Gesellschaft | Hausgeburten in Südtirol

Meine Sicherheit für Gebärende

Mütter sind heutzutage permanent getrieben. Kontrolle und Sicherheit der Kinder gehen über alles. Das fängt in der Schwangerschaft an, sagt Hebamme Burgi Künig.

Der letzte Freitag hatte es in sich, für die Hebamme Burgi Künig. Erste Geburtsstation: vier Uhr früh, Meran. Mittags die nächste in Kaltern und die letzte um 19 Uhr in Bozen. Drei Geburten an einem Tag, „das ist schon ungewöhnlich“, lacht sie „chronolgisch war das ja perfekt getimet“, aber was dazwischen und danach sei, ja, da ginge es ans Eingemachte. „Die Männer, die anrufen und sagen, der Frau geht’s nicht gut - bei der anderen ist die Geburt noch nicht abgeschlossen....“ Da heißt es ruhig bleiben, Nerven bewahren und trotz allem der Gebärenden Sicherheit vermitteln. Das ist das Um und Auf in Burgi Künigs Geschäft, „wenn ich nicht sicher bin, wie sollen es dann die Frauen sein?"

Quer durchs Land
19 Babies waren es bislang in diesem Jahr, die im eigenen Heim, zu Hause eben, das Licht der Welt erblickten. Eine bewusste Entscheidung der Eltern, oft sind es Gebärenden, die im Krankenhaus bei der ersten Geburt schlechte Erfahrungen gemacht haben. Im Schnitt begleitet Burgi Künig etwa 20 Frauen jährlich in den letzten Monaten der Schwangerschaft, bei der Geburt und dann im Wochenbett. Wenn es soweit ist, rückt die Hebamme an, mit ihrer kleinen Tasche, dem Geburtshocker und einer aufblasbaren Geburtswanne. Sieben Entbindungen stehen bis Jahresende noch auf dem Programm. „Wenn alle daheim entbinden“, sagt Künig, die sich seit 1990 mit Herz und Seele der Hausgeburtenhilfe verschrieben hat. Mit Feingefühl und Zurückhaltung, dem gewissen Etwas eben. Wohnen tut sie in Bozen - reisen, quer durchs Land mit ihrem Auto. Vom Gadertal nach Sterzing, vom Burggrafenamt ins Überetsch, bei Wind und Wetter, Tag und Nacht.  

Zwei Disziplinarverfahren
Gefragt ist sie, die einzige Hebamme Südtirols, die Frauen das zu Hause gebären noch ermöglicht. „Nächstes Jahr haben sich acht Frauen angemeldet, auch ins Trentino werde ich gerufen. Da muss man schon aufpassen, dass man den hiesigen Hebammen nicht in die Quere kommt.“
20 Jahre lang war die gebürtige Aufhofnerin im Krankenhausbetrieb tätig. „Zwei Jahre als Sprengelhebamme, diese Zeit hat mir dann den Rest gegeben. Mir wurde untersagt Frauen zu Hause zu besuchen, ich durfte das auch nicht in meiner Freizeit machen.“ Zwei Disziplinarverfahren wurden ihr angehängt „weil ich außerhalb der Arbeit Hausgeburten gemacht habe, Frauen beim Stillen geholfen habe. Verlangt habe ich dafür nie etwas.“ Burgi Künig zog ihre Konsequenzen, sie packte ihre Hebammentasche und zog in die Freiberuflichkeit. “Ich konnte frühzeitig in Rente gehen, mit knapp 20 Arbeitsjahren, das war meine Rettung.“ Angefeindet wird ihre Art Frauen zu unterstützen noch immer. Schiefe Blicke im Krankenhaus, unfeine Kommentare den Gebärenden gegenüber „so ein Blödsinn, so ein Risiko, das macht man ja heute nicht mehr. Das hören die Frauen immer wieder, wenn sie bei den FrauenärztInnen oder im Bekanntenkreis von ihrem Vorhaben erzählen.“ Auch den Kinderarzt zu finden, der innerhalb 24 Stunden nach der Geburt ins Haus kommen muss, ist nicht immer einfach. „Man muss sich fast rechtfertigen, wenn eine Geburt zu Hause statt findet.“

Mehr zu der Stellung der Hebammen in Italien lesen Sie in folgender PDF-Datei.

Kosten und Geschichten
1.400 Euro kostet heute eine Hausgeburt, wenn Familie sie bei Burgi buchen will. Fahrtspesen verrechnet die Hebamme, die in diesen Tagen 60 Jahre alt wird, extra. 516 Euro erstattet der Sanitätsdienst zurück. In der Marienklinik verschaffte sich die reiselustige Geburtshelferin ein globales und umfangreiches Geburtswissen, „da waren es an die 200 Geburten jährlich, die ich mitbetreut habe.“
Nach so vielen Jahren an Erfahrung reicht der Hebamme ein Blick um abzuschätzen, wie weit die Geburt fortgeschritten ist. „Die Frauen bekommen  einen abwesenden Blick, das ganze Gesicht verändert sich, ihr Verhalten auch. Sie ziehen sich zurück, gehen in sich, reagieren nicht mehr richtig.“
Künigs Geschichtenfundus ist rießig. Vom Bauer in Pfitsch erzählt sie, der bei der Geburt seines zweiten Kindes in den Stall musste „riaft as mi holt wenns do isch“, oder der Gebärden in der Badewanne, die bei jeder Wehe untertauchte. „Da hab ich mir schon Sorgen gemacht“, sagt Künig „jedes Mal wenn sie atmen sollte, war sie plötzlich mit ihren langen Haaren unter Wasser. Dann verschwindet auch noch der Mann....und taucht wieder auf: mit einem Schnorchel.“ Die Frau konnte in Ruhe gebären, ganz nach ihren Bedürfnissen: „Wenn man die Frauen lässt, dann wissen sie selbst am Besten was sie brauchen. Das Liebeshormon Oxythozin wird ja während der Geburt ausgeschüttet, auch beim Stillen, oder beim Liebesakt. Dieses Hormon will den Rückzug. Und das zu berücksichtigen, das ist entscheidend.“


...eine Geburt ist wie ein Ausbruch von Lebensfreude. Das Leben ergießt sich in Dich und es ist so stark, dass es alle Grenzen, alle Barrieren sprengt!" (Frédérik Leboyer) Ein Interview mit Fréderik Leboyer lesen Sie hier.

"Geboren wird nicht nur das Kind durch die Mutter, sondern auch die Mutter durch das Kind"
(Gertrud von Le Fort)


Krankenhausbetrieb
Die unbedarfte Art im Krankenhaus wie Frauen untersucht werden, ist Künig zuwider. „Ich begleite Frauen ja auch ins Krankenhaus. Immer wieder muss ich mich zurückhalten. Wenn sie kommen und die Untersuchung beginnt, da gibt es keine Vorbereitung. Mit zwei Fingern fahren sie in die Vagina rein um die Öffnung des Muttermundes zu überprüfen.“ Einfühlsam und sensibel vorgehen, das ist etwas anderes. Künigs Hilfsmittel sind die von vergangenen Zeiten. Ein Stetoskop um die Herztöne des Kindes abzuhören, einen kleinen Wehenschreiber hat sie auch dabei. „Meist wollen die Frauen, dass ich sie untersuche, für mich ist das während der Geburt nicht wichtig.“

Wenn bei einer Geburt Künigs Devise die Zurückhaltung und die Beobachtung ist dann steht das Wochenende ganz im Zeichen der Obhut, der Präsenz und der Fürsorge, ja der Überwachung. „Ich versuche die Frauen ganz bewusst von der ganzen Umgebung abzuschotten, sie werden oft regelrecht überflutet mit Informationen und Besserwissereien. Jeder weiß, was für das Kind am Besten ist, der Instinkt der Mutter wird total vergessen.“ Bei der Geburt vertraut Künig den Frauen „das können sie, da muss ich mich zurückhalten, beim Wochenbett dann, da bin ich gefordert, da ist eine gute Betreuung enorm wichtig. Ich schau wie's dem Poppele geht, wie das Stillen klappt.“

Hausgeburten sind sicher, sagen Studien.

Medizinische Diagnosen – und dann?
Die immensen Kontrollen, die den Frauen mit Beginn einer Schwangerschaft begegnen, der Wunsch der Schwangeren selbst nach einem perfekten Kind, das immer gesund und glücklich ist, diese Ideale, die nie erreicht werden können, sind für die Hebamme oft schwer auszuhalten. „Ich versuche den Frauen Gelassenheit zu vermitteln. Dass mehr Kontrollen mehr Sicherheit bedeuten ist ein Trugschluss.“ Hier bäumt sich Künig auf, der Krankenhausbetrieb sei kein gesundes Ambiente für Schwangere, zumindest nicht, solange das Kinderkriegen in die Krankenecke abgeschoben wird. „Jede Schwangerschaft wird als Risiko gesehen“, das Wort Überwachung möchte Künig deshalb auch nicht im Zusammenhang mit einer Geburt anwenden.
„Denn genau dann passiert das, was die Frauen eigentlich nicht wollen. Sie delegieren die Verantwortung an die Ärzte und verlieren damit den Kontakt zu ihrem Körper. Der ganze Fokus liegt während der Schwangerschaft auf dem Kind, das wird permanent überwacht, durchleuchtet. Und wo bleiben die Frauen mit ihren Ängsten und Nöten?“ Schwanger sein ist mehr als der Inhalt, wer sieht die Frauen und ihre Emotionen? Begleitung und Unterstützung, das wünscht sie sich, gern auch mehr von den Ärzten im Krankenhaus, mehr Einfühlungsvermögen. „Eine Frau muss sich zurück ziehen können bei einer Geburt. Sie braucht Sicherheit, ein geborgenes Umfeld. Dann reduzieren sich auch die Risiken.“

Künig ist sich bewusst, ein Restrisiko gibt es immer. „Das hab ich bei jedem minimalen medizinischen Eingriff, aber ich kann doch nicht von vornherein von einem Risiko ausgehen.“ Das will Burgi Künig den Frauen mit auf den Weg geben, an sich selbst zu glauben. „Ich hab schon Sorgen wohin die Frauen gehen. Sie müssen wieder mehr an sich glauben, an ihre Urkraft. Aus Angst, dass etwas schief geht, geben Frauen Verantwortung an Ärzte ab. Dabei ist es so wichtig, die Verantwortung zu übernehmen. Für sich und für das Kind.“