Gesellschaft | Salto Gespräch

Menschenrechte gelten für alle

Stefan Lauer von der deutschen Amadeu Antonio Stiftung erklärt, woher der Hass online und offline kommt, und wie man damit umgehen kann.
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Foto: upi
Die Amadeu Antonio Stiftung stärkt Demokratiearbeit bildet Netzwerke der Zivilgesellschaft und unterstützt Engagierte für Demokratie und gegen Rechtsextremismus, besonders im ländlichen Raum. Daneben führt die Stiftung auch eigene Projekte gegen Rassismus, Antisemitismus, Sexismus und andere Formen von „gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit“ – so nennt es Stefan Lauer. Er arbeitet bei Belltower News, der journalistischen Plattform der Stiftung.
 
Salto.bz: Herr Lauer, durch ihre Arbeit sind Sie selbst zum Ziel von Hate-Speech geworden. Wenn man Sie im Internet sucht, findet man unter den ersten Ergebnissen Webseiten, die Sie als extremistischen Hassprediger einer Stasi-Organisation bezeichnen. Wie gehen Sie damit um?
 
Stefan Lauer: Um genau zu sein: Diese Seite entstand schon vor der Zeit, als ich bei Amadeu Antonio arbeitete, da war ich noch ganz normaler Journalist. In diesem Fall war es schwer, dagegen vorzugehen, weil es nicht möglich ist, die Leute hinter der Seite zu finden. Ich muss die Seite ignorieren. In vielen Fällen ist es anders: In sozialen Netzwerken wird Hass auch unter Klarnamen veröffentlicht.
Und das, was mir passiert ist, würde man eher als Cyberbullying bezeichnen, nicht als Hate-Speech, weil es ein persönlicher Angriff war.
 
Und was macht die Kategorie Hate-Speech aus?
 
Das Ministerkomitee des Europarats definiert als Hate-Speech „alle Ausdrucksformen, die Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus oder andere Formen von auf Intoleranz beruhendem Hass verbreiten, dazu anstiften, sie fördern oder rechtfertigen; einschließlich von Intoleranz, die sich in aggressivem Nationalismus und Ethnozentrismus, der Diskriminierung und Feindseligkeit gegenüber Minderheiten, Migrant/innen und Menschen mit Migrationshintergrund äußert“.
Die „Grenzen des Sagbaren“ haben sich verschoben. Manche Dinge öffentlich zu sagen, auf Podien, im Bundestag – das hat es vor ein paar Jahren so noch nicht gegeben.
Einfacher ist es so zu erklären: Es gibt immer ein „sie“ - ein Gruppendenken mit „uns“ auf der einen und „sie“ auf der anderen Seite. Ob es sich nun auf Homosexuelle, MigrantInnen oder andere Gruppen bezieht.
Es haben immer wieder andere Themen Konjunktur. Seit 2015 geht es sehr häufig um „die Flüchtlinge“. Und obwohl Hate-Speech oft im Netz stattfindet, heißt das nicht, dass es das auf der Straße nicht auch geben kann.
 
In Deutschland demonstrieren Neonazis. In diesem Wahlkampf um den Südtiroler Landtag fiel die krasse Rhetorik einiger Gruppen besonders auf. Warum ist Hass salonfähig geworden?
 
Die Antwort auf diese Frage hat wohl viele Facetten. Ein Teil der Erklärung sind natürlich die Sozialen Medien. Manche Leute haben durchs Internet erstmals die Möglichkeit, so ihre Stimme zu erheben.
Für Deutschland zeigen Studien, dass es seit Jahrzehnten Menschen gibt, etwa 20 bis 30 Prozent der Bevölkerung, die beispielsweise antisemitische und rassistische Denkmuster haben. Diese Leute waren aber für lange Zeit marginalisiert. Die rechtsextremen Parteien, die es gab, waren klein und bekamen nicht sehr viele Stimmen. Die AfD hat es hingegen geschafft, diese Denkmuster zu kanalisieren.
 
Die AfD baute also auf bestehenden Meinungen auf. Aber hat sie darüber hinaus auch den Diskurs verändert?
 
Auf jeden Fall. Die „Grenzen des Sagbaren“ - inzwischen ja fast schon ein geflügeltes Wort – haben sich verschoben. Manche Dinge öffentlich zu sagen, auf Podien, im Bundestag – das hat es vor ein paar Jahren so noch nicht gegeben. Ein Beispiel ist die Forderung von Alexander Gauland (AfD-Fraktionsvorsitzender im Bundestag, Red.), Deutschland sollte doch „endlich wieder stolz auf die Leistungen der Wehrmacht“ sein. Oder Björn Höcke, der Chef der AfD Thüringen, der eine „erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“ forderte und damit meinte, der jetzige Umgang Deutschlands mit dem Nationalsozialismus und der Shoah in der kollektiven Erinnerung sei falsch.
Extremisten haben das in der Vergangenheit schon gefordert. Aber weit weniger Leute standen dahinter.
Im Moment ist „Menschenrechte gelten für alle“ leider eine Utopie.
Was hat sich geändert, das diesen Gruppen so viel Zulauf verschafft?
 
Diese Frage stellt sich ja gerade weltweit. In Brasilien, den USA, Frankreich, Österreich, Italien, Ungarn... es passiert eine Bewegung und es ist schwer zu sagen, was genau der Grund dafür ist. Ich glaube, es ist ein komplexes Gefüge von vielen Dingen, die zusammenkommen, die den Rechtsruck ausgelöst haben: die Digitalisierung, die geopolitischen Ereignisse, die Migrationsbewegung von 2015. Aber auch der Umgang mit der Geschichte des Nationalsozialismus war rückblickend eher unbefriedigend, und bei der deutschen Wiedervereinigung gab es Fehler. Da fühlten sich viele Leute nicht mitgenommen.
 
Gibt es einen bestimmten Typ Mensch, der besonders häufig hinter Hasspostings steht?
 
Aus einigen Studien, die es zum Thema gibt, wissen wir, dass es hauptsächlich Männer sind, dann hört es aber schon relativ schnell auf. Es stimmt nicht unbedingt, dass das besonders oft „abgehängte“ Leute sind, seit vielen Jahren arbeitslos oder so. Sondern es sind Leute, die finanziell und wirtschaftliche auch durchaus erfolgreich sind – aus der Mitte der Gesellschaft könnte man sagen.
 
Gibt es einen Zusammenhang mit Bildung?
 
Das kommt aus diesen Studien nicht so klar heraus. Aber es gibt Analysen der Wählerschaft rechtspopulistischer Parteien, die zeigen, dass sie sich weder in den wirtschaftlichen Umständen, noch im Bildungsgrad, noch durch irgendwelche anderen externen Faktoren sehr stark unterscheidet. Das unterscheidende Merkmal ist, diese Personen haben häufig rassistische Ansichten – ein rassistisches Weltbild.
 
Was hilft gegen so ein Weltbild?
 
In der Schule könnte man etwas dagegen tun – Bildung ist in diesem Zusammenhang das Allerwichtigste. Und zwar nicht die reine Information über Geschichte und Demokratie. Die ist auch total wichtig, aber zusätzlich dazu bräuchte es Medienkunde und digitale Bildung: Was sind verlässliche Quellen? Welchen Medien kann ich vertrauen? Hier wäre Aufklärung wichtig.
 
Was können Gesetze ausrichten? In Deutschland haben Sie ja eine strengere Gesetzgebung bezüglich Wiederbetätigung als beispielsweise wir in Italien.
 
Bei Hate-Speech ist das schon schwierig. In Deutschland gibt es zwar den Paragraph 130 – Volksverhetzung. Darunter fallen einige der Hate-Speech Vorfälle im Netz und auf der Straße, aber nicht alle. Ich denke, wir sollten auf zivilgesellschaftlicher Ebene daran arbeiten um zu zeigen, dass gewisse Äußerungen unerwünscht sind.
 
Wie sinnvoll sind denn ewige Diskussionen unter Artikeln und Facebook-Posts? Sollte man manches nicht einfach besser ignorieren?
 
Man findet ja viele Arten von Kritik im Netz: Konstruktive Kritik, die tatsächlich argumentiert, unkonstruktive Kritik, wo es eher schon heißt „find ich jetzt total blöd“, ohne Ideen, wie es anders gehen könnte. Danach geht es schnell in den Bereich von Entwertungen, Cybermobbing und zuallerletzt eben zur Hassrede, der besagten Hate-Speech, wo kaum mehr Dialog möglich ist. Je eskalierter die Stufe der Kritik, desto schwieriger ist es, dagegen anzukommen.
In der Schule könnte man etwas dagegen tun – Bildung ist in diesem Zusammenhang das Allerwichtigste.
Aber es geht bei solchen Diskussionen nicht in erster Linie um die Person, die den Hass verbreitet, selbst. Deren Weltbild ist meist sehr verhärtet. Denn die meisten Leute posten ja nicht selbst, sondern lesen nur mit. Und für die Mitleser macht es sehr wohl einen Unterschied, ob ein Posting unkommentiert dasteht, oder ob es Antworten gibt, die zeigen: Das ist nicht die anerkannte Meinung. Besonders für betroffene Leser – geflüchtete Menschen, Menschen mit anderer sexueller Orientierung – macht das einen Unterschied. Ihnen gegenüber sollte man Solidarität zeigen.
 
Aber es stellt sich schon auch die Frage, was man mit all den Menschen tut, die sich in den traditionellen Medien und Parteien nicht wiederfinden. Wenn man sie ignoriert, schweigt man sie tot. Wenn man sich zu ihnen äußert, gibt man fragwürdigen Aussagen immer mehr Plattform. Wie kann man mit dem Dilemma umgehen?
 
Ich denke, es braucht eine Diskussion in der Öffentlichkeit. Wenn gewisse Aussagen im öffentlichen Raum, sei es online, sei es am Stammtisch, vorkommen, ist es richtig und wichtig, dem etwas entgegenzuhalten.
Etwas anderes sind beispielsweise Podiumsdiskussionen mit einem Vertreter einer extremistischen oder rechtspopulistischen Partei, oder auch solchen Medien.
Dort über gewisse Themen zu diskutieren, finde ich problematisch, weil das bald in eine Diskussion über Menschenrechte abdriftet: Zum Beispiel darüber, ob Rassismus vielleicht doch eine gute Idee ist. Ich finde, es gibt bestimmte Dinge, über die man nicht diskutieren sollte, wie eben den Grundsatz der Gleichwertigkeit von Menschen. Menschenrechte gelten für alle, eben nicht nur für weiße Europäer.
 
Für die Menschen, die im Mittelmeer ertrinken, gelten die Rechte im Moment de facto nicht. Die traditionellen Parteien haben sich zu ähnlichen Maßnahmen entschlossen wie sie die Rechte vorgeschlagen hat, nur ist die Rhetorik in der Öffentlichkeit noch eine andere. Ist das nicht auch falsch?
 
Ja, im Moment ist „Menschenrechte gelten für alle“ leider eine Utopie. Vielleicht sollte man besser sagen: „Menschenrechte sollten für alle gelten“. Aber daran muss man eben zusätzlich arbeiten. Nur, weil Menschenrechte immer wieder übergangen werden, heißt das nicht, dass man nicht öffentlich dafür einstehen sollte – im Gegenteil.