Weite in der Enge

Ein Gastbeitrag von Hans Heiss
Die Teßmann-Bibliothek war in den Jahrzehnten nach ihrer Gründung 1958 die einzige ständige Heimstätte für Wissenschaft und Forschung in Südtirol. Denn noch gab es keine universitäre Forschung, bestenfalls erste Ansätze in größeren Unternehmen. Wer ein Umfeld suchte, das kontinuierlich zu Forschung und Vertiefung einlud, fand es über viele Jahre hinweg allein in den Räumen der vorerst noch halbprivaten „Teßmann", die erst 1982 zur Landesbibliothek aufstieg.
Die Mission zur Forschung und zu konzentrierter Arbeit verdichtet sich auch heute noch zur täglichen Raumerfahrung: Wer die Räume der „Teßmann" betritt, erlebt wie ehedem den Eindruck, sich an einem Ort zu befinden, wo die Enge Südtirols zurücktritt, dank eines genius loci, der die Kurzatmigkeit des Lokalen zugunsten der Universalia von Bildung und Wissenschaft von seiner Schwelle weist, und zwar in unangestrengter, entspannter Form. Benutzer beugen sich über die Bildschirme des Online-Katalogs, blättern im Digitalen Zeitungsarchiv, surfen im Netz, lehnen entspannt in den Sesseln der Zeitschriften-Lounge. Es sind Männer und Frauen, Jugendliche, Erwachsene und Ältere, die an der Ausleihe warten, um Informationen bitten, in ihre Arbeit versunken sind oder auf dem Vorplatz miteinander schäkern; betreut von den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen im Front-Office, deren kundige Freundlichkeit ihre unterschiedlichen Charaktere und Temperamente nicht verbirgt.
Das Befreiungserlebnis stellt sich ein trotz eines Raumangebots, wofür das Prädikat „beengt“ pure Schönfärberei wäre. Die Raumnot ist chronische Begleiterin der „Teßmann": Ihre Lokalitäten wirkten stets wie ein Konfirmandenanzug am Körper eines Erwachsenen – gutes Tuch, gewiss, aber es spannt, kneift in den Achseln und im Schritt. Enge ist eine „Teßmann“-Konstante, ein running gag, der sich von ihren Ursprüngen im Ölhaus in der Dr.-Streiter-Gasse fortsetzte in das 1967 bezogene „Waltherhaus", wo die Benutzer ihre Bibliothek nicht zu ebener Erde, sondern im zweiten Stock vorfanden. Die Raumnot war auch 1985 im Neubau in der A.-Diaz-Straße von Anfang an spürbar. Da der Umzug in einen lichten, architektonische und wissenschaftliche Weite verbindenden Neubau vorerst in der Ferne liegt, wird Enge weiterhin spürbar bleiben – für die Benutzer, vor allem aber für die rund 20 Mitarbeiter/-innen.
Die Beengung steht aber auch für die langjährigen Optionen einer Kultur- und Bildungspolitik, die seit 1970 zwar jedem Dorf ein mächtiges Kulturhaus und gut ausgestattete Kindergärten bescherte, aber Südtirols Zentralort für Wissenschaft und Bildung an kurzer Leine hielt. Die „Teßmann“ ist ein spätes Zeugnis der Ära von Kulturlandesrat Anton Zelger (von 1960 bis 1989), der sich um Bildung und Kultur Südtirols zwar große Verdienste erwarb, aber als ihr gestrenger Zucht- und Sparmeister unnötige „Flausen“ der Repräsentation nicht dulden mochte. Daran änderte sich auch in der Ära Durnwalder wenig: Sosehr die Freie Universität Bozen für ihre 3.000 Studierenden mit Raum in Fülle an mehreren Standorten verwöhnt wurde, so wenig galt dies für die Landesbibliothek. In Abwandlung eines bekannten Bonmots aus der Tiroler Geschichte prägen wir daher für die „Teßmann“ die Sentenz: „Guten Raumes Mangel ist meines Herzens Angel.“
Aber die Enge ist nicht nur Fluch, sondern auch Teil des „Teßmann“-Charmes: Die Mitarbeiter/-innen (vorwiegend sind es Frauen) leiden gewiss darunter, dass der Arbeitsplatz kaum Bewegungsfreiheit einräumt, aber für die Benutzer ist die Kleinteiligkeit Teil der effizient und familiär gefärbten Arbeitsatmosphäre des Hauses. Das strukturelle Defizit ist mithin nicht ohne Vorzüge: Der bewährte „Teßmann“-Service lebt auch aus der Enge, die Wege verkürzt, Hierarchien und Schwellen senkt. Es gehört zum Stolz, wohl auch zur Identität des Hauses, seine Mission auch auf gedrängtem Raum zu erfüllen. Zudem stiftet die Enge Kommunikation: Nicht nur Jugendliche schätzen die „Teßmann“ als beliebten Treffpunkt, wo sie an der Ausleihe, im Lesesaal und auf dem Vorplatz Freunde und Bekannte treffen. Wissen und Information, Kommunikation und Emotion fließen ineinander und stiften das Flair des Ortes.
Hinzu kommt der subtile Reiz eines kulturellen Kontrastprogramms, das die „Teßmann“ in ihrem Quartier repräsentiert. Inmitten italienischsprachiger Schulen, unweit von Siegesdenkmal und Armeekorps, wirkt die „Teßmann“ als Fanal deutscher und österreichischer Kultur, die aber keineswegs nationalistisch verengt auftritt, sondern als Teil der universalen Wissens- und Lerngemeinschaft.
Von Beginn an war die „Teßmann" ein exterritorialer Ort in Südtirol, da die Österreichische Akademie der Wissenschaften (ÖAW) den Grundstock der Bestände und einen Mitarbeiter bereitstellte. In der „Teßmann“ äußerte sich, zwar dezent, aber unverkennbar, die kulturelle Präsenz Österreichs in Südtirol, die selbstlose Bereitschaft der Republik, der Minderheit unterstützend beizuspringen in dem Bereich, worin eines ihrer wichtigsten Zukunftsfelder lag, in Wissenschaft und Forschung. In demokratischer Abwandlung des Siegesdenkmal-Spruchs ließe sich zur Rolle Österreichs in der „Teßmann“ sagen: Hinc patria excolit omnes ciues bonae voluntatis vi sapientiae et librorum. – Von hier aus versieht das Vaterland alle Bürger guten Willens mit der Kraft des Wissens und des Buches.
Niemand verkörperte die wissenschaftliche Subsidiarmacht Österreich in Südtirol besser als Bibliothekar Hermann E. Lauschmann. Beinahe 30 Jahre lang, zwischen 1965 und Anfang 1993, besetzte der aus Niederösterreich stammende Wahlbrixner Lauschmann den Informationsschalter und wirkte in Wissen und Auftreten als Repräsentant souveräner Beratung more austriaco. Lauschmanns sonore Stimme beherrschte den Raum, wenn er Benutzer in die Geheimnisse des Mikrofiche-Katalogs und der Fernleihe einwies. Sein stupendes Wissen aus verschiedensten Fachgebieten wirkte dabei als Recherchehilfe, die zuweilen zwar einschüchterte, deren Kompetenz man & frau aber dankbar zur Kenntnis nahm. Die Unterstützung durch „Ekki" Lauschmann verkürzte Suchvorgänge, erschloss unverhoffte Optionen und Möglichkeiten, oft sogar neue Forschungsperspektiven.
Lebensquellen: Vielfalt, Universalität, Jugend
Die „Teßmann" ist bis heute als Primärort wissenschaftlicher Landeskunde in Südtirol unübertroffen. Sie ist das bibliothekarische Pendant zum Ferdinandeum, erste Anlaufstelle zu allen Fragen Tirols, zumal Südtirols. Die Bibliothek des Tiroler Landesmuseums ist zwar noch reicher bestückt und bietet eine Schnittstelle zwischen Buch- und Archivgut. Die „Teßmann" aber stiftet die unmittelbare Anbindung der Landeskunde an die großen Felder der Wissenschaft. Sie führt so gut wie alle Tirolensien in Form von Monografien, Reihen, Zeitschriften und Grauer Literatur, bettet sie aber ein in einen weiträumigen wissenschaftlichen Kontext, in Geschichte und Geografie, Kunstgeschichte und Kulturwissenschaften, Politik- und Sozialwissenschaften, Literatur- und Sprachwissenschaften, Kirche und Religion, Recht und Wirtschaft.
Diese Möglichkeit des Brückenschlags vom Lokalen und Regionalen zu einer globalen Dimension bildet eine Kernqualität des Hauses an der A.-Diaz-Straße. Solchen Zugang, derartige Verknüpfung bietet keine andere Forschungsinstitution Südtirols, Nordtirols und des Trentino, die souverän geleistete Vermittlung über die Ebenen hinweg ist die Essenz des „Teßmann"-Erfolgs.
Diese Ausrichtung ergab sich nicht erst im Nachhinein, sondern war bereits in den zunächst bescheidenen Anfängen der Bibliothek präsent. Der besondere Zuschnitt wurde begründet durch die der Akademie der Wissenschaften gestifteten Bestände Friedrich Teßmanns, gefestigt und ausgebaut durch den Zuschub der Akademie selbst und des Südtiroler Kulturinstituts, durch großzügige Legate und systematischen Zukauf.
Der genetische Grundcode der Bücherei war also fixiert in der Teßmann-Sammlung, die in ihrer interdisziplinären Ausrichtung den weiträumigen Horizont ihres Besitzers spiegelte. Der 1957 verstorbene Friedrich Teßmann hatte in seiner Laufbahn breite Interessen entwickelt, die in seinen Bücherankäufen zum Ausdruck kamen. Als er vor seinem Tod seine 12.000 Bände umfassende Sammlung der künftigen Bibliothek vermachte, waren die Betriebsidee geboren und die Grundroute für die Zukunft festgelegt. Es war ein entscheidender Faktor, dass die Interessenvielfalt des Stifters dauerhafte Weichen für die künftige Entwicklung stellte. Hinzu kam die Entscheidung von Friedrich Teßmann, seine Bücher nicht einem Südtiroler Träger wie der damals in ihrer Autonomie noch wenig abgesicherten Provinz Bozen zu übereignen, sondern der bewährten, gegen staatlichen Zugriff immunisierten ÖAW. Der konstante Zuschub an Wissen und Expertise von außen, den der Träger gewährleistete, wurde zusätzlich gestärkt durch die enge Beziehung zur Universitätsbibliothek Innsbruck. Die in der Satzung der Institution verankerten Außenkontakte vitalisieren die Landesbibliothek, als eine Art Gegenpol, der das Risiko einer Provinzialisierung verhindert oder dauerhaft minimiert. Die Verpflichtung für die Mitarbeiter/-innen, zumal für die Bibliothekare, einen Teil ihrer Ausbildung an qualifizierten Auslandsstandorten zu absolvieren, ist Teil dieser Tradition.
Die Gründung der „Teßmann“ fiel in eine Zeit, in der Südtirol erst über eine verschwindende Zahl an Akademikern und Studierenden verfügte. Die Quote wuchs zunächst nur schleppend, um erst ab 1970 deutlich nach oben zu streben. Für Südtirols akademischen Nachwuchs war die „Teßmann" eine feste Anlaufstelle; waren doch Hochschulstudenten neben Lehrpersonen und landeskundlich Interessierten die dritte große Kundengruppe der Anfangsjahrzehnte.
Noch jünger waren nur die vielen Oberschüler, die nach zögernden Anfängen die „Teßmann“ ab 1970 vermehrt frequentierten. Die Öffnung hin zu vielfältigen Nutzergruppen war stets ein unschätzbarer, oft missachteter „Teßmann“-Vorzug. Sie belebt den Betrieb, der nicht nur ein Fach- und Lokalpublikum bedient, sondern die pragmatischen, oft unkonventionellen Anforderungen junger Benutzer aufgreift. Die Öffnung für ein Schüler-Publikum stiftete zudem eine langfristige Bindung, da iele Studierende oder Graduierte die „Teßmann“ bereits seit ihrer Schulzeit kannten und das Haus als Habitues frequentierten. Diese von Beginn an charakteristische Durchlässigkeit und Offenheit der Bibliothek gegenüber unterschiedlichen Kundengruppen sicherte ihr neben hohen Besucherzahlen auch einen frühzeitigen Gewöhnungs- und Mitnahmeeffekt, mit dem Jugendliche die Bibliothek bis heute als vertraute Anlaufstelle erfahren. Manch angegrauter Benutzer mag die Präsenz Jugendlicher als Unruhe stiftend, mitunter auch belastend erleben, sie bleibt aber eine Lebensquelle des Hauses. Erfolgreiche Unternehmen legen größten Wert auf eine junge Klientel, da sie Zukunft sichert; die „Teßmann“ praktiziert diese Tugend mit großer Selbstverständlichkeit. Mehr noch: Das zielgerichtete Eingehen auf ihre Bedürfnisse führt die Youngsters an die Grundlagen der Wissensgesellschaft heran, auch dank zahlreicher Führungen, systematischer Einweisungen und praktischer Angebote wie „Fit für die Facharbeit“. Solche Propädeutik bildet in vielen Schülerinnen und manchem Schüler die Anlagen für die Wissenschaftler und Recherche-Profis von morgen. Die Betreuung des U-18- Kaders durch das „Teßmann“-Team ist die beste Investition in die eigene Zukunft und dient unserer Gesellschaft.
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Endlich hat salto kapiert,
Endlich hat salto kapiert, dass man bei Gastbeiträgen keine Fake-Accounts einrichten soll.