Wirtschaft | Brain Drain

Die Südtirol-Krankheit

Eine Studie bestätigt: Südtirol leidet unter der Abwanderung heimischer qualifizierter Arbeitskräfte. Die Zuwanderung gleicht den Verlust nur quantitativ aus.
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Foto: Pixabay

Für Michl Ebner als Handelskammerpräsident sind die Erkenntnisse alles andere als ein Grund zur Freude. Gemeinsam mit dem Amt für Arbeitsmarktbeobachtung hat das WIFO (Institut für Wirtschaftsforschung in der Handelskammer Bozen) eine Studie zum Südtiroler “Brain Drain” – dieser Begriff bezeichnet die Abwanderung qualifizierter Arbeitskräfte – erstellt. “Das unerfreuliche Ergebnis der Studie ist, dass jedes Jahr tatsächlich viele, meist akademisch gebildete Südtiroler unser Land verlassen”, schickt Michl Ebner bereits im Vorwort zur 60-seitigen Studie voraus. “Auf der anderen Seite werden die Verluste, zumindest quantitativ gesehen, durch die hohe Zuwanderung mehr als wettgemacht. Allerdings weisen die Zuwanderer im Schnitt ein geringeres Qualifikationsniveau auf als die Abwanderer.” Was tun? Die Handelskammer richtet sich mit “zwei klaren Forderungen und Empfehlungen an die Bildungs- und Wirtschaftspolitik” – und damit auch an den für beide Bereiche zuständigen Landesrat Philipp Achammer.

 

Südtirol von Brain Drain betroffen

Verliert Südtirol hochqualifizierte Arbeitskräfte und wenn ja, in welchem Ausmaß? Welche sind die Gründe dafür? Diesen Fragen ging das WIFO in der am heutigen Donnerstag präsentierten Studie nach. “Ziel war es, ein aktuelles und umfassendes Bild der Zu- und Abwanderung zu erstellen und dabei insbesondere auf das Bildungsniveau der Arbeitskräfte einzugehen. Dafür wurden unter anderem 516 Zuwanderer und 769 Abwanderer zu ihrer Ausbildung, ihren Wanderungsmotiven und ihrer Meinung zum Lebens- und Arbeitsort Südtirol befragt”, erklärt die Handelskammer in einer Aussendung.

Ein Ergebnis der Studie ist die Tatsache, dass die jährliche Anzahl der Südtiroler Abwanderer kontinuierlich auf rund 1.500 Personen (2017) gestiegen ist, wobei rund 70 Prozent davon akademisch gebildet sind. Häufig wird der ausländische Studienort als neuer Wohnsitz gewählt. Der Wegzug hat dabei in erster Linie arbeitsbedingte Gründe, da Karrieremöglichkeiten, ausbildungsadäquate Arbeitsplätze und attraktive Löhne in Südtirol vermisst werden.

Klare Unterschiede zeigen sich beim Bildungsniveau der Zuwanderer: Jene aus außereuropäischen Ländern weisen das geringste Qualifikationsniveau auf. Viele haben höchstens einen Mittelschulabschluss, sind als Hilfsarbeitskraft beschäftigt und beherrschen weder die deutsche noch die italienische Sprache. Ein Drittel der Zuwanderer stammt aus anderen europäischen Ländern, wobei sehr viele einen Matura-Abschluss haben und eine der beiden Landessprachen gut beherrschen.  

Ein ambivalentes Bild zeigt sich bei der Bewertung Südtirols als Arbeits- und Lebensort: Einerseits überzeugt Südtirol mit einer hohen Lebensqualität, vielfältigen Sport- und Freizeitangeboten sowie attraktiven öffentlichen Diensten. Andererseits stellen die hohen Lebenshaltungskosten, das geringe Lohnniveau und fehlende Karrieremöglichkeiten Schwierigkeiten dar. Auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist verbesserungswürdig. Dabei bewerten die Abwanderer den Arbeitsmarkt meist kritischer.

 

Rezepte zur Abhilfe

Und nun? Für Michl Ebner steht fest: Vor allem die Politik ist gefragt. Die Handelskammer fordert zweierlei Interventionen: “Zum einen gilt es, die Zuwanderer mit Defiziten bei den beruflichen und sprachlichen Kompetenzen schnell zu qualifizieren. Zum anderen ist es notwendig, der Abwanderung entgegenzuwirken, z.B. indem sich die heimischen Unternehmen um die Südtiroler, die im In- oder Ausland studieren, bereits während ihrer Studienzeit stärker bemühen.”

Weitere wirtschaftspolitische Vorschläge listet die Handelskammer am Ende des 60-seitigen Studiendossiers auf. Unter anderem ist dort auch vom “Angebot einer internationalen Schule” die Rede, das “die Entscheidung, nach Südtirol zu kommen, für hochqualifizierte Zuwanderer aus aller Welt erleichtern” könnte.