Touristische Überbelastung: was tun?
Wird Südtirol bald in die No-List des Reiseverlags Fodor’s aufgenommen, der die von Tourismusüberbelastung (overtourism) heimgesuchten Gebiete auflistet? Wie könnte man den Boom einbremsen?
Der rote Bereich ist längst erreicht, meint Hans Heiss. Mit seinen 32,2 Mio. Nächtigungen (ASTAT 2017) und über 5,8 Mio. Ankünften pro Jahr (2017) gehört Südtirol zu den 5 Top-Destinationen Europas. Bei der Beherbergungsdichte (Betten pro km2) ist Südtirol im Alpenraum heute schon Spitzenreiter vor Nordtirol und Vorarlberg. Die 224.000 Gästebetten mit Tendenz nach oben und die im Vergleich mit dem zentralen Alpenraum im Schnitt doppelt so hohe Tourismusintensität Südtirols lassen Hans Heiss in seinem hervorragenden Beitrag im Naturschutzblatt 2/2018 zum Schluss kommen: „Der Sektor benötigt eine Wende. Wachstum und Expansion sind zu zügeln, die qualitative und ökologische Ausrichtung der Branche verlangt nach Korrekturen.“
Solchen Ansinnen scheint der HGV nichts abzugewinnen, lässt sich vielmehr mit einer eben vorgestellten Umfrage die positive „Tourismusgesinnung“ (sic) der Südtiroler bestätigen. Die von GfK Österreich produzierte Studie bringt aber halb verschlüsselt auch einige kritische Punkte. So wollen 54% eine „Verbesserung“ der Verkehrsströme, 77% wollen mehr Qualität vor Quantität, was immer das heißen mag, 46% eine Eindämmung der baulichen Entwicklung, 64% klagen über die Verkehrsbelastungen, 40% kritisieren die Beeinträchtigung des Landschaftsbildes durch touristische Bauten. Solange nicht die Mehrheit Bedenken hat, wird der HGV daraus schließen, können wir getrost weiter Bettenburgen in die Landschaft klotzen.
Der Tourismusexperte H. Pechlaner gab am RAI Südtirol-Morgentelefon am 28.8.18 zu, dass es beim overtourism in Südtirol nicht mehr nur um den Pragser Wildsee, Villnöss und Meran geht und keine punktuellen Lösungen genügen, sondern grundsätzlich zu überlegen sei, welchen Tourismus man den Regionen, Tälern und Orten zumuten wolle. Zum neuen Zustrom aus Übersee sagte er dann: „Wir sehen, dass sich die internationalen Touristen nicht davon abhalten lassen, die hot spots zu besuchen. Die Frage ist, wie lange bleiben sie in den hot spots und gelingt es, sie für einen längeren Aufenthalt durch andere Attraktionspunkte zu gewinnen. Touristen zu irgendetwas zu zwingen, macht keinen Sinn. Was Sinn macht, ist frühzeitig zu denken, wie man erklären kann, warum und wie man den Lebensraum erhalten kann.“ Wie wahr, doch gerade dafür wären Rezepte gefragt, wie sich die touristische Übernutzung bremsen und vermeiden lässt. Das Land hat aber bisher nur Angebot und Nachfrage angekurbelt. Weil Pechlaner nichts sagte, wie das gehen könnte, hier in Ergänzung zu den fünf wichtigen Vorschlägen von Hans Heiss im DfNUS-Blatt weitere Ansatzpunkte:
1. Die Bettengrenze von 229.000 soll laut neuem Raumordnungsgesetz 2020 fallen. Die bereits stark entwickelten Gebiete sollen eher den Bestand halten, die noch nicht so stark entwickelten Gebiete sollen aufholen können. Klingt gut, bedeutet aber schlicht und einfach: in der Mehrheit der Gemeinden wird es noch mehr Betten und noch mehr Verkehr geben, um die zusätzlichen Betten zu füllen. Ein Bettenstopp in der tourismusintensivsten Region der Zentralalpen ist ein Muss.
2. Südtirol ist als Tourismusdestination zu billig, auch weil das Gastgewerbe bei uns immer noch subventioniert wird und verschiedene vom Tourismus verursachte Kosten nicht eingepreist werden. So vergeben Land und Gemeinden Millionen an Subventionen an einen boomenden Wirtschaftszweig, volkswirtschaftlich unbegründet und unsinnig (über 88 Mio im Jahr 2015, vgl. ASTAT Jahrbuch 2017, das Land allein 2018 an die 50 Mio. Euro).
3. In Südtirol fehlt eine Tourismussteuer, während die Kosten für die Umwelt- und Verkehrsbelastung das Land und damit die Gesamtheit der Steuerzahler trägt. Obwohl das Autonomiestatut (Art.72) ausdrücklich eine Tourismussteuer vorsieht, ist bisher nur die geringfügige Aufenthaltsabgabe eingeführt worden. Durch eine Landestourismusabgabe, die von den Betrieben auf die Gäste abgewälzt wird, würde der Aufenthalt tendenziell teurer, die Beanspruchung nähme etwas ab.
4. Sehr wichtig das Lohnniveau in der Tourismusbranche. Wegen der im Vergleich mit den Nachbarregionen tiefen Löhne ist Südtirol wettbewerbsstark, doch gerade wegen dem Lohnniveau, den unattraktiven Arbeitszeiten, der Saisonalität wollen immer weniger Südtirolerinnen im Gastgewerbe arbeiten. Die boomende Branche schafft vor allem Arbeitsplätze für Menschen von außen. Südtirol. die tourismusintensivste Region der Zentralalpen mit Vollbeschäftigung, braucht keine zusätzlichen Billiglohn-Arbeitsplätze im Tourismus, sondern qualifiziertere und gut entlohnte Arbeitsplätze.
5. Die Werbung einbremsen und privatisieren. Südtirols overtourism ist auch durch die jahrzehntelange öffentlich bezuschusste Marktbearbeitung erzeugt worden, durch Werbekampagnen, die alle Steuerzahler mitfinanzieren müssen, z.B. über den IDM. Wenn Südtirol auch mit weniger Tourismus gut leben kann, genügt auch weniger Werbung, und diese sollen wie in anderen Branchen auch die Betriebe selbst tragen, nicht die öffentliche Hand.
6. Verrückten Kurzzeittourismus reduzieren. Das gilt nicht nur für die Chinesen, die unbedingt ein Foto von den Geislern in Villnöss brauchen, sondern vor allem für Motorradfahrer, die in Horden in zwei Tagen Südtirols Passstraßen als „Motodrom mit Kulisse“ missbrauchen mit geringer Wertschöpfung, aber exzessiver Lärmbelästigung. Hier können auch Passsperren, Dezibelgrenzen und Fahrverbote helfen, wie punktuell bereits in Bayern eingeführt.
Tourismus ist eine tragende Säule der Südtiroler Wirtschaft und Haupteinkommensquelle für tausende Familien. Bei einer Strategie gegen das Übermaß geht es eigentlich um nachhaltigeren Tourismus (ökologisch nachhaltig kann Tourismus per se nicht sein, da immer mit Mobilität verbunden). Nur ein sozial und ökologisch verträglicher und deshalb quantitativ begrenzter Tourismus kann auf Dauer Bestand haben und von der bereisten Bevölkerung akzeptiert werden. Die touristische Beanspruchung unseres Landes zu lenken und zu deckeln, das liegt im Interesse des Tourismus selbst.
... einmal davon abgesehen,
... nicht zu vergessen, dass ab einem gewissen Punkt "Overtourism" auch von den Gästen/Touristen selbst nicht mehr akzeptiert wird, vor allem von denen nicht, die wir uns wünschen...
Antwort auf ... einmal davon abgesehen, von Sylvia Rier
Ganz Deiner Meinung, Silvia.
Ganz Deiner Meinung, Silvia. Irgendwann riskiert man, den Punkt des "Overtourism" zu erreichen, was auch viele fremde Gäste abschrecken dürfte.
Aber für welche Einschnitte sind unsere Gastwirte und Hoteliers bei sich selbst bereit? Wäre ein Michil Costa gewillt, seine bestehende Bettenanzahl um 20% zu reduzieren? Wärst Du bereit, eine Deiner Wohnungen (bzw. eins Deiner Zimmer) nicht mehr Touristen, sondern beispielsweise eine Flüchtlingsfamilie zur Verfügung zu stellen?
Wenn Unternehmer, die von Fremdenverkehr leben, vor "Overtourism" warnen, dann wäre es wichtig zu wissen, welche Einbußen sie persönlich auf sich nehmen würden, um diese Gefahr abzuwenden.
Antwort auf Ganz Deiner Meinung, Silvia. von Robert Tam...
Diese Argumemtation blockiert
Diese Argumentation blockiert jede Chance der Umsteuerung. Niemand fordert einen Rückbau, zurzeit geht es nur darum, das ausufernde Wachstum einzubremsen u. das ist es, was Heiss verlangt. Denn was die Landesregierung tut, ist das genaue Gegenteil: ein bisschen wie Trump befeuert sie eine voll im Boom befindliche u. Rekordzahlen aufweisende Branche weiter mit Steuergeldern für Werbung (s. IDM), einer wohlwollenden Raumordnung und der ständigen Entscheidung für zusätzliche Infrastrukturen, die auch z.T. mit Steuergeld, dem Erhalt intakter Landschaft u. Natur vorgezogen werden: Speicherbecken, Aufstiegsanlagen, Museum Kronplatz, schnellere Erreichbarkeit, neue Hoteldörfer, niedrigst mögliche Besteuerung auf lokaler Ebene (Irap, Gis), kein Druck für angemessene Löhne... Michil Costa hat meines Wissens in dem traditionellen Familienbetrieb lange keine Erweiterung mehr getätigt, sondern versucht durch qualitative Verbesserung eine möglichst nachhaltige Betriebsführung zugunsten von Umwelt, Mitarbeitern, Zulieferern etc. anzuwenden. Insofern ist ihre Forderung eine Provokation mit dem Ziel, ja nichts zu verändern.
das Ergebnis gelautet hat,
Danke Thomas für diesen Beitrag und den Bezug zur Umfrage vom HGV! Ich habe mich schon gewundert, dass die Redaktion dazu keinen kritischen Beitrag verfasst hat. Mich hätte interessiert, welche Fragen sind an welche Personen gestellt worden. So wie das Ergebnis zusammengefasst wurde, war verständlich, dass jeder bald zugestimmt hat. Meines Erachtens war das Ergebnis nach dem Schlüssel: Wer hat die Studien in Auftrag gegeben : Was sollte herauskommen :Wie wurde das Ergebnis dargestellt zu interpretieren!
Zu "2. Südtirol ist als Tourismusdestination zu billig" - das ist eine gefährliche Aussage! Wenn in Bozen - in den nicht touristischen Zonen - der Kaffee 1 € bis 1,10 € kostet (in Trient und im Veneto noch weniger), z. B. im Burggrafenamt bis ins hinterste Tal er aber 1,40 bis 1,50 kostet, dann betrifft das nicht nur den Gast sondern jeden Südtiroler. Ich will sagen: hochpreis-Tourismus lässt auch die Verbraucherpreise für den naturnahen und regional-bewussten Konsumenten ansteigen! Un wer bezahlt den Menschen mit niedrigen und mittleren Einkommen die Differenz?
Was wir nicht wünschen, was
Was wir nicht wünschen, was aber mit Sicherheit irgendwann eintreten wird: wirtschaftliche Einbrüche in Italien und Deutschland, den beiden Ländern aus denen die meisten Gäste nach Südtirol kommen. Dann werden sich die "Betten nicht mehr füllen" (grausiger Hotelslang!) sondern gewaltig leeren! (Endlich Platz für Immigranten?). Aber bis dahin muss laut IDM/HGV abkassiert werden um den Hals endlich voll zu bekommen - auch wenn die Destination die Reise nicht mehr wert ist. Südtirol hätte die Grundlagen (aber wohl nicht die Einsicht) für einen einzig dastehenden alternativen Tourismus, der auch der gastgebenden Bevölkerung eine Freude sein könnte. Stattdessen wird alles für den Massentourismus mit Hotelkästen und Angeboten plattgemacht, die es überall auf der Welt - meist sogar billiger - gibt.
Tourismus wird dann zum Overtourismus sobald nur noch die "Wünsche" (wer formuliert sie denn? Der HGV?)) der Touristen erfüllt werden und die Lebensqualität der Einwohner sinkt. Beispiel: Brixner Hofburggarten, der eine touristische Attraktion von André Heller werden soll, Zutritt gegen Bezahlung, statt den Brixnern als Bürgerpark kostenlos zur Verfügung zu stehen.
Ein anderer Tourismus für Südtirol kann nur durch radikales Umdenken eingeleitet werden: Ruhe statt Bespaßung, ÖPV statt Privatautos, Verbot von Motorrädern, Wandern statt Biken, keine Tagestouristen sondern Aufenthaltsgäste, Küche mit lokalen Produkten statt aufgeplusterter Internationalität, keine airbnb-Zimmer sondern familiäre Pensionen, Einschränkung der Ferienwohnungen, Beteiligung der Gäste an den durch sie verursachten Infrastrukturkosten...
die Liste kann endlos verlängert werden um einen hochstehenden, nachhaltigen Individualtourismus zu fördern, der aus einem anderen Publikum besteht als die optische Umweltverschmutzung durch den sich derzeit ergießenden Massenplebs, der die guten Stammgäste aus gutem Grund ausbleiben lässt. Aber jeder bekommt das, was er verdient!