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Heute an gestern denken

Was Sterneköche begehren, versucht man in Waidbruck unter die Menschen zu bringen: naturbelassene und zum Teil vergessene Obst- und Gemüsesorten.
Manna.Organic
Foto: Salto.bz

Ob sie sagen würden, dass sie mutig sind? “Ja, schon.” Dann überlegen Andreas und Heidi kurz. “Aber eigentlich braucht es mehr Mut, im System mitzutreten.” Das machen die beiden nicht – nicht mehr. Seit September 2018 ist das Paar fast täglich im Zentrum von Waidbruck anzutreffen. Dort, im aufgelassenen Dorfcafé am Oswald von Wolkensteinplatz, verkaufen sie Obst und Gemüse. Doch es ist kein gewöhnlicher Laden. “MANNAorganic” tanzt aus der Reihe. Und das gleich in mehrerlei Hinsicht.

 

Eigentlich begann alles mit Harald Gasser. In Barbian baut der Landwirt am Aspinger Hof mehr als 500 vergessene Obst- und Gemüsesorten an. “Bei uns regiert ausschließlich die Natur”, sagt Gasser – und meint damit, dass er vollkommen auf den Einsatz von Chemie oder sonstigen Wirkstoffen zur Schädlingsbekämpfung verzichtet. Nicht nur biologisch, sondern naturbelassen ist sein Anbau und entsprechend auch die Ernte, erklärt Gasser. Das, was die 3.000 Quadratmeter am Aspinger Hof hergeben, verkauft er seit Jahren an Südtiroler Sterneköche. Die wissen die vielfältigen und geschmackvollen Raritäten zu schätzen.

Doch warum soll die breite Bevölkerung nicht auch etwas davon haben? Diese Frage stand am Anfang von MANNAorganic. Der Verein – der Name steht für “naturbelassenes Himmelsbrot” – wurde im vorigen Herbst gegründet. Präsident ist Andreas Hofer. Der Geometer und ehemalige Gemeindeangestellte stammt aus Barbian, ebenso wie seine Freundin, Heidi Hinterwaldner. Das Anliegen des Vereins: Das unbehandelte, teils vergessene Obst und Gemüse unter die Menschen bringen.

 

Neben Harald Gasser liefern weitere sechs Bauern, die in Selbstverpflichtung naturbelassen anbauen, ihre Ernte fast täglich nach Waidbruck. Dort hat sich der Verein niedergelassen. Das gleichnamige Geschäft wurde in Eigenregie eingerichtet, die Miete übernimmt der Kastelruther Gemüsehändler Armin Pardatscher, den man als Sponsor mit ins Boot geholt hat. Was untertags nicht verkauft wird, nimmt Pardatscher dem Verein bzw. den Bauern ab, mit einem Preisabschlag von 20 Prozent.

Davon abgesehen geht der volle Verkaufspreis an die Erzeuger. 2,50 Euro für ein Kilo Karotten, 4 Euro für ein Kilo Trauben – es sind Preise, die die Bauern fair für ihre Arbeit entlohnen, zugleich aber einen Einkauf für jedermann und -frau möglich machen sollen, betonen Andreas und Heidi.

 

Wer im MANNAorganic einkaufen will, muss Vereinsmitglied werden und einen einmaligen Beitrag fünf Euro leisten. “Inzwischen haben wir rund 350 Mitglieder”, berichtet Andreas. Einige kommen regelmäßig, manch einer fährt für den Einkauf sogar extra aus Bozen mit dem Zug an. Allerdings wissen die Kunden nicht, was sie im Geschäft vorfinden – das hängt von der Jahreszeit, dem Wetter und den Entscheidungen der Bauern ab, was sie anpflanzen.

Derzeit gibt es etwa Kürbis und Kohl – in allen Formen und Farben –, Kastanien, Äpfel, Kartoffel, Tomaten, Karotten. “Wir möchten die Menschen zum Umdenken anregen”, erklärt Heidi Hinterwaldner, “dahingehend, mit dem zu kochen – oder kochen zu lernen –, was da ist”. Eine bewusste Rückkehr zu saisonaler und regionaler Küche, den Bauern ein Einkommen sichern, zurück zu ursprünglichen Lebensmitteln und Ernährungsweise – “zeigen, es geht”, das wollen Andreas und Heidi. Sie arbeiten ehrenamtlich Geschäft, ebenso wie Elad Ovadya. Er stammt aus Tel Aviv, lebt seit neun Jahren in Südtirol und ist zufällig auf den Verein und das Lokal gestoßen.

 

Hinter der Theke liegt die Küche. In der haben in den vergangenen Monaten die Sterneköche Norbert Niederkofler, Theodor Falser und Herbert Hintner bewiesen, dass “es geht”. Wie lange es mit MANNAorganic geht, steht hingegen in den Sternen. Die Miete für das Lokal ist bis Ende des Jahres durch den Sponsor gesichert. “Danach steht ein großes Fragezeichen”, nickt Heidi. Sie ist Grundschullehrerin und für ein Jahr freigestellt worden, in dem sie sich ganz dem Geschäft widmet. Die Vision ist, dass es nach dem Aufbau durch ehrenamtliche und freiwillige Arbeit von der Wirtschaft übernommen wird, und ein kleiner Gastronomiebetrieb daraus entsteht, verraten Andreas und Heidi.

Der persönliche Traum des Paares, das sich bewusst entschieden hat, kürzer und langsamer zu treten, ist, einen alten Hof im Heimatort zu übernehmen und ohne Strom zu bewirtschaften. “Mit den Hennen aufstehen und schlafen gehen”, lächeln die beiden.