Chronik | Justizaffäre

Durchsuchung im Carabinierikommando

Oberstaatsanwalt Giancarlo Bramante ermittelt gegen zwei altgediente Gerichtspolizisten. Die Affäre beleuchtet die unglaublichen Zustände und die tiefen Risse im Palazzo.
Es sind nur eine Handvoll Beamte, die genau drei Tage nach Weihnachten in Aktion treten. Beamte der Staatspolizei, der Finanzwache und ein Ermittler der Carabinierisondereinheit ROS führen an diesem Tag eine Operation durch, die den Bozner Gerichtspalast, die Seilschaften in der Südtiroler Justiz, aber auch manche Beziehungen innerhalb der lokalen Sicherheitskräfte nachhaltig erschüttern wird.
Allein das Aufgebot vonseiten der Staatsanwaltschaft macht deutlich, wie brisant und explosiv der Fall ist. Geführt und koordiniert wird die Aktion gleich von drei hochrangigen Bozner Staatsanwälten: dem leitenden Staatsanwalt Giancarlo Bramante und den beiden stellvertretenden Staatsanwälten Igor Secco und Andrea Sacchetti.
Die Truppe, die an diesem Dezembertag ausrückt, ist bewusst klein gehalten. Zudem greift man zu einer nicht alltäglichen Maßnahme: Oberstaatsanwalt Giancarlo Bramante verfügt, dass die beteiligten Beamten nicht vorab ihre Vorgesetzten über das Ziel und den Inhalt der Polizeiaktion informieren dürfen. Die Staatsanwaltschaft will dadurch verhindern, dass die Personen, die im Fokus der Aktion stehen, vorgewarnt werden.
Der Grund: Es geht an diesem 27. Dezember 2018 weder um einen Schlag gegen die organisierte Kriminalität noch um eine Antiterror-Operation, sondern um eine Ermittlung im eigenen Haus.
Die ausgewählten Ermittler werden am frühen Morgen in den Privatwohnungen zweier bekannter Bozner Carabinieribeamter vorstellig. Bei der Hausdurchsuchung werden Handys, Datenträger und Personalcomputer beschlagnahmt. Wenig später werden die beiden Zielpersonen an ihren derzeitigen Arbeitsplatz begleitet. Es ist das Landeskommando der Carabinieri in der Bozner Dantestraße. Man durchsucht ihre Schreibtische und beschlagnahmt auch dort ihre Dienstcomputer. Am Ende nehmen sich die Ermittler den früheren Arbeitsplatz des Duos vor. Dieser liegt in den Büros der Gerichtspolizei am Sitz des Bozner Landesgerichts, wo beide mehr als ein Jahrzehnt lang tätig waren.
Es ist der Ort, wo dieser Justizskandal auch beginnt.
 

Zwei Gerichtspolizisten

 
Die beiden Männer, gegen die die Bozner Staatsanwaltschaft ermittelt und dabei schwerwiegende Vorwürfe erhebt, waren bis vor zehn Monaten zwei der dienstältesten Beamten der Bozner Gerichtspolizei.
Das Korps der Gerichtspolizei ist eine gemischte Einheit. Es besteht aus Beamten der Staatspolizei, der Carabinieri, der Finanz- und der Forstwache. Mitglieder dieser Polizeieinheiten werden auf Anfrage für die Ermittlungstätigkeit an der Staatsanwaltschaft abgestellt. 
Bei der Arbeit am Gericht geht es um eine sehr delikate Ermittlungsarbeit, deshalb entwickelt sich naturgemäß ein persönliches Vertrauensverhältnis zwischen den Beamten und einzelnen Staatsanwälten.
Einer der beiden Carabinieri, der über zwei Jahrzehnte lang an der Bozner Staatsanwaltschaft gearbeitet hat, war viele Jahre lang die rechte Hand von Chefstaatsanwalt Cuno Tarfusser. Er war an allen großen Ermittlungen der 1990-er und 2000-er Jahre federführend beteiligt. Der „Luogotenente“ gilt seit vielen Jahren als unbestrittene Autorität bei der Bozner Gerichtspolizei. Obwohl formal nicht vorgesehen, war er als einer der dienstältesten Ermittler eine Art Chef der Carabinieri am Gericht.
 
Der andere Carabiniere war über zehn Jahre lang der Fahrer der Chefstaatsanwälte. Der Brigadier hat so jahrelang Cuno Tarfusser herumkutschiert. Danach war er der Fahrer von Guido Rispoli. Zudem verwaltete er die fünf Dienstwagen der Gerichtspolizei.
Nach Jahrzehnten an der Staatsanwaltschaft endete der Dienst der beiden Gerichtspolizisten völlig überraschend im Frühjahr 2018. Der neue leitende Staatsanwalt Giancarlo Bramante trennte sich von beiden. Der Grund: Ein gestörtes Vertrauensverhältnis. 
Beide Carabinieri wurden an das Landeskommando in der Bozner Dantestraße versetzt. Einer arbeitet seitdem beim “Nucleo informativo” , der andere ist in der Ermittlungsabteilung (“Nucleo investigativo”) tätig.
 

Tiefe Risse

 
Die Ablösung der beiden altgedienten Gerichtspolizisten im Frühjahr 2018 hat einen konkreten Hintergrund.
Seit Jahren tobt ein erbitterter Flügelkampf an der Bozner Staatsanwaltschaft, der tiefe Risse im Gerichtspalast hinterlassen hat, die weit über die Staatsanwaltschaft hinausgehen.
Ausgangspunkt des Streits war indirekt Cuno Tarfusser. Der langjährige Bozner Chefstaatsanwalt hängt mit Herz und Seele an der Bozner Staatsanwaltschaft. Er hat dort im Laufe der Jahre einen eingeschworenen Kreis aufgebaut, den er voller Stolz als “meine Buben” bezeichnet. Auch nach seiner Berufung zum Richter am internationalen Strafgerichtshof in Den Haag ging der ehemalige Staatsanwalt am Bozner Gericht ein und aus, als wäre er noch immer dort tätig gewesen.
Weil der Vorwurf im Raum steht, dass Cuno Tarfusser dabei über „seine Buben“ auch die Nase in laufende Ermittlungen stecke, kommt es um handfesten Zerwürfnis mit seinen Nachfolger und langjährigen Freund Guido Rispoli. 
 
Der Streit spitzte sich zu, als Cuno Tarfusser im Sonderfonds-Prozess gegen Luis Durnwalder, in dem Rispoli die Anklage führte, als Entlastungszeuge der Verteidigung des Altlandeshauptmannes vor Gericht auftrat. Das Fass endgültig zum Überlaufen brachten dann aber Fotos auf Facebook, die Tarfusser, Durnwalder und dessen Verteidiger nach dem Freispruch des Altlandeshauptmannes in einer Bar am Gerichtsplatz beim Sekttrinken zeigten. 
Auch die Ernennung des neuen leitenden Staatsanwaltes wurde von diesem Konflikt überschattet. Guido Rispoli unterstützte bei der Nominierung durch den obersten Richterrat (CSM) offen Giancarlo Bramante, Cuno Tarfusser dessen Gegenkandidaten Markus Mayr.


 

Pizza mit Tenti

 
Zu diesem Zeitpunkt hatte sich der Konflikt aber auch auf eine andere Ebene verlagert. Giancarlo Bramante ermittelte gegen die hohe Landesbeamtin Katia Tenti und den Bauunternehmer Antonio Dalle Nogare. Tarfusser ist eng mit Tenti befreundet. Die ehemalige Ressortdirektorin von Landesrat Cristian Tommasini hat mehrere Krimis geschrieben, in denen reale Fälle und ein Staatsanwalt mit den Namen Jakob Dekas vorkommen. Die Figur ist eindeutig Cuno Tarfusser nachempfunden.
Die Ermittler hören mehrere Telefongespräche zwischen Tenti und Tarfusser ab - auch, als die Ermittlungen schon bekannt sind. Weil die beiden darin auch über die laufenden Ermittlungen sprechen und Tenti wenig später den abhörenden ROS-Beamten während eines Telefongesprächs mit Namen grüßt, schwingt im laufenden Prozess der Verdacht mit, es habe einen Maulwurf innerhalb der Staatsanwaltschaft gegeben.
Zum Paukenschlag kommt es Ende 2017. Cuno Tarfusser lädt seine „Buben“ und Vertrauten an der Staatsanwaltschaft zu einem Mittagessen in der Bozner Pizzeria „Zio Alfonso“ ein. Darunter auch jene zwei Carabineribeamten, gegen die jetzt ermittelt wird.
Der ICC-Richter lädt auch den Bozner Bürgermeister Renzo Caramaschi ein. Tarfusser und Caramaschi treffen sich am Sernesiplatz und werden dort von den beiden Carabinieri im Dienstwagen der Bozner Staatsanwalt abgeholt und zur Pizzeria in der Drususstraße gebracht. Der Brigadier wird Caramaschi nach dem Essen wieder ins Rathaus zurückfahren.
Am Ende des Essens stößt dann aber auch Katia Tenti zur Gesellschaft. Offiziell ist es ein Zufall. Weil ein Prozess gegen die Landesbeamtin läuft, ärgert sich der Bozner Bürgermeister über ihre Anwesenheit und verlässt die Gesellschaft umgehend. 
Als der leitende Staatsanwalt Giancarlo Bramante vom Vorfall erfährt, reagiert er umgehend. Er lässt mehrere beteiligte Beamte versetzen. Sie haben sich mit einer Person zum Mittagessen getroffen, gegen die er Anklage erhoben hat. Es ist auch das Ende der langen Laufbahn am Gericht für die beiden Gerichtspolizisten.
Doch Giancarlo Bramante belässt es nicht dabei. Der Chefstaatsanwalt leitet zum ersten Mal in der Geschichte der Bozner Staatsanwaltschaft eine Ermittlung im eigenen Haus ein.
 

Falsche Dokumentation

 
Dass Treffen beim „Zio Alfonso“ ist ein privates Mittagessen. Weder ICC-Richter Cuno Tarfusser noch Bürgermeister Renzo Caramaschi haben deshalb das Recht, im Dienstwagen der Staatsanwaltschaft herumkutschiert zu werden.
Oberstaatsanwalt Giancarlo Bramante leitet Vorermittlungen gegen den Brigadier und Fahrer ein, aber auch gegen den Luogotenente in seiner Eigenschaft als Mitfahrer und als offizieller Kontrolleur über den Fuhrpark der Staatsanwaltschaft. In den Monaten darauf beginnt die Gerichtspolizei, die gesamte Dokumentation und die Fahrten der insgesamt fünf Dienstfahrzeuge der Staatsanwaltschaft zu überprüfen.
 Für jede Dienstfahrt muss der Benutzer des Autos ein Formular (foglio di marcia) ausfüllen mit allen Daten der Fahrt: Ort, Datum, Uhrzeit, Kilometerstand und Grund der Dienstfahrt. Dieses Formular wird dann von seinem Vorgesetzten als Kontrolle gegengezeichnet. Seit Jahren führte der Luogotenente diese Kontrolle durch. So sind fast alle Formulare vom Brigadier ausgefüllt und vom Luogotenente gegengezeichnet. Das Problem dabei: Der Gerichtspolizist segnete die Fahrten des Brigadiers auch ab, als er offiziell nicht im Dienst oder im Urlaub war. 
Vor allem aber beanstandet die Staatsanwaltschaft, dass ein Teil der Dokumente gefälscht oder nachträglich ausgefüllt wurde. So haben mehrere Mitglieder der Gerichtspolizei zu Protokoll gegeben, dass Formulare, auf den ihr Name und ihre Unterschrift steht, nicht stimmen können. Weil sie zum besagten Zeitpunkt in Urlaub waren oder den Dienstwagen an diesem Tag nicht benutzt hatten.
 
Mehrere Beamte konnten einwandfrei nachwiesen, dass ihre Unterschrift nachgemacht wurde. Die Handschrift soll dabei eindeutig jene des Brigadiers sein. In jedem Fall wurden augenscheinliche Fehler gemacht: So trägt eine Unterschrift fälschlicherweise ein „H“ im Namen .
 

Die Fahrten

 
Die kleine, streng abgeschirmte Ermittlungseinheit zeichnet aber auch die Bewegungen der Autos und der beiden Kollegen nach. Dabei werden Telefondaten, Autobahndaten und die Fahrtendokumentation verglichen. Bei mehreren Dutzend Fahrten scheint es weder einen offiziellen institutionellen Auftrag noch eine Erklärung oder Begründung zu geben.
So listen die Ermittler Fahrten nach Como, Taranto und Verona auf, für die es keinerlei dienstliche Erklärungen gibt. Die Staatsanwälte gehen davon aus, dass Dutzende solcher Fahrten ausschließlich privaten Hintergrund haben. Auch mit der Spesenrückerstattung, die man zwischen Staatsanwaltschaft und Carabinierikommando hin und hergeschoben hat, scheint einiges nicht zu stimmen.
Gleichzeitig stieß man bei der Auswertung der Telefondaten aber auf eine Spur, die noch weit beunruhigender ist.
 

Spur nach Verona

 
Mitte September 2018 führt die Staatsanwaltschaft Trient eine spektakuläre Aktion durch. Bei der Operation mit dem Decknamen „Basil“ werden in Rom, Foggia und Bozen insgesamt 8 Angehörige verschiedener Polizeiorgane verhaftet und ebenso viele unter Hausarrest gestellt. In Bozen werden ein Angehöriger der Finanzwache und ein Ehepaar, beide bei der Staatspolizei tätig, verhaftet. 
Es geht um einen italienweit operierenden Ring von Beamten, die Daten und Erkenntnisse aus der überbehördlichen Datenbank von Polizei, Carabinieri und Finanzwache an Privatdetektive verkaufen. Die Beweislast ist so erdrückend, dass man auch die zwei Empfänger der bezahlten Daten verhaftet: den in Bozen tätige Privatdetektiv Mauro Delmarco und den Inhaber der Agentur Matrix in San Martino Buonalbergo bei Verona, Matteo Zamboni.
Matteo Zamboni und seine Agentur Matrix tauchen jetzt aber auch in dieser Geschichte wieder auf. Denn die Ermittlungen ergeben enge Kontakte zwischen dem Agenturinhaber und Privatdetektiv in Verona und dem ehemaligen Chef der Bozner Gerichtspolizei. Die Auswertung des Telefonverkehrs hat in den letzten eineinhalb Jahren 94 Telefongespräche und 14 SMS zwischen dem Luogotentene und der Zamboni-Agentur „Matrix“ ergeben.
 
Deshalb steht jetzt ein unbestätigter Verdacht im Raum: Jeder Gerichtspolizist hat Zugriff auf des Informationssystem '“SICP - Sistema Informativo della Cognizione Penale“, in dem alle sensiblen Gerichtsdaten gespeichert werden. Die Ermittlungen der Gerichtspolizei ergaben, dass der besagte Carabinieri immer wieder andere Kollegen ersuchte, für ihn gewisse Daten abzufragen. „Ich bin davon ausgegangen, dass er keinen Zugriff hat“, erklärte einer der Betroffenen bei seiner Anhörung. In Wirklichkeit hatte der Carabinieri jahrelang Zugriff auf das System.
Jetzt wird untersucht, ob der Beamte diesen Zugriff für nichtdienstliche Zwecke missbraucht hat. 
 

Absurde Situation

 
Vor diesem Hintergrund werden auch die Hausdurchsuchungen und Beschlagnahmen vom 27. Dezember verständlich. Nach Informationen von salto.bz wurden dabei bei den beiden Carabinieri verschiedene Gegenstände gefunden, die – falls die Angaben bestätigt werden - die rechtliche Lage der beiden Verdächtigen verschlechtern. So haben die Beamten etwa bei der Durchsuchung des Büroschreibtisches des Brigadiers in der Dantestraße 9.000 Euro an Bargeld gefunden und beschlagnahmt. 
Beide Beschuldigten haben inzwischen einen Vertrauensanwalt ernannt. In den nächsten Wochen steht die Auswertung der beschlagnahmten Handys, Computer und Datenträger an. Für beide Beamte gilt die Unschuldsvermutung.
Beide Carabinieri versehen  – trotz der schweren Vorwürfe und Anschuldigungen – ihren Dienst wie bisher weiter.
Wie absurd die Situation damit aber wird, zeigt ein Detail.
Der Luogotenente ist in seinem neuen Amt beim „Nucleo Informativo“ unter anderem für den Begleit- und Personenschutz (die „scorta“) an der Bozner Staatsanwaltschaft zuständig.
Etwa für die Eskorte des leitenden Bozner Staatsanwaltes Giancarlo Bramante.
Und damit genau für jenen Mann, der die Ermittlungen gegen ihn jetzt leitet.