Auch politisch scheint Dublin von Schengen weiter entfernt als das aus der Schlauchbootperspektive ersehnte Europa.
Wer die Reisefreiheit im Inneren gewähren will, muss die Außengrenzen schützen, heißt es. Das Mittelmeer ist breiter und tiefer als Zäune in Kiefersfelden oder am Brenner jemals hoch sei könnten. Und doch kommen sie zu Tausenden, überleben zu Hunderten, und denen, die es auf eine Aquarius schaffen, wird das Anlanden verweigert.
Wir wollen schließlich wissen, wer zu uns kommt. Kaum vorstellbar, dass es jemand übers Mittelmeer schafft, ob jetzt im Schlauchboot oder auf der Aquarius, ohne registriert zu werden. Wenn mancher es tatsächlich unregistriert, ohne biometrisch erfasst zu werden, nach Europa schafft, dann liegt der Grund nicht auf einem Schiff im Mare Nostrum sondern im weit entfernten Dublin. Weil für Immigranten kein Schengen gilt. Weil wahlwerbende Innenminister immer noch Kuhhandel abschließen, wie denn „Illegale“ wieder hinter die nach Schengener Lesart gar nicht mehr existierenden Grenzen zurücktransportiert werden können. Weil Registrierung für die Ankommenden und für die aufnehmenden Staaten ein satter Nachteil ist.
Es ist nur so eine These, aber was, würde die Registrierung mit Rechten einhergehen, würde eben die Registrierung und der Erhalt eines Immigrantenausweises zur Teilhabe am Schengen-Recht des freien Personenverkehrs in Europa befähigen? Hätten wir dann noch hässliche Szenen bei Kontrollen in grenzüberschreitenden Zügen, hätten wir leb- und namenlose Körper auf den Geleisen unseres hochziviliserten Kontinents? Ist es sicherheitspolitisch denn ein eklatanter Unterschied, ob sich auf Asylbescheid Wartende auf italienischem Territorium frei bewegen, oder die Nase auch einmal über den Brenner stecken?
Dann würden die sich ja alle niederlassen, wo es am schönsten ist. Sicherlich, bei einem Obolus von ein paar Euros würden alle Immigranten sich gezielt in den teuersten Luxuswohnorten ansiedeln, nicht etwa dort wo Landflucht leergefegte Landstriche samt leerstehenden Häusern hinterließ. Oder doch dort, wo die Lebenserhaltungskosten unterdurchschnittlich sind, wo der Bäcker sonst keine jugendlichen Auszubildenden mehr findet? Außerdem kann man den öffentlichen Obolus auch gezielt ortsgebunden auszahlen. Jeder Immigrant hätte damit das Recht, durch Verzicht auf den staatlichen Beitrag, sich anderswo niederzulassen, als wo die öffentliche Hand bezuschusst. Wer sich es leisten kann...
Aber was soll dieses Konzept der „staatlichen“ Beiträge überhaupt? Warum Immigranten in Europa den unterstützenden Obolus von den Mitgliedsstaaten und nicht etwa direkt von der EU ausbezahlt bekommen, versteht wohl nicht einmal jemand in Dublin. Orban freut sich, immerhin. Staatliche Zuschüsse sind eines der für Populisten schönsten Argumente.
Und so scheitert unsere Politik weiterhin an der Unlösbarkeit der selbstgemachten Probleme, träumt mittelfristig von außerterritorialen Lösungen, von Exklaven, „Zentren“, mit meterhohen Zäunen, als wären die Bilder aus Ceuta nicht hässlich genug. Langfristig freilich, spricht man von gerechteren Verhältnissen für Afrika. Die erreicht man, in dem man genau zwischen echten Flüchtlingen und Wirtschaftsflüchtlingen unterscheidet und Einwanderung gezielt steuert. Ergo: Afrika soll sich die Armen bitte behalten, aber danke, dass ihr die Creme de la Creme, die wir so gerne abschöpfen wollen würden, für uns gratis ausgebildet habt. Letztere sind willkommen und bekommen noch einen Fairtrade-Stempel in den Reisepass.