An der Kassa des Supermarkts: Die Geldtasche halte ich schon zahlbereit in der Hand, auf dem Laufband warten zwei Flaschen Bier und ein Netz Knoblauch. Ich bin an der Reihe. Der Zahlvorgang wird nur ein paar Sekunden in Anspruch nehmen. Hinter mit ein Mann in den besten Jahren. Er beugt sich vor, zeigt mir die gepflegte Flasche Wein in seiner Hand und fragt, ob er vorgehen dürfe. Meine Mundwinkel bewegen sich nach oben Richtung freundliches Lächeln, eines der Beine setzt sich in Bewegung, meine Mitmenschlichkeitsspontaneität schwappt hoch und will mich dazu anregen, rasch zur Seite zu treten.
Brave Mädchen kommen in den Himmel, böse Mädchen kommen überall hin. Juhhu, nach vielen Übungsjahren hab ich's gelernt
Da drängt sich plötzlich die erwachsene Frau in mir vor und wischt die Jahrzehnte der Sozialisation als freundliches Mädchen beiseite. Das Bein bleibt, wo es ist, das Lächeln auch, und ich sage freundlich aber deutlich „Nein“, drehe mich wieder zur Kassierin um und mache mich ans Bezahlen. Grins mir eins. Gleichzeitig muss ich aufpassen, dass sich nicht doch das schlechte Gewissen vordrängt. Dem erzähle ich dann, dass auf einen gut aussehenden jungen Mann, der dringend eine Flasche Wein bezahlen möchte, wohl keine drei vor Hunger brüllenden Kinder warten.
Brave Mädchen kommen in den Himmel, böse Mädchen kommen überall hin. Juhhu, nach vielen Übungsjahren hab ich's gelernt. Er war ja nicht mein erster männlicher Drängler an einer Supermarktkassa. Klar könnte ich da noch eine gendertechnisch verhaltensphilosophische Abhandlung über Ellbogengesellschaft und Wegwischen der Frau anhängen, aber die spar ich mir. Alsodann, schönes Wochenende und viel Widerstandskraft, auch an der Kassa.