Kultur | Salto Afternoon

Sensationell, Giallo, Misterioso

Der Fall Caciula in Bruneck hat gezeigt, wie Südtiroler Medien über einen Frauenmord berichten. Über die Effekthascherei eines Feminizids.
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Foto: Foto: Salto.bz

Zunächst stirbt eine Frau aus Bruneck am 17.7. bei einem Schwelbrand in einer Wohnanlage (stol.it am 17.7.2018). Im Wortlaut: „Eine 46-jährige Frau aus Bruneck ist bei dem Brand ums Leben gekommen, 8 weitere Personen erlitten leichte bis mittelschwere Verletzungen.“ Am nächsten Tag können wir beim gleichen Nachrichtendienst lesen: es ist gar keine Frau aus Bruneck, sondern „Nicoleta Caciula, eine 46-jährige Frau aus Bruneck rumänischer Herkunft ist bei dem Brand ums Leben gekommen“ (stol.it 18.7.2018). Bei fortschreitenden Ermittlungen stellt sich heraus, dass die Frau gar nicht an einer Brandursache gestorben ist, sondern ermordet wurde. Der Alto Adige schreibt: „Il “giallo” dell’omicidio della donna romena strangolata nel suo appartamento a Brunico diventa sempre più misterioso.“

Diese Zuschreibungen in den Berichterstattungen zum Mordfall in Bruneck über den Zeitraum von fast einem Monat haben beim Lesen zur Folge, dass das Problem der Gewaltanwendung als ein importiertes wahrgenommen wird, eines, das von Außen nach Südtirol kommt und mit Südtirol selbst nichts zu tun hat.

Die schlechte Effekthascherei, die den Feminizid, dem Mord einer Frau, weil sie eine Frau ist interessanter, massentauglicher in seinem Unterhaltungswert machen soll, der mysteriöse Krimi also wird aufgeklärt. „Il cadavere della 46enne originaria della Romania, ma da diversi anni residente in provincia di Bolzano, era stato rinvenuto sotto una coperta e presentava gravi ustioni che parevano la causa del decesso. L'autopsia invece ha evidenziato segni di strangolamento, effettuato con un cavo elettrico che era stato trovato nei pressi della cadavere“ (repubblica.it, 11.8.2018). Am 12.8.2018 berichtet Unser Tirol 24: „Der spektakuläre Mordfall an Nicoleta Caciula in Bruneck ist aufgeklärt. Am 17. Juni war die 46-jährige Frau aus Rumänien nach einem Brand tot in ihrer Wohnung in der St.-Lorenzner-Straße in Bruneck aufgefunden worden. Die Autopsie hat ergeben, dass sie zuvor mit einem Kabel stranguliert worden war. Vermutlich sollte durch den Brand der Mord vertuscht werden ... war es der Neffe, der die 47-Jährige ermordet hat und nicht wie zunächst am frühen Nachmittag mitgeteilt, ihr Bruder.“
Südtirol News präzisieren am 13.8.2018: „Der Neffe der ermordeten Nicoleta Caciula war in Bruneck bei einem Sicherheitsdienst beschäftigt. Der Vater des 21-Jährigen stammt aus Rumänien, die Mutter kommt aus Südtirol.“

Was wir also über den Umstand des Mordes an Nicoleta Caciula erfahren ist ihr Alter und ihre Herkunft. Inwieweit dies dazu beiträgt, zu verstehen, wie es zum Mord kam und was mögliche Hintergründe sein können ist der Haltung der jeweiligen Leserin oder Leser überlassen. Der Untersuchungsrichter Peter Michaeler sagt in einem Presse-Interview am 13.8.: „Der Mörder sei ein Einwandererkind aus Rumänien, die Eltern hätten sich oft gestritten. Seine schwierige Kindheit müsse auch in Betracht gezogen werden. Der Grund, wieso er es gemacht hat, sei noch nicht klar.(Link)
Diese Zuschreibungen in den Berichterstattungen zum Mordfall in Bruneck über den Zeitraum von fast einem Monat haben beim Lesen zur Folge, dass das Problem der Gewaltanwendung als ein importiertes wahrgenommen wird, eines, das von Außen nach Südtirol kommt und mit Südtirol selbst nichts zu tun hat.

Eine so gestaltete Debatte über Frauenmorde (Feminizide) verfolgt klar die Idee, dass das Böse von Außen kommt, dass die Gewalt nicht Teil der „guten“ Südtiroler Gesellschaft ist. Der Effekt eines solchen Denkens ist ein starker Bewusstseinsmangel, was in den „ganz normalen“ Südtiroler Familien los ist und damit ein Mangel an Vorkehrungen und Präventiv-Maßnahmen, die getroffen werden müssten, um eine wirkliche Veränderung zum Besseren im Gewaltverhältnis für die Frauen in Südtirol, die Gewalt erfahren, zu bewirken. Es hält davon ab zu verstehen, wie Gewaltsituationen entstehen und beschaffen sind, trägt zum Rassismus bei und ignoriert die Erfordernisse für Frauen in Gewaltsituationen und legitimiert die gewalttätigen Männer durch eine gesellschaftliche Sühnung, indem solche Verbrechen oft als Drama, Tragödie oder Delitto passionale bezeichnet werden. Also nicht ein Tötungsdelikt benannt wird, in dem es einen klar Verantwortlichen für die Tat gibt. Eine so gestaltete Berichterstattung verschleiert den Fakt, dass sich 2016 in Südtirol 562 Frauen an die Anti-Gewaltzentren gewandt haben (ASTAT 2017). Das ist mehr als eine Frau pro Tag, die in Südtirol Hilfe in einer Gewaltsituation, zumeist innerfamiliär, sucht. Die Zahl für die, die keine Hilfe suchen ist vermutlich um einiges höher.

Die Berichterstattungen der oben zitierten Printmedien erfüllt zwei Klischees, die der österreichische Leitfaden für Berichterstattung bei Gewalt an Frauen nennt: Es gibt ein typisches Opfer und der Täter wird als psychisch instabil (Michaeler) bezeichnet. So wird verdeckt, dass Gewalt an Frauen in allen Schichten und Nationalitäten vorkommt und die Täter zumeist einem klassischen Mann entsprechen, wie er von der Gesellschaft gewollt wird.

...die erarbeiteten Hinweise der Expertinnen ernst nehmen.

Die vorgeschlagene Herangehensweise für Journalisten und Journalistinnen wir klar formuliert:

  • Es soll die gesellschaftliche Bandbreite des Themas immer mit berichtet werden, denn Gewalt an Frauen ist ein strukturelles Problem, keines, das vor Nationalgrenzen eingeschränkt wird
  • Erweiterung des Spektrums der Gewalttaten, über die berichtet wird beziehungsweise deren Kontext. (Mediale Schwerpunkte liegen vorzugsweise bei schwerwiegenden Einzelfällen und / oder Fremdtätern)
  • Ursachen und Bedingungen mit besprechen
  • Hintergrundwissen zu Gewalt an Frauen auch in tagesaktuelle Fallberichte einbetten (Analyse und Darstellung der Gewaltproblematik, Zusammenhang von Gewalt mit allgemeinen sozialen und ökonomischen gesellschaftlichen Bedingungen – traditionelle Männerbilder, soziokulturelle Normen –, gesetzliche Bestimmungen)
  • Vorgeschichte der jeweiligen Tat beziehungsweise die Konsequenzen der Tat für die Beteiligten beleuchten (etwa in Folge-Berichten); selten ist der Täter ein unbekannter Psychopath
  • journalistischen Kontrollaufgaben nachkommen
  • Wirksamkeit der unterschiedlichen Präventiv-, Beratungs- und Hilfsmaßnahmen sowie die
  • Effizienz von Gesetzen diskutieren
  • Vorhandene Defizite in der Vorgangsweise von Institutionen (Polizei, Justiz, Beratungs- und  Hilfseinrichtungen) aufzeigen
  • auf Lösungs-Möglichkeiten Hilfsangebote und gesetzliche Bestimmungen hinweisen
  • Strategien zur Gegenwehr beziehungsweise erfolgreiche Interventionen, auch durch Bekannte oder Verwandte aufzeigen
  • Beispiele bringen, wie Frauen Gewalt-Situationen bewältigt beziehungsweise Männer ihr gewalttätiges Verhalten überwunden haben
  • Die wichtigsten Anlaufstellen und Notfallnummern mitangeben

Es wäre wünschenswert, wenn bei den Berichterstattungen ein Wille zum Beitrag zu einer besseren gesellschaftlichen Entwicklung ersichtlich wäre, der die erarbeiteten Hinweise der Expertinnen ernst nehmen würde um das seine zu einer Bearbeitung der Gewalt im Geschlechterverhältnis  beizutragen.