ölmagnaten ihr Geschäft abschirmen, so schafft es eben auch die Pharmaindustrie, laufend Wasser auf ihre Mühlen zu lenken. Und Geld stinkt bekanntlich nicht.
Antwort auf Vorsorgemedizin und Geschäft von Sebastian Felderer
Feindbilder
stimmt alles. Man sollte sich nur immer im Klaren darüber sein, dass das Problem nicht die Pharma- oder Erdölindustrie, sondern wir selbst sind. ... sonst wäre es sinnlos hier darüber schreiben. Mein Ziel ist es, eine gesunde Skepsis zu verbreiten. Nur wer Fragen stellt, nähert sich der Wahrheit und hat eine Chance etwas zu verändern - und wenn es noch so klein ist...
Nicht geführte Diskussion
erstaunlich direkt und didaktisch wird in diesem Artikel auf eine, von unserer Gesellschaft nicht geführte, Diskussion hingewiesen, die mir dringend erforderlich erscheint. Ausdrücklich möchte ich auch Herrn Blumtritts Kommentar "Feindbilder" empfehlen.
@Oliver
Du sprichst hier aber genau mit Cholesterin und Bluthochdruck zwei Phänomene an, die weder für Diagnostik, noch Therapie in ein Krankenhaus gehören, denn soweit darf es ja gar nicht kommen.
Die Zukunft unserer Gesellschaftspyramide erfordert mehr Gesundheitserziehung, mehr Qualifikation und Erweiterung der Basismedizin, fachärztliche Kompetenz auch außerhalb der Krankenhäuser, mehr Pflegeheime und - damit wir uns das leisten können - weniger und schlanke Akutkrankenhäuser, dafür aber mit modernster Technik und know-how.
Nicht zu vergessen, dass die Gesellschaft einige Aufgaben wieder selbst übernehmen muss, wie Pflege und Fürsorge.
Frank, besonders der letzte
Frank, besonders der letzte Satz regt zum Nachdenken an: dabei fällt mir die längst nicht mehr erträglich Politik bezgl. der Altenheime ein. Was bitte rechtfertigt diese Preise für durchschnittliche Senioren, die keine direkten Pflegefälle sind? Hat nie jemand daran gedacht, dass "in Würde altern" auch etwas mit in sich gehen können, Ruhe, Weglassen zu tun haben könnte? Was soll der Animationszirkus in den mit Stark-Mobiliar ausgestatteten Luxusparkhäusern? Dasselbe gilt für unsere Krankenhäuser: schon vor Jahren zog es eine mir bekannte Ärztin in die Schweiz, wo es im Krankenhaus keinen äußeren Luxus gab, aber Könner ihres Fach's.