Politik | Senat
Brisante Schützenhilfe
Foto: SVP Mediendienst
Es gibt Tage im Leben der SVP-Parlamentarier in denen die Südtiroler Volksvertreter nur eines hoffen: Dass niemand im fernen Bozen merkt, was in Rom passiert.
Der vergangene Mittwoch war so ein Tag. Im Senat steht man vor einer Abstimmung, als kurz vor Mittag Alberto Balboni das Wort ergreift. Der Fratelli-d’Italia-Senator aus Ferrara erhebt die Stimme und wettert – wie bereits ein Dutzend seiner Vorredner zumeist aus dem politischen Mitte-Links-Lager – gegen die Regierungsmehrheit. „Das Ganze ist eine so schwerwiegende Verletzung der Verfassung, wie es sie noch kaum gegeben hat“, sagt der Balboni.
Dabei spricht Alberto Balboni direkt die drei Senatoren der Südtiroler Volkspartei an:
„Non so quanti sappiano in quest'Aula che la maggioranza della Giunta è stata determinata con un solo senatore di differenza, nemmeno non appartenente alla maggioranza, dato che il senatore che ha fatto la differenza con il suo voto è stato il rappresentante del Gruppo Per le Autonomie. E c'è da chiedersi come mai la Südtiroler Volkspartei, con il suo voto determinante, preferisca arrecare un vulnus così grave alla Costituzione, appoggiando la maggioranza gialloverde. È una domanda politica che credo in quest'Assemblea tutte le forze politiche dovrebbero porsi.“
E c'è da chiedersi come mai la Südtiroler Volkspartei, con il suo voto determinante, preferisca arrecare un vulnus così grave alla Costituzione, appoggiando la maggioranza gialloverde.
Alberto Balboni, Fratelli-d’Italia-Senator.
Der halbe Senat applaudierte nach diesen Worten. In den Reihen der SVP bleib es ruhig. Niemand ergriff das Wort. Auch nicht der, den Balboni direkt angesprochen hatte: SVP-Senator Meinhard Durnwalder.
"Es handelt sich hier um eine Geschichte für die es nur Lösungen gibt, die verfassungsrechtlich fraglich sind", rechtfertigt Durnwalder sein Verhalten. "und für mich ist diese Lösung ganz einfach das kleinste Übel."
Absurde Situation
Die Geschichte ist so absurd, dass man sie kaum erfinden kann. Zum zweiten Mal in der Geschichte Nachkriegsitaliens konnten bei einer Parlamentswahl nicht alle Sitze vergeben werden. Im Senat blieb bisher ein Sitz, der der Region Sizilien zusteht, leer.
Die Schuld daran trägt die 5-Sterne-Bewegung. Die Regierungspartei hat bei den Parlamentswahlen im März 2018 in Sizilien einen Erfolg eingefahren, den selbst die Grillo-Bewegung anscheinend nicht für möglich gehalten hat. So erobert der M5S in Sizilien im Senat 17 Sitze. Laut Adam Riese wären damit alle Kandidatinnen und Kandidaten, die angetreten sind, auch gewählt.
Doch das Problem dabei: Nunzia Catalfo aus Catania kandidierte doppelt. In einen Einmann-Wahlkreis und in einem Verhältniswahlkreis. Sie entschied sich für den Direktwahlkreis. Laut geltendem Wahlgesetz darf man im Verhältniswahlkreis aber nur vier Kandidaten aufstellen. Alle anderen drei wurden dort gewählt. Damit blieb ein Sitz, den die 5-Sterne-Bewegung erobert hat, leer.
Nachdem die oberste Wahlkommission in Sizilien alle gesetzlichen Möglichkeiten durchgespielt hat, übermittelte sie dem Senat das Ergebnis: Laut Verfassung und Wahlgesetz kann dieser Senatssitz nicht besetzt werden.
Fantasievoller Handstreich
Mehrere Senatskandidaten anderer Parteien, aber auch ein Wähler reichten gegen diese Entscheidung Rekurs ein. Damit wurde die absurde Situation zum Gegenstand in der „Giunta delle elezioni e delle immunita' parlamentari“ des Senates. In diesem Ausschuss sitzt auch Meinhard Durnwalder.
Der Ausschuss befasste sich in den vergangenen neuen Monaten mehrmals mit diesem eigentlich aussichtlosen Fall. Am Ende präsentierte der Berichtserstatter, der M5S-Senator Francesco Urraro eine Lösung, die völlig an den Haaren herbeigezogen ist und für die es weder eine wahlrechtliche, noch eine verfassungsrechtliche Grundlage gibt.
Der Senatssitz sollte an jenen M5S-Kandidaten in ganz Italien vergeben werden, der als erster Nichtgewählter die meisten Stimmen erhalten hat. Errechnet wurde, dass damit die Region Umbrien einen Senator mehr bekommen soll.
Während die Regierungsmehrheit Lega/M5S diese Lösung unbedingt durchboxen wollte, lief die gesamte Opposition dagegen Sturm. „Das ist eine schwerwiegende Verletzung der Verfassung“, argumentierte man quer durch die Parteien sowohl im Ausschuss wie auch bei der Generaldebatte in der Aula des Senates.
Der Grund dafür ist einfach: Laut Verfassung und Wahlgesetz wird die Anzahl Senatssitze, die jeder Region zustehend anhand der Wähler und Wählerinnen festgelegt. Jede Region mit Normalstatut hat Anrecht auf sieben Sitze. Größere Regionen auf mehr.
Mit dieser Lösung würde Umbrien aber plötzlich einen Sitz mehr im Senat bekommen. „Mi piacerebbe capire come mai gli 882.000 abitanti dell'Umbria dovrebbero avere otto senatori, mentre gli abitanti dell'Abruzzo, che ammontano a 1.311.000, dovrebbero averne sette“, argumentierte Lucio Malan (Forza Italia) am Mittwoch im Senat gegen diesen Handstreich.
Der ehemalige Senatspräsident Pietro Grasso (Leu) fordert sowohl im Ausschuss wie auch in der Aula, dass man den Sitz einfach frei lasse.
Der ehemalige Senatspräsident Pietro Grasso (Leu) fordert sowohl im Ausschuss wie auch in der Aula, dass man den Sitz einfach frei lasse.
Entscheidende Stimme
Als es am 26. Juni 2019 im Senatsausschuss „Giunta delle elezioni e delle immunita' parlamentari“ zur entscheidenden Abstimmung über diesen Vorschlag kommt, sind die Fronten deshalb klar verteilt. Die Regierungsmehrheit für diese unorthodoxe Rettungsaktion, die Opposition (Forza Italia, PD, Leu) gegen diesen „Anschlag auf die Verfassung“.
Am Ende geht die Abstimmung im Ausschuss 12 zu 10 für den Vorschlag aus. Entscheidend ist dabei die Ja-Stimme von Meinhard Durnwalder. Weil bei Stimmengleichheit der Antrag als abgelehnt gilt, rettet der SVP-Senator mit seinem Ja die Regierungsmehrheit.
Meinhard Durnwalder sieht in der Aktion aber keine eklatante Rechtsbeugung. "Für mich ist die Verletzung des territorialen Prinzips, weit weniger schwerwiegend, als die Verletzung des Wählerwillens oder des Vertretungsrechts der Parteien", sagt der Pusterer Senator zu salto.bz. Zudem hätte man sich an ein Prinzip angehängt, das es im Wahlgesetz für die Kammer bereits gebe. Dem SVP-Senator ist aber laut eigener Angabe durchaus bewusst, dass jede Lösung "verfassungsmäßig diskutabel" sei.
Durnwalder: "Es wird in diesem Fall sicher zu einer Anrufung des Verfassungsgerichts kommen, dann wird man sehen, ob diese Lösung hält oder nicht".
Als am vergangenen Mittwoch der Antrag in der Aula des Senats behandelt wird, geht es kontrovers her. Am Ende geht der Antrag mit 150 Ja- und 121 Gegenstimmen durch.
Alberto Balboni führt vorher im Senat die SVP aber öffentlich vor. Unterm Edelweiß zieht man es aber vor zu Schweigen.
In der Hoffnung, dass es in Südtirol niemand merkt.
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Ach du meine Güte, was für
Ach du meine Güte, was für eine Aufregung. Ist doch vollkommen egal, ob da noch einer mehr oder ob einer weniger im Parlament sitzt ...
Antwort auf Ach du meine Güte, was für von G. P.
Nein, es ist nicht egal ob da
Nein, es ist nicht egal ob da einer mehr oder weniger im Parlament sitzt.
Seit einigen Monaten beobachte ich die "Politik" des Herrn Durnwalder mit Grauen und extremer Besorgnis.
Rechtlich mag man einiges rechtfertigen können, moralisch und aus dem Blickwinkel einer Minderheit in keinster Weise.
Antwort auf Nein, es ist nicht egal ob da von Marcus A.
Ich meinte, im Allgemeinen
Ich meinte, im Allgemeinen ist es doch egal, ob einer mehr oder weniger im Parlament sitzt. Und deshalb verstehe ich die ganze Aufregung (der Opposition) nicht.
Bezüglich dem Gebaren von Durnwalder haben Sie vollkommen Recht.
Antwort auf Ich meinte, im Allgemeinen von G. P.
ein interessanter Einblick in
ein interessanter Einblick in das Demokratieverständnis des Senators Durnwalder und des Kommentators G.P.
Antwort auf Ach du meine Güte, was für von G. P.
Man soll ja Menschen nicht
Man soll ja Menschen nicht nach ihrem Aussehen beurteilen, aber manchmal...
Antwort auf Ach du meine Güte, was für von G. P.
Es ist nicht egal, ob im
Es ist nicht egal, ob im Senat - denn es geht um den Senat - einer mehr oder weniger sitzt, denn die Regierungsparteien verfügen dort über eine hauchdünne Mehrheit. Und da wäre es für die traditionelle Erpressungspolitik der SVP viel besser gewesen, wenn sie wieder Zünglein an der Waage spielen hätte können.
Wiederholungstat?
Wiederholungstat?
Da war doch schon einmal so eine Dienerlichkeit....?
Antwort auf Wiederholungstat? von Peter Gasser
Wenn er sich im Gegenzug
Wenn er sich im Gegenzug etwas Nützliches für Südtirol eingehandelt hat, dann passt das schon.
Antwort auf Wenn er sich im Gegenzug von Andreas Berger
"... für Südtirol..." wohl
"... für Südtirol..." wohl eher für die Partei, oder deren Freunderl...