Gesellschaft | Protest

Es war einmal der Wolf

Die Bauernschaft zieht gegen den Wolf in Südtirol vor den Landtag. Landesrat Arnold Schuler gerät in die Schusslinie, offene Rückendeckung gibt ihm seine Partei keine.
Wolfsprotest 5. Juni
Foto: Othmar Seehauser

“Auch im Märchen stirbt der Wolf”. Die Botschaft auf dem Banner ist so banal wie wirksam. Denn sie verfängt. Im Märchen ist der Wolf der Bösewicht, der Großmütter und Geißlein frisst, voller Hinterlist. Am Ende aber geht es ihm immer an den Kragen. Und genauso soll es seinen Artgenossen in Südtirol ergehen, finden die über 300 Menschen, die am Mittwoch auf den Magnagoplatz in Bozen ziehen. “Weg mit dem Wolf”, “Wolf, nein danke”, “schützt unsere Rinder und Kinder” – mit solchen und ähnlich kreativen Spruchbändern marschieren sie ab 11 Uhr vor dem Landtagsgebäude auf.
Die Stimmung ist aufgeheizt, es ist laut. Übertönt werden das Läuten der Kuhglocken und die vereinzelten Trommelschläge nur von den Worten der zahlreichen Redner, die ihrem Ärger Luft machen. “Wir sind da für ein wolfsfreies Südtirol!”, empfängt Hubert Fleckinger den Protestzug, der zuvor zu Fuß und per Traktor durch die Landeshauptstadt gezogen ist.

 

Aus allen Landesteilen sind sie gekommen: Berg- und Almlandwirte, Kleintierzüchter, Frauen, Männer und Kinder. Wie viele andere, die sich am Mittwoch am Landhausplatz einfinden, stammt Fleckinger aus dem Wipptal. Genauer gesagt aus der Gemeinde Freienfeld, woher zuletzt Wolfssichtungen und auch Wolfsrisse gemeldet wurden. Der Viehzüchter ist einer der Mitorganisatoren des Bauern-Protests, der, vom Südtiroler Bauernbund (SBB) unterstützt, zunächst in Bozen Halt gemacht hat bevor es am Samstag zur Großkundgebung nach Sterzing geht. Er habe persönlich nichts gegen den Wolf, ruft Fleckinger ins Mikrofon – und dann kommt, wenig überraschend, das Aber: “Aber er muss in seiner Heimat bleiben. So wie auch wir in unserer Heimat bleiben wollen.” Nach Sibirien, Kanada, aber jedenfalls dorthin, wo genügend Platz sei, solle der Wolf verbannt werden. Nur nicht in Südtirol bleiben.

 

Betroffene Bauern und Züchter berichten von ihren gerissenen Tieren, von den schmerzlichen Verlusten und den Schwierigkeiten beim Entsorgen und Ersetzen der Tiere. Es sind tragische Berichte, in denen neben Rat- und Hilflosigkeit ehrliche Angst und Wut mitschwingen. Wut, die sich vor allem gegen “die Politik” – “In welcher Märchenwelt lebt die Politik?” steht passend dazu auf einem Banner – richtet. Da nützt es nichts, dass Landwirtschaftslandesrat Arnold Schuler gleich mehrmals die Landtagessitzung verlässt, um sich am Magnagoplatz Medienvertretern und Bauern zu stellen.

Schuler erinnert an die vergangenen und jüngsten politischen Initiativen, um der Situation mit dem Wolf, die in Südtirol “immer schwieriger und zu immer größeren Konflikten führen” werde, Herr zu werden: Senkung des Schutzstatus’ des Wolfes; Ausweisung der heimischen Berg- und Almgebiete als “sensible Gebiete”, die wolfsfrei bleiben sollen; Übertragung der Umsetzung der Maßnahmen auf das Land Südtirol. “Wir werden weiterhin auf allen Ebenen intervenieren”, verspricht der Landesrat. Die aufgebrachte Menge kann er damit nicht besänftigen.

 

Während sich um 12.30 Uhr drinnen die Fraktionssprecher mit einigen Bauernvertretern zusammensetzen, nimmt man vor dem Landtag Schuler in Beschlag. Der lässt sich von den drohenden Tönen – “wir sind nicht zum letzten Mal hier”, “pass auf, nächstes Mal werden wir ganz anders aufmarschieren”, “es reicht nicht, dass ihr nur fünf Minuten rauskommt, euer Gesicht herzeigt und uns wie abgewatschte Buben stehen lässt” – nicht drausbringen. Er mahnt zur Mäßigung und appelliert an die auf ihn einredenden Bauern, ihren Beitrag zu leisten: “Ihr müsst auch etwas tun.” Der Landesrat meint auch die Pilotprojekte zur Erprobung von Herdenschutzmaßnahmen, für die es heuer nur zwei Anfragen gegeben habe. “Ihr müsst es zumindest versuchen.”

Der Tenor aber an diesem Tag ist ein anderer: “Der Wolf muss weg!” Die Entnahme bzw. der Abschuss sind aber derzeit nicht möglich, erinnert Schuler. “Von Selbstjustiz rate ich dringend ab. Das kann keine Lösung sein.”

“Konstruktive Lösungen” hätte Hanspeter Staffler parat. Der Grüne Landtagsabgeordnete hat sich vor den Landtag gewagt – obwohl ihn die Menge zu jenen zählt, “die meinen, dem Wolf freien Zugang zu unserer Landschaft zu geben” und wegen derer man “nicht alles opfern” wolle. “Professionellen Herdenschutz mit Hirten, Zäunen und Herdenschutzhunden, bei eventuell auftretenden Rissen schnelle und unkomplizierte Entschädigung; falls Problemwölfe identifiziert werden vor einer Entnahme nicht zurückschrecken” –  bei den Bauern stößt Staffler auf taube Ohren.

 

“Was werdet ihr tun, wenn es einen Menschen erwischt?” Die dramatsichen Töne und Bilder beherrschen diese Stunden. In der ersten Reihe der um das Sprecherpult versammelten Menge steht, mit genügsamer Miene und immer wieder zu kräftigem Applaus erhobenen Händen, Bauernbundobmann Leo Tiefenthaler. Die SVP-Landtagsabgeordneten Franz Locher und Manfred Vallazza – beide waren offizielle Landtags-Kandidaten des SBB gewesen, während Schuler auf die Unterstützung des Bauernbunds verzichtet hatte – stellen sich demonstrativ neben Tiefenthaler. Auf die Seite der Demonstranten. Die auch gegen Schuler wettern. Seine beiden Parteikollegen distanzieren sich öffentlich vom Landesrat.

Und noch eine Beobachtung macht, wer etwas länger ausharrt. Während die Motoren der Traktoren wieder angeworfen werden, die Kuhglocken eingepackt und die Transparente eingerollt, stehen einige Oppositionsvertreter zusammen. Die Anliegen der Bauern ernten durchaus Verständnis. Dass aber dafür mit Emotionen, populistischen Slogans – auf die springt die SVP mit einem Facebook-Post am Mittwoch Vormittag gleich als erste auf – und aggressiven Bildern gearbeitet wird, gefällt einigen nicht.

 

Als “zu emotional”, “gelenkt” von Bauernbund und Jägerschaft – auch der scheidende Geschäftsführer des Südtiroler Jagdverbands, Heinrich Aukenthaler, spricht am Mittwoch vor –, bezeichnet jemand den Protest. “Der Bauernbund muss auf eine sachliche Ebene zurückkehren”, stimmt Hanspeter Staffler zu.
Beim Protest am Samstag in Sterzing jedenfalls wird es noch einmal eine gehörige Portion Emotion geben.

 

 

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Ivan Gufler Do., 06.06.2019 - 07:28

"Aus allen Landesteilen sind sie gekommen: Berg- und Almlandwirte, Kleintierzüchter, Frauen, Männer und Kinder."
Ach, an einem Schultag demonstrieren Kinder? Was soll das denn?

Do., 06.06.2019 - 07:28 Permalink
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Sepp.Bacher Do., 06.06.2019 - 09:38

Antwort auf von Ivan Gufler

Ja lieber Ivan, in diesem Fall sind die Kinder mit den Eltern mitgegangen und blieben in ihrer Obhut. Also, sie unterstützten, unterstrichen die Haltung der Eltern!
In eurem Fall habt ihr euch von den Eltern und euren Aufsichtspersonen in der Schule davongeschlichen und öffentlich aufmüpfig geworden. Und das darf man im neuen Jahrtausend nicht mehr!

Do., 06.06.2019 - 09:38 Permalink
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Manfred Gasser Do., 06.06.2019 - 08:56

“Was werdet ihr tun, wenn es einen Menschen erwischt?”
Gute Frage.
Aber was tut ihr mit den ganzen bösen Hunden, die auch einmal Wölfe waren, wenn einer von ihnen mal wieder ein kleines Kind in Stücke reisst?
Da ich keine Lust und Zeit habe Mister Google zu befragen, die Frage an die Leser hier:
Wie viele Menschen sind in Mitteleuropa, sagen wir, in den letzten 10 Jahren von Tieren "erwischt" worden, und wie oft war der Wolf schuld?
Freue mich auf die Antworten.

Do., 06.06.2019 - 08:56 Permalink
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Profil für Benutzer Mensch Ärgerdichnicht
Mensch Ärgerdi… Do., 06.06.2019 - 10:22

Antwort auf von Manfred Gasser

Von der Statistik über von Wölfen getöteten Menschen in der EU mal abgesehen, hatten wir doch erst vor kurzem das Urteil in Österreich wo der Bauer für den Tod einer Frau durch seine Kuh verantwortlich gemacht wurde. Da hat man zur Gefahr von Tieren in den Bergen doch ganz andere Parolen gehört, oder bilde ich mir das nur ein?

Do., 06.06.2019 - 10:22 Permalink
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Manfred Gasser Do., 06.06.2019 - 10:31

Antwort auf von Mensch Ärgerdi…

Gutes Beispiel, aber leider nicht ganz passend, da man in diesem Fall ja den Schuldigen schon hat. Beim Wolf wird es viel schwieriger jemanden zu finden, der zahlt.
Aber davon abgesehen, die Kuh, der Hund, usw., das sind alles "Nutztiere", dem einen nutzen sie um Geld zu verdienen, dem anderen nutzen sie um das Leben zu ertragen.
Und wem nützt der Wolf? Eben!

Do., 06.06.2019 - 10:31 Permalink
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Manfred Klotz Do., 06.06.2019 - 11:13

Antwort auf von Manfred Gasser

Herr Gasser, Raubtiere haben sehr wohl einen Nutzen. Zur Regulierung des Schalenwildes beispielsweise, das maßgeblich für Verbissschäden im Wald und in der Landwirtschaft verantwortlich ist. So lange es keine Großraubtiere gab, kümmerten sich die Jäger darum. Die Jäger (die zu einem Großteil mit den Bauern deckungsgleich sind) haben jetzt Konkurrenz erhalten und können nun vielleicht eben etwas weniger schießen.

Do., 06.06.2019 - 11:13 Permalink
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Profil für Benutzer Mensch Ärgerdichnicht
Mensch Ärgerdi… Do., 06.06.2019 - 11:52

Antwort auf von Manfred Gasser

@Mafred Gasser
Mir ging es nicht so sehr um den zahlungsfähigen Schuldigen, sondern mehr um die Reaktionen von seiten der Bauernschaft. EIGENVERANTWORTUNG!!1!elf!! wurde da überall ganz groß und laut rum gebrüllt, davon hört man jetzt auf einmal nichts mehr! Und ist es nicht so, dass Wolf und Bärenschäden vom Land zurückerstattet werden?

Do., 06.06.2019 - 11:52 Permalink