Die Deutschen lieben die Italiener …
Ein Interview mit Oscar Kiesswetter.
In Ihrem neu erschienenen Buch „Genossenschaften Made in Italy“ berichten Sie über das Genossenschaftswesen in Italien, wobei Sie dem Leser einen generellen Überblick über die Geschichte, Gesetzeslage und Besonderheiten der italienischen Genossenschaften geben. Für welche Leser ist das Buch gedacht?
Oscar Kiesswetter: Das Buch ist sozusagen für den Export bestimmt, das heißt für Leser im Ausland, wo es bis zu meinem bescheidenen Werk fast keine deutschsprachigen Publikationen über das italienische Genossenschaftswesen gab.
Vom Ausland war auch der erste Ansporn an mich herangetragen worden, ein Fachbuch in deutscher Sprache zu veröffentlichen. Denn deutschen Studierenden und Dozenten, aber auch Politikern und Verbänden fehlte bisher eine geeignete Informationsquelle, um grenzüberschreitende Vergleiche anstellen oder internationale Studienprojekte betreiben zu können.
Diese Erwartungshaltung der zukünftigen Leser hat dann auch den Inhalt weitgehend bestimmt. Dabei waren für mich auch die Hinweise von Frau Prof. Susanne Elsen besonders wichtig, die nicht nur das Vorwort verfasst hat, sondern als Kennerin der deutschen Situation den Bedarf an Informationen zum genossenschaftlichen Made in Italy genau aufgezeigt hat.
Wie erklären Sie sich dieses große Interesse des deutschen Publikums für das italienische Genossenschaftswesen?
Ene erste, generelle Antwort auf diese Frage hat mir Giovanni De Lorenzo (Chefredakteur der Wochenzeitung „Die Zeit“ – Anm. der Red.) suggeriert, der zugibt, dass ihm die große Liebe der Deutschen zu Italien ein Rätsel ist. Er fragt sich, ob sie dieses Land und seine Bewohner wirklich kennen, oder ob ihre Sehnsucht etwas gilt, das sie aus der Ferne vielleicht idealisieren.
Auf den Genossenschaftsbereich umgemünzt, könnte man sagen, dass man im Ausland zwar generell weiß, dass das italienische System einige Besonderheiten aufweist, aber es gibt kaum die Möglichkeit, diese Eigenarten mit ihrer historischen Entwicklung und der aktuellen Dimension im Detail zu analysieren – und so wächst die Neugierde…
Ein weiterer Grund besteht auch darin, dass ein aufgeschlossenes deutschsprachiges Publikum den movimento cooperativo gegenüber der aktuellen deutschen Bewegung als besonders innovationsfähig und vielseitig betrachtet und aus einem gründlichen Vergleich neue Denkanstöße beziehen möchte.
So stellte ich zum Beispiel schon vor Jahren bei internationalen Tagungen ein besonderes Interesse an der bei uns leider kurzlebigen piccola società cooperativa fest, mit der man im Ausland hoffte, Gründungsformalitäten und Revisionskosten senken zu können.
Die während der jüngsten Krisenjahre erfolgreichen genossenschaftlichen workers‘ buy out in Italien, bei denen man die Arbeitslosenunterstützung als Startkapital für die Übernahme von Krisenbetrieben verwenden kann, interessiert die ausländische Start-Up-Szene im Innovationsbereich für eine eventuelle Nachahmung unter veränderten Vorzeichen.
Am besten erkennt man dieses Interesse aber bei den italienischen Sozialgenossenschaften, die mit ihrer unternehmerischen Ausrichtung bei der Arbeitseingliederung aus Benachteiligten Beteiligte machen. Dazu werde ich bei Vorträgen im Ausland immer wieder befragt und schon mehrfach haben Vertreter von deutschen Genossenschaftsverbänden, Ministerien und kirchennahen Einrichtungen die cooperative sociali hierzulande unter die Lupe genommen und dann Denkanstöße und Beispiele aus Italien angepasst und erfolgreich umgesetzt.
Für all diese Zielgruppen habe ich versucht, mit meinem Buch eine weiterführende Fachinformation bereitzustellen.
Welche Aspekte der italienischen Genossenschaften sind für unsere Nachbarn besonders interessant?
Je nach Gesprächspartner besteht im Ausland entweder ein spezifisches Interesse an bestimmten italienischen Genossenschaftsmodellen oder ein ausgesprochenes Allgemeininteresse.
Die interessantesten Sondermodelle sind meiner Erfahrung zufolge, neben den bereits erwähnten Sozial- und Betriebsnachfolgegenossenschaften, auch die confidi, sowie die Freiberuflergenossenschaften und die cooperative di comunità mit ihren vielseitigen Ansätzen zur selbstorganisierten Regionalentwicklung. Aber auch die unternehmerischen Initiativen von Libera Terra, die eine erfolgreiche genossenschaftliche Nutzung von Gütern betreiben, die dem organisierten Verbrechen entrissen wurden, will man oft näher kennenlernen.
Viel breiter ist jedoch das Interesse an den „großen“ Eigenarten des italienischen Modells, vor allem an dem sog. zweiten Förderauftrag neben der rein wirtschaftlichen Mitgliederförderung. Die im 19. Jahrhundert historisch gewachsene, soziale Aufgabe unserer Genossenschaften ist in der Tat bemerkenswert und ihre im europäischen Vergleich einzigartige Anerkennung in der Verfassung der Republik interessiert Rechtswissenschaftler und Historiker. Hingegen beobachten Verbandsvertreter und Genossenschafter mit einer Neugierde, die an Neid grenzt, die italienische Einrichtung der Mutualitätsfonds.
Ich möchte aber ausdrücklich erwähnen, dass ich im Ausland – allen sprachlichen Barrieren zum Trotz – sehr wohl gute Kenner der italienischen Szene getroffen habe. Bei einer Tagung in Stuttgart, wo ich festgestellt habe, dass sich die Sozialgenossenschaften in Deutschland sehr erfolgversprechend und innovativ entwickeln, hat mich der Moderator mit der Aussage überrascht, dass seines Wissens die erfolgsverwöhnten italienischen Sozialgenossenschaften vor neuen Herausforderungen stehen, die sie mit verstärktem Engagement und erneuter Innovationsbereitschaft erst meistern müssen, während in Deutschland sich ganz neue Modelle, wie Familien- und Seniorengenossenschaften oder soziale Wohnungsgenossenschaften bereits erfolgreich auf den Weg gemacht haben.
Haben Sie bereits einige Rückmeldungen zum Buch erhalten? Wie wurde das Buch von den Lesern aufgenommen?
Das Buch ist vor zwei Monaten erschienen und für eine umfassende Analyse ist es noch zu früh.
Die bisherigen Rezensionen und das persönliche Feedback der ersten Leser kann man zusammenfassen mit „endlich“, d.h. dass eine Lücke in der deutschsprachigen Fachliteratur vorerst mal geschlossen worden ist – und das ist schon eine kleine Erfolgsmeldung.
Mich freut es aber, dass mein Buch auch in Südtirol nicht nur als Werbegeschenk zirkuliert oder automatisch in den Bibliotheksbestand aufgenommen wurde, sondern von Lehrpersonen an den Oberschulen konsultiert und als Einführungslektüre für neue Genossenschaftsmitglieder verwendet wird.
Hingegen verursacht mir ein Hinweis von mehreren Seiten irgendwie Besorgnis. In Anbetracht der internationalen Vernetzung des Genossenschaftswesens braucht es jetzt auch ein Fachbuch in italienischer Sprache, um in Italien die Besonderheiten ausländischer Genossenschaftsmodelle bekannt zu machen … das soll dann ein Jüngerer schreiben.
danke Oskar, das ist ein ganz
danke Oskar, das ist ein ganz wichtiges Buch für neue Wirtschaft- und Gesellschaftsmodelle in Europa, die es ja dringend braucht