Reinhold Messner
Foto: Südtirolfoto/Othmar Seehauser
Gesellschaft | Fritto Misto

Die Vermessnerung der Welt

Gehören auch Sie zu denjenigen, die die Augen verdrehen, sobald ein gewisser Extrembergsteiger den Mund aufmacht? Keep calm and relax.
Kennen Sie George Bernard Shaw? Shaw, auch G.B.S. genannt, war ein irischer Dramatiker, Satiriker, Musikkritiker und politischer Aktivist, ein Multitalent, das seinen Mitmenschen zu jedem erdenklichen Thema (Ernährung, Frauenrechte, Impfungen, Transportwesen, Tierversuche, usw.) provokativ die Meinung geigte, und dafür gleichermaßen Verehrung wie Augenrollen erntete. Noch nie von ihm gehört, und trotzdem kommt er Ihnen bekannt vor?
Kein Wunder, haben wir doch unseren eigenen G.B.S., der sich zwar weniger eloquent und geistreich, dafür nicht minder polemisch gefühlt jeden zweiten Tag zu Gott und die Welt äußert:
Reinhold Messner, der nach eigener Aussage mittlerweile in seinem „siebten Leben“, nämlich jenem als Filmregisseur, angekommen ist, lässt kaum eine Gelegenheit aus, seine Meinung zu was auch immer kundzutun. Der rote Faden des Besserwissertums zieht sich sozusagen durch seine Existenzen als Extrembergsteiger, Buchautor, Politiker, Abenteurer, Schlossbesitzer, Museumsleiter und und und.
Jedenfalls kann man sich ziemlich sicher sein, dass, sobald ein Thema die Südtiroler Gemüter erhitzt, eher früher als später der Gipfelgott sein buschiges Haupt erheben und der Naturgewalt Steinschlag gleich, Worte wie Felsbrocken auf uns herabprasseln lassen wird.
Man könnte fast meinen, der famose Yeti habe ihn mit einem Fluch belegt: „Dafür, dass du mich geschaut hast, sollst du bis an dein Lebensende zu allem deinen Senf dazugeben müssen!“. Fast – hätte Messner ihn nicht als Legende entlarvt, hinter der nichts als eine schnöde Bärenart stecken soll: Messner, den Zoologen gibt es also auch. Jedenfalls kann man sich ziemlich sicher sein, dass, sobald ein Thema die Südtiroler Gemüter erhitzt, eher früher als später der Gipfelgott sein buschiges Haupt erheben und der Naturgewalt Steinschlag gleich, Worte wie Felsbrocken auf uns herabprasseln lassen wird, von deren Wucht, die eher von einer brachialen Ausdrucksweise als von messerscharfer Logik herrührt, wir uns regelrecht erschlagen fühlen. Wieder und wieder. Wie ein allwissendes Orakel kommt er seiner Senfdazugeberei geflissentlich nach und referiert über den Doppelpass („Da steckt kein europäischer, sondern ein antieuropäischer Geist dahinter“) , den Flughafen („notwendig, sinnvoll, […] unverzichtbar“), darüber, ob wir zu viele Touristen haben („Das ist nur ein Geschwätz von Leuten, die sich wirtschaftlich nicht mit dem Land auseinandersetzen“), Heilsbringer Benko („[…]wenn Benko das in die Hand nimmt, dann macht er es besser”) und so weiter und so fort.
Wieso man noch nicht draufgekommen ist, ihn nach der Lösung für den Nahostkonflikt zu fragen oder danach, was denn nun eigentlich mit dem Bernsteinzimmer passiert sei – ich verstehe es nicht. Messner hätte sicher eine Antwort darauf.  Zuletzt wurden wir mit seinen Ansichten zu einem geplanten Jovanotti-Konzert auf dem Kronplatz beglückt („unvernünftig”, “unnötig”) und kamen in den Genuss seiner fachmännischen Einschätzung der Filmbranche: „In keiner Tätigkeit gibt es so viele Scharlatane wie im Filmgeschäft“, sowie, mein absolutes Lieblingszitat bisher: „Mir können 'Star Wars' und 'Avatar' gestohlen bleiben. Das ist alles nicht wahr. Das ist alles nur menschliche Erfindung und zum Teil in kranken Hirnen Entstandenes."
Ganz unter uns, bei Jovanotti bin ich ganz bei ihm, der kann mir sowohl auf dem Berg als auch im Tal gestohlen bleiben.
Ganz unter uns, bei Jovanotti bin ich ganz bei ihm, der kann mir sowohl auf dem Berg als auch im Tal gestohlen bleiben, aber was gäbe ich darum, wären „Star Wars“ und „Avatar“ MEINEM kranken Hirn entsprungen? Die Filme erhielten immerhin zehn bzw. drei Oscars und haben bis heute weltweit neun bzw. 2,8 Milliarden Dollar eingespielt. Da Messner aber (noch!) nicht in der Academy sitzt, dürften ihn solcherlei Erfolge wenig beeindrucken.
Wie ihn überhaupt kaum etwas zu beeindrucken scheint, was andere zum Verstummen bringt. Die Ebners nennt er frisch und frei „die frommen Brüder“, Andersdenkende brüllt er schon mal kurzerhand nieder, und genau dieses Undiplomatische, Holzhammerartige, Unverblümte ist es, und gar nicht mal so der Inhalt seiner Aussagen, so behaupte ich, was uns an Messner am meisten stört.
 
Kritik darf man wohl äußern im Land, aber bitte zaghaft mit Rosen und Veilchen garniert, am besten noch mit der Einleitung „Ich will ja nichts sagen und mich fragt ja keiner, und vielleicht täusche ich mich auch, aber…“
Kritik darf man wohl äußern im Land, aber bitte zaghaft mit Rosen und Veilchen garniert, am besten noch mit der Einleitung „Ich will ja nichts sagen und mich fragt ja keiner, und vielleicht täusche ich mich auch, aber…“, so wie es in leicht beleidigtem Ton ein ehemaliger Landeshauptmann zu tun pflegt, dann schlucken wir den Tadel eher noch (außer natürlich, es ist ein Auswärtiger, der da was zu beanstanden hat). Der Messner-Gestus aber, der stets so wirkt, als stünde er auf seiner Schlossmauer, schlage sich mit der Hand an die Stirn und brülle „Was machen diese Hornochsen da schon wieder?“ in den Wind, um dann wie dereinst Moses mit seinen in Stein gemeißelten Verkündungen zu den Normalsterblichen herabzustapfen – wir vertragen ihn nicht ganz so gut.
Dabei sollten wir es schätzen, dass da einer keine Scheu davor hat, den Mund aufzumachen und anzuecken, so abstrus und unnötig seine Äußerungen manchmal auch sein mögen. Wir haben die Freiheit, ihm zuzustimmen oder seufzend die Augen zu verdrehen und Radio oder Fernseher auszumachen.
Dabei sollten wir es schätzen, dass da einer keine Scheu davor hat, den Mund aufzumachen und anzuecken, so abstrus und unnötig seine Äußerungen manchmal auch sein mögen. Wir haben die Freiheit, ihm zuzustimmen oder seufzend die Augen zu verdrehen und Radio oder Fernseher auszumachen.
Meinungsbildend wirken seine Statements allemal, und von Messners Meinungsstärke sollten grad wir Frauen uns eine große Scheibe abschneiden (und auch mal Kommentare schreiben und uns in Diskussionen einzumischen, anstatt uns kokett hinter einem „Ich kenn mich da nicht so gut aus“ zu verstecken – das hat einen Messner noch nie daran gehindert, das Wort zu ergreifen.) Warum wohl wird er immer wieder vors Mikrofon und zu Gesprächsrunden geladen? Warum pilgern Journalisten zu ihm, um ihn zu diesem und jenem zu befragen? Weil man sich sicher sein kann, dass zumindest ein Statement fallen wird, das das Land auf die Palme bringt – und ein bisschen Aufruhr hat unseren Denkapparaten noch nie geschadet.
Also, keep calm and relax, wenn sich R.M. das nächste Mal zu Wort meldet (es wird nicht allzu lang auf sich warten lassen). Und wenn die Gelassenheit schwer fällt, besinnen Sie sich an den legendären G.B.S., der angeblich sagte: „Jeder hat das Recht auf eine Meinung – vorausgesetzt, sie entspricht der unsrigen.“
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Hans Hanser Do., 18.04.2019 - 14:38

Frau Kienzl, während andere Ihrer geschätzten Kolumnen bereits zu diesem Zeitpunkt mit Kommentaren über- oder zumindest gefüllt wären, zögern Ihre Landsleute dieses Mal. Warum? Sie haben es schlicht und einfach gewagt, DAS Südtiroler Heiligtum schlechthin kritisch zu beleuchten. Das mag der Südtiroler gar nicht, da steht er wie das Kaninchen vor der Schlange. Messner kommt in Südtirol vor dem Papst, dem Durnwalder, sogar vor dem Speckbrettl. Auf einer Ebene mit dem altehrwürdigen Silvio, würd' ich sagen. Ein gefährliches Spiel, das Sie da treiben, Blasphemie pur. Messner weiß alles und darf alles, so ticken nun mal die Kirchtürme im Heiligen Land.

Do., 18.04.2019 - 14:38 Permalink
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Peter Gasser Do., 18.04.2019 - 19:07

Antwort auf von Alexandra Kienzl

das stimmt, aber da muss man ein bißchen Medienexperte sein, und man lehnt sich doch sehr aus dem Fenster... sehen Sie, und schon haben Sie ein bißchen recht.
Was kann man hier schon sagen: dass sich extrovertierte Alphatiere und Medien gegenseitig brauchen, befruchten, dass sich Alphatiere immer wieder in Stellung bringen (müssen) und die Medien oft nur darauf warten... wissend, dass dies Leser bringt...
Die Medien sollten doch objektiv und kritisch berichten... und dann zählen doch (auf der einen Seite) Leserzahlen und (auf der anderen) Honorare für exclusive Eigendarstellungen.?
Aber was solls, ich erzähle vom eigenen Erleben, welches (mich) gelehrt hat, vorsichtig zu sein, was gesagt, und was geschrieben - und nach- und abgeschrieben wird.
Eine Reise nach Patagonien stand (vor Jahren) bevor, und ich las ein Buch des Abenteurers Arved Fuchs (er paddelte dort), und weil mir dies sehr gefallen hatte, las ich auch noch das Buch von Arved Fuchs über seine Antarktisdurchquerung mit Reinhold Messner. Und da Arved Fuchs gegen Ende der Reise vorsichtig und zurückhaltend verschiedene Probleme mit Presse und anderem anspricht, denke ich mir, lese ich auch - neugierig geworden - das Buch von Reinhold Messner über dessen Durchquerung der Antarktis mit Arved Fuchs. Besonders die zweite Hälfte der Reise scheinen sie „nicht gemeinsam gemacht“ zu haben, und das Ende war Schweigen im Lande... woran die Presse auch ihren Anteil hatte. Nutzen, genutzt werden, und Gegennutzen... und dann muss da der „Held alleine wie Phönix aus der Asche“ kommen... will es die Presse so, will es der Held so? Wer befruchtet wen, wer konditioniert....
Noch neugieriger geworden las ich dann die Geschichte um den Nanga Parbat, wieder zuerst von Karl Herrligkoffer, einige Artikel, und dann Messners Buch (rote Rakete).
Und dann fragt man sich: wie beeinflussen sich ein Mensch und seine Darstellung in den Medien, wer zieht, wer schiebt? Muss ein Bild, ein Mythos entstehen, braucht es einfache klare Bilder, eindeutige Helden, wollen dies die Medien so, will dies der „Held“ so? Oder geschieht alles im Dienste des Lesers - und liegt es an diesem?
„Helden“ und „Medien“, dieses Gespann macht (mich) vorsichtig, daher auch meine Vorsicht bei einer neuen Heldin Greta.
Und was sich über Jahrzehnte eingespielt entwickelt hat zwischen Presse und Held, das übt sich weiter fort... es ist das Spiel des Lebens, aber ist es immer wahr, immer wichtig?
Oder: muss man es immer (so) wichtig nehmen, dass es einem stört? Ich finde nicht... so, nun des kleinen Mutes genug.

Do., 18.04.2019 - 19:07 Permalink
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Elisabeth Garber Fr., 19.04.2019 - 08:34

Antwort auf von Peter Gasser

Medien könnten ohne die Gier des Publikums, ideologisch unabhängig, gar nicht existieren. Ebenso gäbe es keinen 'guten' Journalismus ohne investigative Gier und einen gewissen Exihibitionismus. Es ist ja so, dass die Journalistensprache an sich ein eigener Stil ist, ein interessanter wie ich meine. Verstehe nicht, warum bei einer klaren wechselseitigen Beziehung und Dynamik so herumgedoktert wird. Ich persönlich finde den Messner nicht als Südtiroler Heiligtum, dafür ist er für mich seit Jahren eines der interessantesten 'Aushängeschilder' Südtirols, nein Europas! Das Einteilen in lieben, hassen oder ignorieren trifft auf mich jedenfalls nicht zu, ist auch ein Schubladendenken. Wobei ich eher Menschen kennengelernt habe, die ihn hassen. Es stört mich nicht, wenn Messner überall seinen Senf abgibt - wir haben genug Politiker, die von ihrem Resort nichts verstehen. Messner ist ein Mensch mit weitem Horizont - das solitäre Pendant zur Südtiroler Kleinkariertheit mit Nabelschau - nie losgekommen von der Nabelschnur, dafür a bissl von Rom. So, das musste ich jetzt mal los werden.

Fr., 19.04.2019 - 08:34 Permalink
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Peter Gasser Fr., 19.04.2019 - 13:20

Antwort auf von Elisabeth Garber

naja... ich habe halt Schwierigkeiten damit, wenn diese „klare wechselseitige Beziehung“ dazu führt, dass manchmal Informant/Redner und Presse beide die FAKTEN (bewusst?) „vergessen“ und Bilder abseits der Wirlichkeit entwerfen - ist halt ein Defizit, welches ich in mir trage.
... und mir dann die unnötige, da wirkungslose Frage stelle: wie ist es nun dazu gekommen... gezogen oder geschoben?
Interessierter Akteur oder Presse - um auf den Sinn des Beitrages, wie ich diesen verstanden habe, zurückzukommen.
Genug „gedoktert“, mein Schnitzel wird kalt ;-)

Fr., 19.04.2019 - 13:20 Permalink
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Manfred Klotz Fr., 19.04.2019 - 07:40

Die Frage ist letztlich doch, wird er um seine Meinung gefragt, oder drängt er diese auf? Wird er gefragt (besonders zu Themen bei denen eine besondere Kompetenz nicht augenscheinlich ist), müssen sich die befragenden Damen und Herren an der Nase fassen. Drängt er seine Meinung auf, müssen sich die befragenden... usw.

Fr., 19.04.2019 - 07:40 Permalink
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Harald Knoflach Fr., 19.04.2019 - 09:09

"Wieso man noch nicht draufgekommen ist, ihn nach der Lösung für den Nahostkonflikt zu fragen oder danach, was denn nun eigentlich mit dem Bernsteinzimmer passiert sei – ich verstehe es nicht." ROFL
Hatte ich schon erwähnt, dass Alexandra Kienzl die mit Abstand besten Kommentare auf salto.bz schreibt?

Fr., 19.04.2019 - 09:09 Permalink
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Karl Trojer Fr., 19.04.2019 - 11:03

Antwort auf von Harald Knoflach

Personen anzugreifen, nur weil sie ihre Meinung zu welchem Thema auch immer öffentlich machen, ist aus meiner Sicht undemokratisch. Wer nicht hinhören will, kanns bleiben lassen.... Im übrigen finde ich die von Reinhold Messner erbrachten Bergsteiger-Leistungen, seine photographischen Darstellungen und seine Sprachgewandtheit als hervorragend.

Fr., 19.04.2019 - 11:03 Permalink
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Franz Linter Fr., 19.04.2019 - 18:56

Vielleicht sollte man ihn wirklich fragen, was er gegen die Klimakrise zu tun gedenkt. Möglicherweise existiert sie nicht für ihn (seine Meinung zum Flughafen Bozen), ist unabhängig von den Menschen oder eh schon alles zu spät.

Fr., 19.04.2019 - 18:56 Permalink
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Franz Linter Fr., 19.04.2019 - 19:28

Vielleicht sollte man ihn wirklich fragen, was er gegen die Klimakrise zu tun gedenkt. Möglicherweise existiert sie nicht für ihn (seine Meinung zum Flughafen Bozen), ist unabhängig von den Menschen oder eh schon alles zu spät.

Fr., 19.04.2019 - 19:28 Permalink
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Oskar Messner Mo., 27.05.2019 - 09:09

Frau Kienzl,
ich stimme Ihnen voll zu. Ich verstehe nicht, warum die Medien zu jedem Thema den R.M. befragen müssen; aber es ist generell so, dass immer denen nachgelaufen wird, die den "Mund" weit aufmachen.

Mo., 27.05.2019 - 09:09 Permalink